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Die Nonne Kelsang Wangmo
Weibliche Wende im Buddhismus

Buddhisten gehen von der Gleichwertigkeit aller Menschen aus. Dennoch haben Frauen im Buddhismus nicht dieselben Rechte wie Männer. Sie kämpfen für Reformen. Einer von ihnen ist eine kleine Revolution gelungen: Sie darf als erste Frau den Titel einer Geshe tragen, einer Gelehrten.

Von Sandra Stalinski | 24.01.2018
    Kelsang Wangmo in Dharamsala, wo sie vor mehr als 20 Jahren den Buddhismus für sich entdeckte. Im Hintergrund die Ausläufer des Himalya Gebirge über ihr tibetische Gebetsfahnen.
    Kelsang Wangmo in Dharamsala, wo sie vor mehr als 20 Jahren den Buddhismus für sich entdeckte. (imago stock&people)
    Wenn Kelsang Wangmo spricht, hört sie sich nicht an wie eine Vorkämpferin für Frauenrechte im Buddhismus. Sie wirkt zurückhaltend und bescheiden, Kritik an der männerdominierten Hierarchie kommt ihr nicht über die Lippen. Und dennoch ist es ausgerechnet diese buddhistische Nonne aus Deutschland, durch die eine Zeitenwende im tibetischen Buddhismus eingeleitet wurde.
    "Eine große, schwere Tür hat sich geöffnet", sagte sie 2011 bei der feierlichen Verleihung des Geshe-Titels an sie und ihre männlichen Studienkameraden. Der Titel ist die höchste Auszeichnung für Gelehrte - vergleichbar mit einem Professoren-Titel in tibetisch-buddhistischer Metaphysik. Sie ist weltweit die erste Frau, die diesen Titel erhalten hat.
    "Dass ich das Studium machen konnte, war für mich das wichtigste, und dieser Titel - na gut, das war schon so ein bisschen umstritten, weil unser Institut da mit der Tradition gebrochen ist. Und da sind die Tibeter ganz vorsichtig, alles zu erhalten, so gut es geht. Und von daher, solche Traditionen werden als ganz wichtig angesehen. Das Institut hat so ein bisschen die Tradition gebrochen - und das war so ein bisschen: warum denn das? Also man hat das erstmal gar nicht verstanden. Aber letztendlich: So viel hat sich für mich nicht durch diesen Titel verändert. Das wichtigste ist wirklich das Studium selber, dass ich da die tolle Gelegenheit hatte, das genau wie die Mönche und Nonnen zu machen."
    Neuorientierung nach dem Abi
    Geboren wurde Kelsang Wangmo - so ihr tibetischer Name - 1971 als Kerstin Brummenbaum im Rheinland. Nach dem Abitur wusste sie nicht, was sie studieren sollte und beschloss, ein Jahr lang auf Reisen zu gehen. Nach Stationen in verschiedenen Ländern kam sie nach Indien und schließlich nach Dharamsala, dem Ort, wo der Dalai Lama und tausende Exil-Tibeter leben.
    Ihr Interesse für den Buddhismus entdeckte sie erst nach und nach. Doch je mehr sie darüber lernte, desto mehr faszinierte sie die Lehre.
    "Buddhismus ist nicht wie andere Religionen. Der Dalai Lama beschreibt es oft als Wissenschaft des Geistes. Es ist eigentlich eine Art der Psychologie, wo es um Dinge geht wie Achtsamkeit, Meditation natürlich, Liebe und Geduld. Es geht immer um das Bewusstsein, um die eigene Psyche, dass man selber beobachtet, wie man sich verhält. Weil, es basiert auf der Theorie, dass unsere Probleme vom Bewusstsein und dem eigenen Geist herkommen und auch das Glück, die Zufriedenheit vom Bewusstsein herkommen. Es ist, dass man mit dem eigenen Bewusstsein arbeitet, dadurch kann man Probleme abschaffen und innere Ruhe finden."
    Es reifte in ihr der Wunsch, buddhistische Nonne zu werden und buddhistische Philosophie zu studieren. In Dharamsala, im Institut für buddhistische Dialektik, bekam sie die Gelegenheit dazu - als eine der ersten Frauen überhaupt.
    Doch die Anfänge waren nicht leicht für Kerstin Brummenbaum, die Frau aus dem Westen:
    "Weil meine Klassenkameraden alles Männer waren, und untereinander viel Kontakt hatten, sich gut verstanden haben, aber ich war immer so ein bisschen der Außenseiter. Und dann auch, dass es manchmal schwierig war mit dem Debattieren, dass die Mönche auch ein bisschen schüchtern waren, mit mir zu debattieren, das war am Anfang zumindest schwierig. Das andere ist mir gar nicht so schwer gefallen, man gewöhnt sich dran und so schlimm ist es ja gar nicht."
    Männlich-dominierte Hierarchie
    Das andere, damit meint sie die Unterordnung der Frau unter den Mann in der tibetischen Gesellschaft und insbesondere im tibetischen Buddhismus. Bei buddhistischen Unterweisungen oder Zeremonien müssen sie beispielsweise hinter den Männern sitzen. Weibliche Lehrer gibt es quasi nicht. Die Hierarchie ist klar von Männern dominiert. Frauen gelangen nur in absoluten Ausnahmefällen in den Rang bedeutender Lamas. Und selbst dann haben sie keine Stimme, wenn es um entscheidende religiöse Fragen geht.
    Zwar gibt es schon seit Jahrzehnten Reformbemühungen in Richtung Gleichberechtigung von Frauen im tibetischen Buddhismus. Insbesondere Buddhistinnen aus westlichen Ländern engagieren sich - bislang mit geringem Erfolg. Eine volle Ordination für buddhistische Nonnen tibetischer Tradition gibt es nach wie vor nicht.
    Zwar setzt sich der Dalai Lama für dieses Anliegen ein, doch er allein hat es nicht in der Hand, sagt Kelsang Wangmo:
    "Der Dalai Lama hat natürlich sehr großen Einfluss auf die Tibeter, und er hat das seit Jahren gesagt, immer wieder: Frauen haben die gleichen Rechte, Frauen können das gleiche. Für mich ist der Dalai Lama einer der größten Feministen. Aber er ist auch eingeschränkt in dem, was er machen kann, obwohl die Tibeter ihn sehr respektieren. Aber sie haben ihre eigene Art, die Dinge zu tun, und sind sehr an die Tradition geknüpft."
    Ein Meilenstein
    Zwar gab es in der mehr als 2500-jährigen Geschichte des Buddhismus immer wieder wichtige Frauenfiguren. In der Dharmagupta-Tradition, die in China, Korea, Japan und Taiwan vorherrscht, gibt es durchaus vollordinierte Nonnen. Doch im tibetischen Buddhismus ist diese Tradition vor Jahrhunderten abgebrochen. Wie lässt sie sich wiederbeleben? Dafür braucht es die Zustimmung mehrerer religiöser Oberhäupter. Doch viele sperren sich.
    Dass mit Kelsang Wangmo eine Frau erstmals den Titel einer Geshe trägt, und nach ihr inzwischen weitere, auch tibetische Frauen, ist ein wichtiger Meilenstein in diesem Kampf um Gleichstellung. Auch wenn sie selbst sich in der Gleichstellungsfrage nicht an vorderster Front sieht.
    "Die Ordination ist weniger mein Gebiet, sondern eher möchte ich das, was ich gelernt habe, für andere auch erhältlich machen. Allerdings ist die Frauensache schon, das ist für mich auch wichtig, in dem Sinne, dass ich zeigen kann, dass das eine Frau genauso machen kann wie ein Mann, dass ich immer wieder betone, dass es da keinen Unterschied gibt. Buddha selber war da auch ganz klar: Frauen und Männer sind gleichwertig. Es ist dann nur die Kultur, die diese Unterschiede hervorbringt."
    Wer mehr wissen will über diesen Kampf für mehr Gleichstellung, kann nun auf das Buch über Kelsang Wangmo zurückgreifen. Die Journalistin Anne Siegel liefert interessante Einblicke. Sie gibt vor allem die Geschichten westlicher Buddhistinnen wieder, die sich bei diesen Reformbemühungen hervortun. Die Erzählweise ist allerdings sprunghaft und wenig stringent, vieles wird nicht schlüssig erklärt. Vielmehr ist das Buch ein Sammelsurium aus Interviews und Reden, gewürzt mit ein paar Erläuterungen. Es wirft aber Schlaglichter auf das Leben und Wirken starker Frauen im Buddhismus.
    Anne Siegel: "Die Ehrwürdige"
    Benevento Publishing, Wals bei Salzburg 2017, 240 Seiten, 22 Euro.