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"Die Note spielt zunächst mal keine Rolle"

Die Studienstiftung legt ein Programm für Migranten und Erst-Akademiker auf. Bis zum 15. Februar kann sich dort jeder Abiturient um ein Stipendium bewerben - unabhängig vom Notendurchschnitt. Stiftungs-Chef Gerhard Teufel sieht in der Maßnahme die Möglichkeit, Ungerechtigkeiten aus der Schulzeit auszugleichen.

Gerhard Teufel im Gespräch mit Manfred Götzke | 10.01.2011
    Manfred Götzke: Wer nach der Elite an den deutschen Hochschulen sucht, der kann lange recherchieren oder einfach in Bonn anrufen – bei der Studienstiftung des Deutschen Volkes. Denn wer von der Studienstiftung ein Stipendium bekommt, der darf sich zu den geistigen Hochkarätern der Bildungsrepublik zählen. Allerdings war es lange Zeit ziemlich schwer, in diesen exklusiven Klub reinzukommen, man brauchte mindestens einen Notendurchschnitt von 1,4 und eine Empfehlung seines Schulleiters. Und dieses Auswahlverfahren hatte ein Problem: soziale Schieflage. Nur 20 Prozent der Stipendiaten stammten aus nichtakademischen Elternhäusern, dabei liegt der Anteil dieser Bildungsaufsteiger statistisch etwa zweimal so hoch. Das soll sich nun ändern, seit einem Jahr können sich interessierte Studenten auch selbst bewerben, und bei der aktuellen Bewerbungsphase, die heute beginnt, sollen Erstakademiker und Migranten zusätzlich gefördert werden. Gerhard Teufel ist Generalsekretär der Studienstiftung – guten Tag!

    Gerhard Teufel: Guten Tag, Herr Götzke!

    Götzke: Herr Teufel, wollen Sie mit dem neuen Programm dem Vorwurf entgegenwirken, Elite ist geschlossene Gesellschaft?

    Teufel: Vielleicht ein bisschen, wir wollen auf jeden Fall offen sein und fair zu allen Gruppen der Bevölkerung und eben vor allem auch zu Jugendlichen aus nichtakademischem Elternhaus.

    Götzke: Wenn man sich die soziale Herkunft der Stipendiaten der letzten Jahre anguckt, war das nicht immer so: 20 Prozent aus Erstakademikerfamilien. Woran lag das?

    Teufel: Es lag daran, dass die Schulen uns ja die Besten melden, die jeweils Abitur – wie Sie schon gesagt haben – mit 1,0, 1,1, 1,2 machen, und in dieser Gesamtmenge waren eben mehr akademische Kinder als nichtakademische.

    Götzke: Das soll sich jetzt durch diese gezielte Förderung ändern. Bekommen Migranten oder Erstakademiker nun auch mit schlechteren Noten ein Stipendium?

    Teufel: Ja, die Note spielt zunächst mal keine Rolle, jeder kann sich bewerben. Seit heute ist ja über unsere Homepage die Bewerbung möglich, es läuft gut vier Wochen, bis 15. Februar. Übrigens haben sich schon heute Morgen sehr viele junge Leute für den Test eingeschrieben. Und dann wird ja sogar prämiert, wer aus nichtakademischem Elternhaus kommt oder BAföG-Empfänger ist, zahlt nur 25 Euro, die anderen müssen 50 Euro zahlen.

    Götzke: Bei der Anmeldung?

    Teufel: Bitte?

    Götzke: Bei der Anmeldung.

    Teufel: Bei der Anmeldung.

    Götzke: Aber wie wollen Sie jetzt dieser Problematik entgegenwirken – also tatsächlich schlechtere Noten und trotzdem ein Stipendium?

    Teufel: Na ja, zunächst mal für die Einladung in das Auswahlseminar muss man nur zu den Testbesten gehören, also man muss es schaffen, zu dem besten Drittel derer zu gehören, die an dem Test teilnehmen. Das ist also auch für Leute mit Abitur 2,5 oder 2,1 oder vielleicht sogar 2,9 oder 3,1 eine lösbare Aufgabe. Dann wird man eingeladen ins Auswahlseminar, und die Erfahrung des letzten Jahres zeigt, dass dann die Chancen sehr gut sind, auch ein Stipendium zu bekommen. Sie sind sogar etwas höher, als wenn man von der Schule vorgeschlagen wird.

    Götzke: Die Philosophie bei der Studienstiftung des Deutschen Volkes ist ja, die Begabtesten in der Bundesrepublik bekommen die Stipendien. Soll das beibehalten werden oder fließen jetzt auch andre Kriterien mit rein, eben das Kriterium Erstakademiker, Eltern oder Migration?

    Teufel: Also zunächst mal soll beibehalten werden, dass wir natürlich Leute auswählen und auch fördern wollen, die zu den Besten gehören, also akademische Exzellenz in der Universität erwarten lassen oder von der Schule her auch schulische Exzellenz mitbringen, aber das machen wir nicht nur an den Noten dingfest. Es gibt Unterschiede: Je nach Herkunft wissen wir, dass vielleicht ein junger Mann mit Migrationshintergrund oder eine junge Frau aus bildungsfernem Elternhaus nicht die gleichen Chancen hatte, auch um eine 1,0 in der Schule zu machen – selbst da gibt es, glaube ich, schon Differenzierungen.

    Götzke: Das Problem, das dahintersteckt, ist ja, dass das deutsche Bildungssystem im Vergleich zu anderen besonders selektiv ist, was die soziale Herkunft angeht. Müsste man da nicht eigentlich schon früher ansetzen als im Studium?

    Teufel: Ja, man müsste früher ansetzen. Die PISA-Studie zeigt ja, dass in den Schulen im Grunde da das Hauptproblem liegt, dass wir nicht in der Lage sind, im deutschen Schulsystem jedem eine gleiche Chance zu bieten und demnach auch international dann der Durchschnitt nach unten sinkt. Da ist also viel zu tun. Aber ich finde, jede Institution, die mit Bildung zu tun hat, soll an ihrer Stelle versuchen, mehr Bildungsgerechtigkeit herzustellen. Und wir sind eben an der Nahtstelle zwischen Schule und Studium, und ich meine, es ist keineswegs zu spät, da noch was zu tun, denn die meisten haben ja noch fünf Jahre Studium und vielleicht noch zwei oder drei Jahre Promotion vor sich, also da kann man noch enorm eingreifen. Und ich glaube, dass unser Förderprogramm durchaus dazu geeignet ist, auch Defizite noch mal auszugleichen.

    Götzke: Vielen Dank, Gerhard Teufel von der Studienstiftung des Deutschen Volkes! Ab heute können sich interessierte Studierende bewerben. Mehr Infos unter studienstiftung.de.