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Die Opposition nennt es eine Maskerade

Bei seinem Amtsantritt vor zehn Jahren hatte Abdelaziz Bouteflika eine Demokratisierung Algeriens versprochen. Doch tatsächlich wurden seit 1999 die politischen Freiheiten Schritt für Schritt eingeschränkt. Und als Präsident hat Bouteflika dafür gesorgt, dass seiner Wiederwahl nichts und niemand im Weg steht.

Von Claudia Altmann | 08.04.2009
    Ein ganz normaler Nachmittag auf dem Platz "Emir Abdelkader" im Stadtzentrum von Algier. Junge Mädchen - verschleiert und unverschleiert - flanieren untergehakt an den Geschäften vorbei. Auf den Bänken rund um das riesige Reiterdenkmal des Nationalhelden sitzen Großväter und schauen ihren Enkelkindern beim Spielen zu. Die Schlange beim Eismann sorgt für Ministaus auf dem Trottoir. In der Milchbar an der Ecke zur "Rue Ben M'Hidi" vertreiben sich die Herren der Schöpfung die Zeit bei Tee und Kaffee. Weder sie noch die anderen Leute auf dem Platz nehmen Notiz von dem Wahlkampfbüro, das sich nur wenige Schritte weiter befindet.

    Stoisch lassen sich die Menschen von den Lobgesängen auf Abdelaziz Bouteflika berieseln. Der algerische Staatspräsident stellt sich als unabhängiger Kandidat bei den morgen anstehenden Wahlen. Meterhohe Plakate zeigen den 72-Jährigen vor strahlendem Blau - in staatsmännischer Pose - meist mit einer Friedenstaube und oft von traditionell gekleideten Mädchen oder von Kindern umringt. Die kleineren Ausgaben seines Konterfeis zieren allerorten das Straßenbild. Wahlkampfbüros wie das am Platz "Emir Abdelkader" sind über das ganze Land verteilt. Dieser Staatsgeld fressenden Wahlmaschinerie haben die fünf den Menschen überwiegend unbekannten Gegenkandidaten so gut wie nichts entgegenzusetzen. Zwei große Oppositionsparteien haben daher zum Wahlboykott aufgerufen und ihre Kandidaten zurückgezogen. Wie sie gehen auch viele Algerier davon aus, dass der Ausgang der Wahl von den im Hintergrund agierenden Militärs bereits festgelegt wurde. Das meint auch der oppositionelle Publizist Arezki Ait Larbi:

    "Ich denke, dies ist die unbedeutendste Wahlkampagne der vergangenen Jahre. Zum einen, weil es im Grunde um nichts geht. Das Ergebnis ist schon vorher bekannt. Abgesehen vom Präsidentenkandidaten im Amt haben die anderen Bewerber auch nicht das Format, dieser Kampagne Würze zu verleihen. Zudem spiegeln die Themen, um die es geht, nicht das wider, was die Gesellschaft tatsächlich beschäftigt. Den Menschen geht es vor allem um die bürgerlichen Freiheiten, es geht um die Politik. Das größte politische Problem, das Demokratiedefizit, ist wie in den vergangenen zehn Jahren, wieder nicht thematisiert worden."

    Dabei hatte Bouteflika bei seinem Amtsantritt 1999 versprochen, das Land auf den Weg der Demokratie zu bringen. Tatsächlich aber wurden unter seiner Herrschaft die politischen Freiheiten wie auch die Pressefreiheit immer mehr eingeschränkt. Zuletzt noch hatte Bouteflika im Vorfeld der jetzigen Wahlen der Bevölkerung sein Verständnis von Demokratie klargemacht. Er ließ vom Parlament kurzerhand jenen Artikel in der Verfassung ändern, der die Amtszeit des Präsidenten auf zwei Mandate begrenzt hatte. Zuvor hatte er die Diäten der Abgeordneten erhöht. Damit war der Weg für seine dritte Amtszeit geebnet. Viele Algerier sind enttäuscht, dass sich ihr Land damit in die Reihe der afrikanischen Diktaturen einreiht, deren Führer sich auf Lebenszeit an ihrem Stuhl festklammern. Dies umso mehr, als das Land in seiner jungen Geschichte bereits hoffnungsvollere Zeiten und auch spannendere Wahlkämpfe erlebt hat.

    In den 1980er-Jahren hatte eine schwere wirtschaftliche Krise das Ende der Einparteienherrschaft eingeleitet. Bis dahin hatte die Nationale Befreiungsfront FLN regiert. Unter ihrer Herrschaft hatte sich Algerien 1962 nach achtjährigem opferreichem Kampf von der Kolonialmacht Frankreich unabhängig gemacht. Eine schlechte Wirtschaftsführung und der drastische Verfall des Erdölpreises auf dem Weltmarkt stürzten den zweitgrößten Staat auf dem afrikanischen Kontinent jedoch in eine tiefe Schuldenkrise. Neben Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot führten vor allem die unverhohlene Vettern- und Clanwirtschaft zu einem rasanten Vertrauensverlust bei der Bevölkerung. Nach Unruhen im Oktober 1988 gab die FLN ihren Alleinherrschaftsanspruch daher auf und liberalisierte die Wirtschaft. Von Planwirtschaft und sozialistisch angehauchten Ideen enttäuscht suchten indes viele Menschen Halt in den Versprechungen der religiösen Opposition.

    Zu den etwa 60 zugelassenen Parteien jeglicher Couleur gehörte auch die Islamische Heilsfront FIS - obwohl die Verfassung Parteien mit religiösem oder regionalem Hintergrund ausdrücklich verbietet. Die Machthaber der FLN aber fühlten sich fest im Sattel und ließen die FIS gewähren - um den Unzufriedenen möglich zu machen, ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Und um die FIS als Gegenpol zu modernistischen Strömungen zu instrumentalisieren.

    Doch die Versprechungen der FIS-Führer von einem "Gottesstaat mit Gerechtigkeit und Wohlstand für alle" kamen bei Algeriens Bevölkerung an. Nachdem die FIS bei den ersten freien Kommunalwahlen 1989 die Stadt- und Gemeinderäte erobert hatte, gewann sie auch die erste Runde der Parlamentswahlen 1991. Das ging den Machthabern dann doch zu weit, denn es hätte das Ende ihrer Privilegien bedeutet. Kurzerhand verhinderten die Militärs die Machtergreifung der Islamisten durch den Abbruch der Wahlen. Die FIS wurde verboten und ihre Führer zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Ihre Anhänger reagierten mit Gewalt. Die Sicherheitskräfte - Geheimdienst und Militär - mit Gegengewalt, bei der auch Unschuldige getötet wurden. Das Land stürzte in einen 15 Jahre anhaltenden bewaffneten Konflikt. Die Folgen: Mehr als 200.000 Tote, Tausende Vermisste und Vertriebene im eigenen Land, materielle Schäden in Milliardenhöhe und die internationale Isolation Algeriens. Der Oppositionelle Larbi bilanziert:

    "Wenn es eine Besonderheit des algerischen Fundamentalismus gibt, dann ist es seine extreme Brutalität. Das hat man in anderen arabischen Ländern nicht gekannt. Ein weiterer Punkt ist die Nähe dieses Fundamentalismus zu den Machthabern. Einige sprechen von zwei Seiten derselben Medaille. Ich glaube, diese Definition trifft es am besten."

    Mit dem Amtsantritt Bouteflikas vor zehn Jahren gewannen schließlich jene Kräfte die Oberhand, die nicht mehr auf eine militärische Lösung, sondern auf einen Kompromiss mit den Islamisten setzen. Bouteflika amnestierte Zehntausende Untergrundkämpfer und garantierte ihnen einen Neustart in der Gesellschaft. Das Gesetz der "Nationalen Versöhnung" amnestiert gleichzeitig auch Angehörige von Militär und Polizei, die sich blutiger Verbrechen schuldig gemacht haben. Dagegen werden Hinterbliebene von Terroropfern vom Staat eingeschüchtert. Ihre Forderungen nach Aufklärung des Geschehenen und Bestrafung der Verantwortlichen bleiben bis heute ungehört. "Amnesty International" hat erst in diesen Tagen diese Art der Straffreiheit erneut scharf kritisiert.

    Dennoch setzt Bouteflika weiter auf seine von ihm verordnete Versöhnungspolitik. Sein Ziel ist es, auch den harten Kern der bewaffneten Islamisten wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Bei einer seiner Wahlveranstaltungen wandte er sich selbst an die algerischen Kämpfer von "El Qaida des Islamischen Maghreb", einer Terrorgruppe, die sich zu mehreren blutigen Anschlägen bekannt hat - und fand dabei den Beifall der von seinem Wahlkampfstab geladenen Gäste im Saal.

    "Es ist völlig klar, dass wir Frieden, Sicherheit und Stabilität brauchen, wenn wir vorankommen wollen. Wir müssen die Fälle regeln, die noch offen sind, und das muss sofort geschehen. Wir richten - gemeinsam mit euch - erneut einen brüderlichen Appell an jene, die unser Land unter dem Terror leiden lassen. Wir hegen weder Hass noch Abscheu gegen sie. Doch sie müssen sich wieder in die nationale Gemeinschaft eingliedern. Denen, die dazu bereit sind, rufen wir ein dreifaches 'Herzlich Willkommen' entgegen."

    In der so offensichtlichen Allianz zwischen Machthabern und Islamisten sehen Kritiker indes eine deutliche Gefahr für den Aufbau eines modernen Staates.

    "Ich habe den Eindruck, dass alles getan wurde, um die bewaffneten Islamisten - zumindest einen Teil von ihnen - zu entwaffnen. Doch zugleich fand - im Gegenzug - eine Islamisierung der militärischen Machthaber statt. Und in den 1990er-Jahren, in den Jahren des islamistischen Terrors, als die Menschen ihre Toten gezählt haben, als die Menschen um das tägliche Überleben gekämpft haben, haben die Fundamentalisten aus dem Untergrund heraus dennoch ihr Gedankengut in die Gesellschaft pflanzen können. Sie müssen sich doch nur im Zentrum Algiers die wachsende Zahl von Geschäften ansehen, die Schleier für die Frauen und Djallabas für die Männer verkaufen. Die islamistische Anzugsordnung. Es ist frappierend, wie sich die Gesellschaft innerhalb von 15 Jahren verändert hat, wie die Menschen in dieses Lager gewechselt sind."

    Eine Tendenz, die auch eine Studie bestätigt, die vom Algierer "Dokumentationszentrum für Frauen und Kinder" in Auftrag gegeben wurde. Darin wird das Verhalten in der Gesellschaft im Vergleich zu 2001 beleuchtet. Was die Studie ans Licht gebracht hat, ist für die Vorsitzende des Zentrums, Nadia Ait Zai, beunruhigend.

    "Die ersten Ergebnisse haben uns vor allem ratlos gemacht. Die Studie von 2008 zeigt, dass sich das Verhalten der Algerier verändert hat, dass sich nichts vorwärts bewegt hat, sondern teilweise sogar rückwärts entwickelt. So haben wir unter anderem Männer danach gefragt, was sie ihren Frauen verbieten. Die Antworten waren: aus dem Haus gehen und einer Arbeit nachgehen. Derlei Haltungen stehen im Gegensatz zu den Bemühungen des Staates bei der Erziehung der Mädchen und bei der gleichberechtigten schulischen Ausbildung. Wenn die Mädchen also aus der Schule kommen und ins Leben hinausgehen wollen, sind sie mit Verboten konfrontiert. So etwas können wir 50 Jahre nach Erlangung der Unabhängigkeit nicht zulassen und auch nicht akzeptieren."

    Die Anwältin und Juraprofessorin sieht die Gründe für die rückwärtsgewandte Haltung in der jüngsten Geschichte und im Einfluss islamistischer Kräfte.

    "Auf die Gesellschaft wurde Druck ausgeübt mit dem Ziel, dass die Kinder nicht mehr zur Schule gehen, Mädchen erst gar nicht eingeschult werden, den Schleier tragen. Heute wollen 80 Prozent der Bevölkerung, dass Mädchen ein Kopftuch tragen. Aber wenn sie die Betroffenen selbst fragen, bekommen sie zur Antwort: Wenn ich ein Kopftuch trage, kann ich aus dem Haus gehen, mich frei bewegen, und ich bin geschützt. Keine der Befragten hat das Tragen des Schleiers mit dem Glauben begründet. Das liegt an den zehn, fünfzehn Jahren Terror, die wir durchlebt haben. An all den Verboten, die die Terroristen der Gesellschaft auferlegt haben. Und die große Mehrheit der Bevölkerung hat sich diese Verbote zu eigen gemacht. Hier müssen die staatlichen Einrichtungen eingreifen und sich um die Gesellschaft kümmern. Der Staat ist es, der das Verhalten seiner Bürger prägen muss."

    Der Terrorismus hat tiefe Wunden geschlagen und viele sind noch unverheilt. Dennoch hat Bouteflika mit seiner Versöhnungspolitik auch Befürworter gefunden. Durch die Eindämmung des Terrorismus ist es ihm gelungen, dem Land wieder die nötige Ruhe für wirtschaftliche Aktivitäten zu geben. Auch für Yasmina Taya ist wieder so etwas wie Normalität eingezogen. Seit 1979 hat sie als Mittelständlerin alle Höhen und Tiefen durchlebt, die Zeiten der Planwirtschaft und auch die Terrorjahre. Seit mehreren Jahren steht sie dem Verband der algerischen Unternehmerinnen vor.

    "Für mich trägt die Politik der nationalen Versöhnung seit einigen Jahren ihre Früchte. Es gab Zeiten, da konnte ich nicht im Lande reisen, wie ich wollte. Als Vorsitzende unseres Verbandes bin ich keine Unbekannte. Ich konnte nicht auf öffentliche Plätze gehen. Heute dagegen - klopfen wir auf Holz - gibt es nur noch einige vereinzelte Anschläge. Davor ist mittlerweile kaum ein Land dieser Welt gefeit."

    Für die Unternehmerin Yasmina Taya geht es seit einigen Jahren aufwärts:

    "Ich persönlich interessiere mich nicht für Politik. Aber ich unterstütze leidenschaftlich Präsident Bouteflika. Warum? Weil wir sehen, dass er sich Gedanken macht und eine Strategie verfolgt. Ich meine nicht nur die nationale Versöhnung, sondern auch die großen Projekte, die in Angriff genommen wurden. Nehmen wir nur die Ost-West-Autobahn oder die Staudämme. Wir dürfen nicht vergessen, dass es in diesem Land Städte gab, die manchmal zwei Wochen lang kein Wasser hatten. Die wichtigsten Probleme mussten also zuerst angepackt werden.

    Sicherlich hat sich die Situation für die algerischen Betriebe noch nicht verbessert. Es gibt immer wieder Rückschläge. Aber der Staat ergreift Schritt für Schritt Maßnahmen zugunsten der Unternehmen."

    160 Milliarden Dollar hat Bouteflika in ein umfassendes Programm zur Ankurbelung der Wirtschaft gesteckt. Vor allem die Infrastruktur soll verbessert werden. Mittlerweile ist Algerien fast schuldenfrei. Dank der reichen Erdöl- und Erdgasreserven fließt genug Geld in die Staatskassen, um ehrgeizige Großprojekte zu finanzieren. Ein neuer internationaler Flughafen ist entstanden. Allmählich wird das Straßen- und Schienennetz modernisiert. In Algier soll in diesem Jahr die Linie 1 der ersten Metro des Landes ihren Betrieb aufnehmen. Die Tunnel werden von einer deutschen Firma gegraben. Ein französisches Unternehmen bekam den Zuschlag für die Ausrüstung mit Schienen- und Fahrzeuganlagen. Außerdem sollen in den nächsten Jahren mehr als eine Million Wohnungen entstehen. Die meisten werden allerdings von chinesischen Bauarbeitern hochgezogen.

    Viele ehemalige Staatsbetriebe wurden mittlerweile privatisiert. Die lukrativsten von ihnen befinden sich heute im Besitz ehemaliger Militärs oder einflussreicher Personen aus dem Machtgefüge. Die Bürokratie ist schwerfällig und undurchsichtig. Die Korruption blüht. Das Bankwesen ist erst dabei, sich internationalen Standards anzupassen. Die Berufs- und Hochschulausbildung entspricht weder quantitativ noch qualitativ den Bedürfnissen. Die Landwirtschaft in dem einstigen Agrarland deckt nicht einmal mehr ansatzweise den Eigenbedarf. Algerien muss fast sämtliche Lebensmittel importieren. Unter diesen Bedingungen ist es für kleine und mittlere Unternehmen nach wie vor schwer, sich am Markt zu behaupten. Dabei wären gerade sie wichtig, um Arbeitsplätze zu schaffen. Die Bevölkerung ist jung. Drei Viertel der Algerier sind jünger als 30 Jahre. Die Arbeitslosigkeit wird von Experten auf 30 Prozent geschätzt.

    Doch solange sich der Staat auf die Einnahmen aus dem Erdöl- und Erdgassektor stützen kann, geht alles gut. Die staatliche Firma Sonatrach erwirtschaftet 90 Prozent der Deviseneinnahmen. An die Zeit danach scheint die Führung des Landes nicht ernsthaft zu denken. Es sind vielmehr die kleinen Unternehmen, die die Zeichen der Zeit erkannt haben. Zu ihnen gehört die Unternehmerin Louisa Dafri aus dem ostalgerischen Annaba.

    "Ich werde ihnen etwas sagen: Erdöl und Erdgas haben aus dem Algerier einen Menschen gemacht, der nichts tut. Früher war Algerien die Kornkammer Europas. Auch heute fehlt es nicht etwa an der landwirtschaftlichen Nutzfläche oder am Wasser, sondern am Bauern, der das Feld bestellt. Ohne den geht nichts. Stattdessen ist Algerien ein Land der Verbraucher geworden. Aus aller Herren Länder kommen sie zu uns und werfen ihre Waren ab und ihre Verpackungen natürlich gleich mit. Unser Land ist zu einem Souk, zu einem großen Markt geworden. Aber es wird nichts produziert."

    Die kleine dynamische Frau will dagegenhalten. Vor fünf Jahren hat sie ihren Beruf als Gymnasiallehrerin für Biologie an den Nagel gehängt und leitet seitdem eine eigene Fabrik.

    Ihre Firma "DAF Cellulose" in Annaba. Hier wird in zwei großen Fabrikhallen Papier recycelt. 300 Tonnen im Monat. Die Abfälle kommen aus der Stadt und ihrer Umgebung. Das gewonnene Material dient als Rohstoff für die Weiterverarbeitung zu Verpackungsmaterial und wird zum größten Teil ins Ausland verkauft. Louisa Dafri beschäftigt 30 vor allem junge Mitarbeiter. So den 25-jährigen Yacine. Er hat Glück, denn er hat Arbeit. Viele andere junge Algerier nicht. Sie sehen in ihrem Heimatland keine Zukunft und wollen nach Europa. Nicht so Yasine:

    "Es gefällt mir hier. Wenn mir die Arbeit keinen Spaß machte, wäre ich schon längst gegangen. Ich habe hier vor fünf Jahren angefangen. Aus Algerien will ich nicht weg. Ich muss mich um meine Eltern kümmern. Das kann ich ihnen nicht antun. Außerdem hab ich ja hier meine Arbeit."

    Die, die weg wollen, werden "Harraga" genannt, "jene, die durchbrennen." Von Annabas Küste aus stechen sie mit kleinen Booten in See und versuchen Sardinien zu erreichen. Die Überfahrt ist teuer und lebensgefährlich. Wenn sie von der Küstenwache erwischt werden, droht ihnen Gefängnis. Jetzt ist es noch zu stürmisch. Aber sobald das Wetter besser wird, werden sie wieder im Schutz der Dunkelheit in Scharen aufbrechen.

    Mohamed Taufiq hat es schon mehrmals versucht. Vergeblich. Einmal war er schon kurz vorm Ziel, doch das hätte er fast mit dem Leben bezahlt.

    "Wir waren 14 Leute und haben das Geld zusammengelegt. 600 Euro pro Person. Davon haben wir ein Boot gekauft und einen Motor in Algier. Wir haben es zwei Mal versucht. Beim ersten Mal mussten wir wieder umkehren, weil der Wind so stark war. Aber die zweite Überfahrt verlief erstmal ohne Probleme. 17 Stunden waren wir schon unterwegs. Das Meer war ruhig. Aber morgens gegen zehn Uhr kam ein Sturm auf. Unser Boot wurde hin und hergeworfen. Überall war Wasser. Wir dachten, wir müssten sterben. Da haben wir dann versucht, uns gegenseitig Mut zu machen. Es war einfach furchtbar. Sieben Stunden später hat uns dann die italienische Marine gerettet."

    "Die, die weg sind, haben das getan, um Geld zu verdienen und dann wieder zurückzukommen. Denn in Algerien gibt es keine Arbeit. Und selbst wenn man Arbeit hat, kommt man nicht über die Runden. Als ich es versucht habe, war ich davon überzeugt, dass ich es schaffen werde. Ich habe nicht an den Tod gedacht. Für mich war es der einzige Weg. Und ich habe an Gottes Hilfe geglaubt. Wenn ich die Chance noch einmal bekomme, tue ich es wieder. Auf jeden Fall."

    Solange die Jugendlichen keine Lobby in der Führung des Landes haben, solange die Machtpositionen und Reichtümer unter den ehemaligen Befreiungskämpfern und deren Gefolgsleuten aufgeteilt werden, wird sich an ihrer Situation nichts ändern. Auch den jetzigen Versprechungen der Präsidentschaftskandidaten fehlt es an Glaubwürdigkeit. Zu oft wurden die nachwachsenden Generationen in den vergangenen Jahrzehnten bereits enttäuscht. Und so sitzen sie weiter an den Stränden Algeriens, blicken aufs Meer und träumen von Europa: In den MP3-Playern die Musik des Rappers aus Annaba, Lotfi Double Kanon. "In meinem Kopf ist ein einziger Alptraum. Denn ich habe genug von allem. Cauchmar."