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Die Pariser Verträge

Kurz nach 20 Uhr landete heute Abend die Sondermaschine der Air France auf dem Flugplatz Köln-Wahn, die den Bundeskanzler mit seiner Begleitung aus Paris wieder in die Bundeshauptstadt brachte. Ohne Hut und Mantel entstieg der Kanzler im dunklen Anzug dem Flugzeug und begrüßte etwas geblendet durch das grelle Scheinwerferlicht der Wochenschauen Vizekanzler Bücher und die übrigen Herren der Regierung, die zu seiner Begrüßung erschienen waren.

Von Matthias Rumpf | 23.10.2004
    Als am 23. Oktober 1954 Bundesregierung und Presse den Kanzler empfingen, trafen sie einen seit langem zum ersten Mal wieder fröhlichen Konrad Adenauer:

    Ich komme eben von Paris. Die Verhandlungen sind, ich glaube das kann ich sagen, zu aller Zufriedenheit ausgegangen.

    Was Adenauer an diesem Tag im Gepäck führte, waren die Pariser Verträge, die Deutschland nach jahrelangem und quälendem Lavieren in die westeuropäische Verteidigungspolitik eingebunden haben. Nach dem Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft mit einer Europaarmee sollte nun die Bundesrepublik gemeinsam mit Italien als gleichberechtigter Partner in die Nato aufgenommen werden und mit der Bundeswehr einen eigenen Beitrag zur Verteidigung des Westens leisten. Vor allem Frankreich hatte sich bis zuletzt gegen diese Möglichkeit gewehrt. Erst ein Zugeständnis Großbritanniens konnte die Grande Nation umstimmen.

    Die britische Regierung hat eine wahrhaft historische Entscheidung getroffen, mit der unser großer Freund mit einer Jahrhunderte langen Tradition bricht und die für Europa eine bemerkenswerte Sicherheitsgarantie bedeute. Es geht um vier Divisionen und so genannte taktische Luftstreitkräfte, die England unter allen Bedingungen auf dem Kontinent halten will. Drei dieser Divisionen sind gepanzert und die Luftstreitkräfte gehören zu den bedeutendsten und stärksten der Welt.

    Erklärte der französische Premier Pierre Mendès France Anfang Oktober aus London, wo die wesentlichen Teile der Pariser Verträge ausgehandelt wurden. Und die Briten machten noch mehr Zugeständnisse. Mendès:

    Großbritannien überlässt es den Mitgliedern des Brüsseler Paktes, also den sieben Mächten, in Mehrheitsentscheidung darüber zu befinden, ob diese Truppen bleiben oder sich zurückziehen. Es handelt sich um die Aufgabe eines Teiles seiner Souveränität, der Großbritannien damit freiwillig zustimmt.

    Auch gegenüber Deutschland setzte Paris zahlreiche Einschränkungen durch. So sollte die neu gegründete Westeuropäische Union die deutsche Rüstungsindustrie beaufsichtigen und kontrollieren, dass Deutschland keine atomaren, biologischen oder chemischen Waffen baut. Gleichzeitig willigte Deutschland ein, die Bundeswehr - geplant waren 12 Divisionen und 500.000 Mann – auch in Friedenszeiten dem Nato-Oberbefehl zu unterstellen. Ein deutscher Generalstab, der die neue Armee hätte eigenständig führen können, wird erst gar nicht gegründet.

    War Frankreich mit diesen Garantien zufrieden, entbrannte in Deutschland eine heftige Debatte über die Pariser Verträge und die damit verbundene Wiederbewaffnung. Opposition und große Teile der Öffentlichkeit glaubten, dass die Bundesregierung mit ihrer Politik eine Chance auf Entspannung mit der Sowjetunion und auf eine Vereinigung Deutschlands verspielte, die nach dem Tod Stalins möglich geworden war. Der SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer sagte noch vor der Pariser Konferenz im Bundestag.

    Nach unserer Überzeugung gab das Scheitern der EVG-Politik der Bundesrepublik die Chance für einen neuen Start in ihrer Außenpolitik. Und dieser neue Abschnitt in der Außenpolitik musste nach unserer Meinung mit der Fragestellung beginnen, ob und wie wir der Lösung der vordringlichsten Aufgabe der deutschen Politik, nämlich der Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit, näher kommen könnten.""

    Trotz erbitterten Widerstands ratifizierte der Bundestag am 27. Februar 1955 die Pariser Verträge. Neben der Nato-Mitgliedschaft brachten sie zumindest für die Deutschen in der Bundesrepublik ein Stück Normalität. Denn als die Abkommen am 5. Mai 1955 in Kraft traten, wurde fast zehn Jahre nach der Kapitulation das Besatzungsstatut über Westdeutschland beendet.