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"Die Partei liebt sie nicht"

Angela Merkel feiert ihr zehnjähriges Jubiläum als CDU-Vorsitzende. Doch selbst nach so langer Zeit sind sich Parteibasis und Chefin fremd geblieben, so die These des ehemaligen "FAZ"-Herausgebers Hugo Müller-Vogg. Sie habe die Partei nie als Familie und Heimat betrachtet, sondern als reines Machtinstrument.

Hugo Müller-Vogg im Gespräch mit Friedbert Meurer | 09.04.2010
    Friedbert Meurer: Vor zehn Jahren wählte die CDU erstmals in ihrer Geschichte eine Frau zur Bundesvorsitzenden. Angela Merkel feiert morgen ihr zehnjähriges Dienstjubiläum als CDU-Chefin. Helmut Kohl hatte die Partei vorher - sage und schreibe - ein viertel Jahrhundert lang geführt. Anschließend folgte ein kurzes Interregnum mit Wolfgang Schäuble, der aber auch über die Spendenaffäre stürzte.

    Klein hat Angela Merkel angefangen, als stellvertretende Pressesprecherin des Demokratischen Aufbruchs in der Wendezeit in der DDR. Dann war sie Kohls "Mädchen", erst als Frauen-, dann als Umweltministerin, bis sie dann 1999 aktiv zum Sturz ihres Mentors beitrug.

    Angela Merkel: "Helmut Kohl hat Fehler gemacht, das ist unstrittig, und er hat uns damit auch eine offene Flanke hinterlassen, und wir müssen mit beidem leben. Und wir wollen eine Zukunft haben und wir wollen ehrlich über unsere Vergangenheit sprechen."

    Meurer: Angela Merkel über die Folgen der Spendenaffäre damals. Hugo Müller-Vogg war 1999 "FAZ"-Mitherausgeber, er hat dann auch einen Gesprächsband mit Angela Merkel publiziert mit dem Titel "Mein Weg". Guten Tag, Herr Müller-Vogg.

    Hugo Müller-Vogg: Guten Tag, Herr Meurer!

    Meurer: Angela Merkel als Generalsekretärin - das war sie ja damals - hat 1999 den berühmten offenen Brief bei Ihnen in der "FAZ" veröffentlicht, in dem sie auf Distanz zu Helmut Kohl gegangen ist. Können Sie sich daran erinnern, wie das abgelaufen ist?

    Müller-Vogg: Ja. Das lief damals ganz interessant ab. Sie rief den Kollegen Feldmeyer in der Berliner Redaktion an, der für die CDU-Berichterstattung zuständig war, und bot von sich aus einen Artikel an. Feldmeyer sagte nach Rücksprache mit der Zentrale zu und kurz darauf war der Artikel auch schon da.

    Das heißt, die Anfrage, ob man Interesse an einem Artikel hätte, hieß nicht, sie wollte einen Artikel schreiben, sondern der lag schon da, und ich glaube, wenn die "FAZ" ihn nicht veröffentlicht hätte, dann hätte sie ihn sofort einer anderen Zeitung angeboten.

    Meurer: War Schäuble informiert über den Brief?

    Müller-Vogg: Nein! Das war ja im Grunde ein großes Risiko, das sie damals einging. Sie schrieb als Generalsekretärin hinter dem Rücken des Vorsitzenden einen Artikel, in dem sie die Partei aufforderte, sich von Helmut Kohl abzunabeln, und ich habe sie mal gefragt, ob Schäuble das gewusst habe. Sie sagte Nein, und dann sagte ich, wieso haben sie das eigentlich nicht gesagt. Darauf sagte sie, weil ich befürchtet habe, er würde mir das untersagen.

    Meurer: War der Brief ein Putsch gegen Schäuble und Kohl, oder weder noch?

    Müller-Vogg: Das war kein Putsch gegen Schäuble, aber es war die Aufforderung der Union, mit Helmut Kohl zu brechen, und das war schon ein Vorgang, der eigentlich in der Geschichte der Union bis dato ohne Beispiel war.

    Meurer: Warum hat ihr das nicht geschadet, dass sie mit Helmut Kohl, der Ikone der CDU, gebrochen hat?

    Müller-Vogg: Nun gut, Helmut Kohl hatte die Wahl verloren gehabt. 1998 war eine bittere Wahlniederlage. Die CDU war zurückgesunken auf den für sie deprimierenden Status der zweitstärksten Fraktion im Bundestag. Das gab es ja nur zweimal: 1972 und 1998. Normalerweise betrachtete sich die CDU als die strukturelle Mehrheitspartei.

    Die Partei war in Aufruhr durch diese Spendenaffäre. Die CDU stellte damals sieben Ministerpräsidenten in 16 Bundesländern. Der Kanzler war SPD, der Bundespräsident war SPD, der Bundestagspräsident war SPD-Mann. Die Union war so tief am Boden, dass dann im Grunde, glaube ich, auch viele, die innerlich mit Kohl doch noch verbunden waren, aber sagten, wir müssen irgendwie einen Neuanfang machen.

    Meurer: Die Art und Weise, wie Angela Merkel damals die Ära Kohl beendet hat, war das ein Beispiel, das illustriert, machtpolitisch ist sie durchaus in der Lage, alle Register zu ziehen und Kontrahenten aus der Partei aus dem Weg zu räumen?

    Müller-Vogg: Ja. Sie macht das ganz nüchtern. Der Beiname Physikerin der Macht kommt ja nicht von Ungefähr. Da ist weniger Herzblut drin als die ganz nüchterne Überlegung: Wenn ich den nicht wegräume, dann steht der mir im Weg und ich falle drüber, insofern wird er weggeräumt. Sie hat ja dann auch nach 2002 Friedrich Merz als Fraktionsvorsitzenden auf ähnlich kühle Weise abserviert.

    Meurer: Zehn Jahre ist sie jetzt Fraktionsvorsitzende, sie ist Bundeskanzlerin. Ihre Machtposition, heißt es immer wieder in der CDU, gilt als völlig unangefochten. Aber liebt die Partei sie?

    Müller-Vogg: Nein, die Partei liebt sie nicht. Die Partei respektiert sie. Nichts ist erfolgreicher als der Erfolg in der Politik. Deshalb sind auch Landesvorsitzende und Kreisvorsitzende, die sie eher kritisch sehen, mit ihr insofern zufrieden, dass sie die Partei wieder in die Bundesregierung geführt hat. Heute stellt die CDU elf Ministerpräsidenten in 16 Ländern. Die CDU ist die mit Abstand stärkste Partei im Bundestag. Solange sie Erfolg hat, hat sie in der Partei keinen Aufstand zu fürchten.

    Meurer: Aber das ist kein Grund, sie zu lieben?

    Müller-Vogg: Nein. Wenn sie morgen, glaube ich, eine Wahl verlieren würde, hätte sie nicht die Loyalität, auf die Helmut Kohl in Zeiten zählen konnte, wo es schlechter war.

    Meurer: Ist das so, weil sie ostdeutsch ist, evangelisch ist, eine Frau ist?

    Müller-Vogg: Nein. Das ist so, weil sie im Grunde anders als Kohl die Partei nicht als Familie und Heimat betrachtet, sondern als reines Machtinstrument. Sie hat zur Partei ein ganz nüchternes Verhältnis. Die Partei ist ein Apparat, der ihr hilft, an die Macht zu kommen, an der Macht zu bleiben, aber da ist kein Herzblut dabei und das spürt die Partei und das würde die Partei, wenn sie politisch Misserfolg hätte, sie dann auch ebenso spüren lassen.

    Meurer: Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff soll einmal gesagt haben, Angela Merkel führt die Herde von hinten. Was meinte er damit?

    Müller-Vogg: Das ist ein Zitat von Nelson Mandela, der sagte, ein guter Hirte führt die Herde von hinten. Nun kann man ja darüber streiten, ob man die CDU mit einer Schafherde vergleicht oder nicht. Ich würde mal sagen, wenn man die Herde von hinten führt, heißt das, die Herde weiß schon, wo sie hingeht, nämlich sie zieht zur fetten Weide, und der Hirte achtet darauf, dass hinten niemand zurückbleibt.

    Das Bild ist, glaube ich, bei Angela Merkel nicht das passende, denn sie hat ja keine Probleme damit, dass manche Leute ausscheiden und nicht mehr dabei sind.

    Meurer: Würden Sie sich wünschen, dass sie manchmal nach vorne geht, vor die Herde?

    Müller-Vogg: Ich würde mir wünschen, dass sie klarer macht, was eigentlich CDU-Politik heute ist. Es gibt ja dieses berühmte Zitat von ihr, sinnigerweise bei Anne Will, das da lautet, "mal bin ich liberal, mal bin ich konservativ, mal bin ich christlich-sozial". Und das macht die CDU aus. Die CDU hat ausgemacht, die Stärke der CDU war immer, dass man versucht hat, diese drei Wurzeln, das Christlich-Soziale, das Liberale und das Konservative zu verbinden und nicht heute mal so und morgen mal so zu sein. Da ist bei ihr nicht erkennbar, wofür sie eigentlich steht.

    Meurer: Dass die CDU an Profil verloren hat, ist das Angela Merkels Verschulden, oder ist es die zeitliche Entwicklung, dass eine CDU wie noch in den 60er-, 70er-Jahren… und wir schreiben das Jahr 2010 - und sich viel verändert hat?

    Müller-Vogg: Man kann Angela Merkel sicher nicht vorwerfen, dass wir in einer weitgehend säkularisierten Welt leben, dass die kirchlichen Bindungen nicht mehr die Rolle spielen, dass auch was die Werteorientierung angeht wir andere Situationen haben.

    Es ist schwieriger für Parteien, als Überzeugungsgemeinschaften zu agieren, aber ich kann auch nicht erkennen, dass sie ernsthaft Versuche gemacht hat, in diese Richtung zu wirken. Wissen Sie, sie hat es ja geschafft, aus der Großen Koalition heraus Kanzlerin zu bleiben in einer schwarz-gelben Koalition, und das Einzige, was diese neue Koalition im Vergleich zur Großen Koalition geändert hat, das waren zwei eher technische Dinge: bei der Unternehmensbesteuerung und bei der Erbschaftsbesteuerung im Zusammenhang mit Familienunternehmen.

    Ansonsten hat die Kanzlerin mit Schwarz-Gelb gerade weitergemacht, wo sie mit Schwarz-Rot aufgehört hat, und das sagt eigentlich einiges aus über ihren mehr pragmatischen Stil als darüber, dass sie für gewisse Werte kämpft und für diese Prinzipien steht.

    Meurer: Noch mal ganz kurz nachgefragt. Ist, Herr Müller-Vogg, die CDU doch eine brave Schafherde, die da hingeht, wo immer sie hingehen will, und sich treiben lässt?

    Müller-Vogg: Solange der Hirte sie auf eine Weide führt, wo die Mehrheit blüht, solange lässt die CDU sich so treiben.

    Meurer: Der ehemalige "FAZ"-Mitherausgeber und Autor eines Gesprächsbandes mit Angela Merkel, Hugo Müller-Vogg, bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk.

    Morgen feiert Angela Merkel ihr zehnjähriges Jubiläum als Parteivorsitzende der CDU. Schönen Dank, Herr Müller-Vogg. Auf Wiederhören!

    Müller-Vogg: Ich danke Ihnen!