Donnerstag, 25. April 2024

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Die Parteien und die Wirtschaftspolitik
"Das war letztlich ein Verteilungswahlkampf"

Wenn es um die Weichenstellungen für die Zukunft gehe, sei dieser Wahlkampf eine verpasste Chance gewesen, sagte der Ökonom Marcel Fratzscher im Dlf. Die Diskussion über Rentenerhöhungen etwa sei kurzsichtig und gehe zulasten der jüngeren Generation. Dass jede Partei die eigene Klientel bedienen wolle, sei verständlich, aber nicht sinnvoll.

Marcel Fratzscher im Gespräch mit Jörg Münchenberg | 23.09.2017
    Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, bei einer Veranstaltung in Berlin.
    Steuersenkungen, Rentenerhöhungen - kurzsichtige Wahlversprechen, meint Marcel Fratzscher (imago / Emmanuele Contini)
    Jörg Münchenberg: Wahlkampf, das sind immer viele Versprechen, und die Bürger, auf was sie alles hoffen können, wenn sie die oder die andere Partei wählen. Und meistens kosten diese Versprechen dann auch eine Menge Geld. Wobei festzuhalten ist, es geht im Wahlkampf um Maximalpositionen, schließlich hat der Koalitionspartner am Ende dann auch noch ein Wörtchen mitzureden. Am Telefon ist nun der Chef des renommierten Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. Einen schönen guten Morgen nach Berlin!
    Marcel Fratzscher: Guten Morgen!
    Münchenberg: Herr Fratzscher, viele fanden den Wahlkampf ja eher langweilig, was wohl auch daran liegen dürfte, dass es Deutschland ja in diesen Zeiten erstaunlich gut geht. Wie haben Sie jetzt diesen Wahlkampf empfunden, wenn Sie sich mal die wirtschaftspolitischen Positionen der Parteien anschauen?
    "Ich sehe das als eine verpasste Chance"
    Fratzscher: Was die wirtschaftspolitischen Positionen betrifft, ist es leider so, dass alle die üblichen Sachen erwähnt haben – ja, wir müssen mehr für Bildung tun und natürlich ist Digitalisierung wichtig –, aber bei vielen wenig Konkretes rumgekommen ist. Und das Gefühl ist, es ist ein Wahlkampf gewesen, der letztlich ein Verteilungswahlkampf war, wo den Bürgerinnen und Bürgern das Blaue vom Himmel versprochen wurde – Rentenerhöhungen, Steuersenkungen –, aber die wichtigen Zukunftsinvestitionen in Bildung, in Infrastruktur, digitale Infrastruktur, aber auch in Innovation, das eigentlich komplett hinten runtergefallen ist. Und das ist die Tragik, weil diese guten Zeiten, die wir in Deutschland im Augenblick haben, ja absolut alles ermöglichen, um wirklich die Weichenstellung für die Zukunft so zu setzen, dass man gute Jobs, den Wohlstand für die Zukunft sichern kann. So gesehen, sehe ich das als eine verpasste Chance.
    Münchenberg: Sie haben die Digitalisierung der Arbeitswelt angesprochen. Das spielt ja bei allen Parteien tatsächlich eine wichtige Rolle. Alle setzen auf Breitband, auf schnelle Netze. Die FDP will sogar einen eigenen Digitalminister. Andererseits, und dazu gehören Sie auch, sagen viele, Deutschland ist hier schon in Gefahr, einen wichtigen Trend zu verschlafen, mit der starken Industriebasis, die wir im Augenblick ja haben. Aber trotzdem haben die Parteien gesagt, wir wollen da etwas ändern. Also kann man sagen, Problem erkannt, es wird sich eben vielleicht doch was ändern?
    "Die Überschüsse sind ja einfach nur Glück"
    Fratzscher: Das ist die Hoffnung, dass sich etwas ändern wird. Aber nochmals: Hier geht es ja auch um Geld, denn digitale Netze aufzubauen, ein flächendeckender Breitbandausbau im Bereich Glasfaser kostet irgendwo zwischen 60 und 100 Milliarden Euro. Ja, natürlich müssen auch Private sich dran beteiligen, aber wenn der Staat sich dran beteiligen soll, dann muss er erklären, was will er dafür ausgeben, wie will er es genau machen. Und das habe ich bei den wenigsten Parteien wirklich gehört. Priorität liegt bei Steuersenkung, Rentenerhöhung. Da will man das Geld ausgeben. Heißt natürlich für andere Dinge, digitale Netze, aber auch Bildung, steht es dann halt eben nicht zur Verfügung.
    Münchenberg: Auf der anderen Seite sprudeln die Staatseinnahmen. Ist es da nicht auch Zeit, dass der Staat sozusagen seinen Bürgern davon wieder einen Teil zurückgibt in Form von Steuersenkungen, was ja doch die beiden großen Parteien versprochen haben. Da geht es um 15 Milliarden Euro.
    Fratzscher: Da würde ich Ihnen recht geben, dass der Staat das Geld auch zurückgeben sollte - wenn zwei Bedingungen erfüllt wären. Erstens mal, dass diese Überschüsse, die im Augenblick da sind, auch wirklich langfristig da sind. Das stimmt aber nicht, denn die Überschüsse sind ja nicht das Resultat einer guten Politik, dass man hier sparsam gehaushaltet hätte, sondern einfach nur Glück. Durch niedrige Zinsen, darüber, wo der kleine Sparer ja zu Recht sich beklagt, dass er keine Zinsen mehr auf dem Konto bekommt, heißt für den Staat, dass er jedes Jahr 45 Milliarden Euro an Zinsausgaben spart. Und jetzt rechnen Sie mal die 30 Milliarden Überschüsse gegen: Heißt, ohne die niedrigen Zinsen hätte der Staat heute ein dickes Minus. Heißt aber auch, wenn die Zinsen wieder steigen, sind diese Überschüsse gar nicht da, und diese Steuergeschenke können gar nicht verteilt werden. Heißt aber auch in den nächsten Jahren, wenn die Zinsen wieder steigen, dann wird der Staat die Steuern erhöhen müssen, wenn er sie jetzt senkt. Und das Zweite sind natürlich die Zukunftsinvestitionen, diese riesige Lücke bei Bildungsausgaben, bei Infrastruktur. Da muss die Politik sagen, wo wollen wir die Priorität setzen. Und meine Sorge ist, dass die neue Bundesregierung als Allererstes Steuersenkungen macht und nicht die Zukunftsinvestitionen erhöht.
    Münchenberg: Auf der anderen Seite steht Deutschland ja gerade im europäischen Vergleich erstaunlich gut da. Auch die Arbeitslosenzahlen sind ja im Vergleich mit den Nachbarstaaten deutlich zurückgegangen. Gibt es da nicht trotzdem - ist das letztlich der Zeitpunkt, zu sagen eben, wir geben den Bürgern auch etwas zurück in Form von Steuersenkungen? Viele Experten fordern ja auch seit Jahren eine grundlegende Steuerreform, also Streichung von Steuervergünstigungen, Absenkung bei der Einkommens- und Unternehmensbesteuerung.
    "Jede Partei will die eigene Klientel entlasten"
    Fratzscher: Man kann natürlich sagen, man möchte den Bürgern etwas zurückgeben, wenn man also diesen Einwand, den ich eben gemacht habe, zu sagen, das Geld ist eigentlich gar nicht da, erst mal ignoriert, und sagt, man macht es trotzdem, dann kann man sich dann aber fragen, wer soll denn das Geld zurückbekommen? Und wenn Sie sich mal die Steuervorschläge von CDU/CSU und SPD anschauen, dann sind das Einkommensteuersenkungen, die dem oberen einen Drittel zugutekommt hauptsächlich. Wenn man die Menschen mit geringen und mittleren Einkommen entlasten will, also die dadurch wirklich am meisten profitieren würden, sodass sich Arbeit wieder mehr lohnt, dass Menschen länger arbeiten können, dann hätte man einen anderen Steuervorschlag machen müssen, nämlich beispielsweise die Mehrwertsteuer zu senken, weil davon die Menschen mit geringen Einkommen am stärksten profitieren. Die haben von einer Einkommensteuersenkungen nämlich überhaupt nichts, weil sie wenig Einkommensteuer zahlen. Also auch da muss man genau hinschauen und sagen, wer wird denn entlastet. Und dann realisiert man, dass eigentlich jede Partei seine eigene Klientel entlasten will. Ist verständlich im Wahlkampf, aber wirtschaftspolitisch gesehen nicht wirklich sinnvoll.
    Münchenberg: Stichwort Klientel, Herr Fratzscher, die Menschen werden immer älter, das ist natürlich positiv. Aber gleichzeitig schrumpft ja die Zahl der Beschäftigten, die Zahl der Beitragszahler geht weiter zurück. Trotzdem haben ja CDU und SPD die Rente mit 70 ausgeschlossen. Ist das eine weitsichtige Politik, die da betrieben wird?
    "Das ist eine kurzsichtige Politik in der Rentendiskussion"
    Fratzscher: Nein. Es ist eine kurzsichtige Politik, das, was im Augenblick in der Rentendiskussion passiert. Denn natürlich, nochmals, genauso wie eine Steuersenkung ist eine Rentenerhöhungen - freut man sich für jeden, der davon profitiert. Was uns natürlich nicht gesagt wird als Bürgerinnen und Bürgern, ist, wer dafür zahlen muss. Denn irgendjemand muss dafür zahlen. Das sind die künftigen Generationen, die jungen Generationen, die jungen Menschen heute oder die, die noch gar nicht geboren sind. Die müssen das letztlich dann langfristig zahlen, durch höhere Beiträge, durch höhere Steuern und vielleicht auch selbst, indem sie weniger Rente bekommen. Also, es ist eine ganz klare Umverteilung von der jungen Generation hin zur alten Generation. Und auch das ist natürlich nicht wirklich zukunftweisend.
    Münchenberg: Sie haben die Klientelbedienung schon angesprochen, die die Parteien betreiben. Würden Sie sagen, man hat es in diesem Wahlkampf jetzt schon sehr gut beobachten können, sozusagen eine Verschiebung zugunsten der Alten und zulasten der Jungen, also dieser Generationenkonflikt, hat der sich jetzt auch zugespitzt mit diesem Wahlkampf?
    Fratzscher: Ja. Mit diesem Wahlkampf, aber auch schon mit den letzten. Denn wir realisieren ja, wenn man sich die Wirtschaftspolitik anschaut, dass in den letzten zehn Jahren in Deutschland nicht wirklich viel an grundsätzlichen wirtschaftspolitischen Reformen passiert ist. Weder gab es eine Steuerreform, die längst überfällig wäre, noch wichtige Zukunftsinvestitionen. Öffentliche Investitionen sind negativ, das heißt, der öffentliche Kapitalstock, die Werte der öffentlichen Infrastruktur, die verfallen, die werden weniger wert, zulasten künftiger Generationen. Und das wird sich natürlich mit jeder Legislaturperiode weiter beschleunigen und weiter fortsetzen. Und dazu kommt noch, dass ja auch viele junge Menschen eher nicht wählen oder nicht so stark sich beteiligen wie ältere Menschen. Deshalb ist es so wichtig, auch die dazu zu bekommen, zu sagen, bitte, engagiert euch, bildet euch eine Meinung, gebt eure Stimme ab. Denn wir können als Bürgerinnen und Bürger über die Politik natürlich klagen, aber letztlich liegt es dann in unserer Hand, zur Wahlurne zu gehen und eine Stimme abzugeben und die Politik so - Druck auf die Politik auszuüben, die Prioritäten, die uns als Bürgerinnen und Bürger wichtig sind, zu berücksichtigen und zur Priorität zu machen. Also letztlich müssen wir in den Spiegel schauen, wir müssen die Entscheidung treffen und dürfen nicht ständig über die Politik klagen.
    Münchenberg: Haben Sie eine Erklärung dafür, dass die Jungen das scheinbar klaglos hinnehmen, dass auch die Politik hier die Prioritäten immer mehr verschiebt zugunsten der Alten?
    "Die Politik vermittelt eine falsche Sicherheit"
    Fratzscher: Für junge Menschen ist es natürlich extrem schwierig, die ja häufig noch gar nicht wissen, wie wird denn ihr Lebensweg aussehen, die wenig Erfahrung haben. Und das Gefühl und auch das, was vermittelt wird von der Politik, ist, die Zukunft ist sicher, macht euch mal keine Sorgen, wir leben in goldenen Jahren, ihr macht hier eine Ausbildung, und dann, wenn ihr mit 20 oder 22 eure Ausbildung fertig habt, dann habt ihr da für die nächsten 45 Jahre, seid ihr sicher. Und das ist eine falsche Sicherheit. Diese Sicherheit gibt es heute nicht mehr. Der technologische Wandel bedeutet ein lebenslanges Lernen, dass nicht mehr wie vor, die Generation unserer Eltern und Großeltern, man mit 20 mit einer Ausbildung wirklich einen gleichen Job ohne große Umqualifizierung oder Fortbildung man diesen Job machen konnte. Das gilt heute nicht mehr. Wir werden - jeder Job, jede Arbeit, die man macht, da wird man sich fortbilden, umbilden müssen, wird eine hohe Unsicherheit haben, wird den Job, den Arbeitgeber wechseln müssen. Und das ist unheimlich schwierig zu sehen für junge Menschen heute, und deshalb auch, zu wissen, was muss ich denn wählen, oder worauf muss ich denn bestehen, oder was ist denn wichtig, und das ist eine große Aufgabe, das zu vermitteln und den Menschen die Möglichkeit zu geben, für sich Zukunftsentscheidungen zu treffen.
    Münchenberg: Sagt der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher. Vielen Dank für das Gespräch!
    Fratzscher: Sehr gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.