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Die perfekte Ausstellung

Der Wert von Kunst lässt sich angeblich berechnen. Internetforen wie artfacts.net vergleichen den Marktwert von Polke, Richter und vielen weniger bekannten Künstlern. Lässt sich aus den Daten nicht auch die perfekte Ausstellung berechnen, fragt Johan Holten, der Leiter des Heidelberger Kunstvereins.

Von Christian Gampert | 21.05.2010
    Habib Asal hat die aktuelle Rankingliste von artfacts.net, und er schreibt sie mit Filzstift auf die hohen Wände des Heidelberger Kunstvereins. 60.000 Künstler, ungefähr 1600 will er an die Wände bringen. An erster Stelle steht Andy Warhol. Habib Asal dagegen steht in der Hauptsache auf einer Leiter, er muss Kunst erst noch produzieren, auf dass sie bewertet werde - etwa von artprice.com, nach obskuren Kriterien wie Ausstellungshäufigkeit, Auktionserlösen und dergleichen. Wie viel kostet ein Quadratmeter Polke im Vergleich zu einem Quadratmeter Richter, das ist offenbar die Frage.
    Kann man nach solchen Kriterien, die das Künstlerische selbst völlig beiseite lassen, eine Ausstellung komponieren? Ja, natürlich, meint Johan Holten, der Leiter des Heidelberger Kunstvereins. Und natürlich will er das Widersinnige des Kunstbetriebs damit gehörig auf die Schippe nehmen. "Die perfekte Ausstellung", wie das Unternehmen heißt, ist insofern unangreifbar, als die Auswahl der Künstler auf statistischen Berechnungen beruht.

    "Nach der Recherche vieler Kunstwert-Ermittlungsdienste habe ich gesehen, dass die Firma artfacts.net die Einzige ist, die alle regelmäßig in Kunstvereinen ausstellenden Künstler auch erfasst. Die machen nämlich ein Ranking nicht nur der 100 bekanntesten, sondern von 60.000 Künstlern - ein angeblich objektiv und mathematisch nachprüfbares Ranking."

    Holten hat 26 Ausstellungen, die in den letzten Jahren in deutschen Kunstvereinen stattfanden, ausgewertet. Die ausstellenden Newcomer wurden nach Geschlecht, Alter, Medium und Nationalität klassifiziert, ihre Entwicklung auf der Hitparade artfacts.net beobachtet. Dann wählte Holten acht Künstler aus jeder Tabellenlage aus: von oben, aus der Mitte, von ganz unten.

    Ein einziger Künstler weigerte sich, an der Ausstellung mitzuwirken, der amerikanische Fotograf Fazal Sheikh, der in afrikanischen Flüchtlingscamps fotografiert hatte - ihm war der konzeptionelle Zugriff des Kurators zu zufällig.

    Denn: Natürlich ist die Ausstellung ein Sammelsurium unterschiedlichster künstlerischer Positionen, die allerdings schön arrangiert sind. Die Halle wird dominiert von Werner Feiersingers Architekturelementen, gleich daneben zwei florale Objekte von Carla Mattii, einmal intakt, einmal als Biobaukasten. Valery Koshlyakov macht "Kunst für arme Leute", indem er eine griechische Aphrodite mit einem Lichtenstein-Zitat und einer Christo-Verpackung koppelt - ein Dreierpack als Sonderangebot. Kathy Slade bringt Gitarrengriffbilder auf Leinwand. Maria Sewcz fotografierte noch vor der Wende das triste Ostberlin. Ein beunruhigend lustiges Video des Briten Marcus Coates zeigt seine schamanistischen Performances in Tierverkleidung, in denen er Botschaften höherer Wesen unters Volk bringt.

    Das alles ist ein nettes Nebeneinander. Vom Zugriff energischer sind die Arbeiten im ersten Stock, die die Strategien des Kunstbetriebs selbst untersuchen. Hier kann man lernen, dass man sich heute eine völlig fiktive Künstlerpersönlichkeit entwerfen, sie beliebig verändern und im Netz promoten kann oder dass der Verkauf von Kunstwerken wie im Werbefernsehen funktioniert, mit schmierigem Moderator und Bestellhotline. Christian Jankowski hat eine solche ironische Aktion 2008 auf der Art Cologne durchgeführt: "Nagel in die Wand und aufhängen, so einfach ist das" mit der Kunst.

    Es gibt im Heidelberger Kunstverein freilich auch eine Arbeit, die mit der Ausstellung selbst nichts zu tun hat, sie aber trefflich kommentiert: Die Polin Aneta Grzeszykowska stellt traumatische Szenen ihrer Biografie mit schwarzen Puppen nach und fragmentiert ihren eigenen Leib in einem düsteren Video, in dem einzelne Körperteile verzweifelt tanzen. So, wie Grzeszykowska ihren eigenen Körper optisch zerhackt und verdinglicht, so reduziert der Kunstmarkt die Menschendarstellung auf ihren Geld- und Ausstellungswert.

    Die Heidelberger Ausstellung versucht das ironisch zu unterlaufen, indem sie das monströs-dämliche Durcheinander des Marktes zum Prinzip macht. Aber das Kunstwerk an der Wand - oder im Safe - ist heute eine gute, eine sichere Investition, die einem das ständige Luchsen auf die Börsenkurse erspart. In der Finanzkrise wird das Kaufen auch schlechter Kunst vermehrt in Mode kommen.