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Die Politik und die Finanzmärkte

Im Vorfeld des G20-Gipfels in Cannes fordern Demonstranten in Nizza eine Neuordnung der Finanzwelt. Der Politik scheint in der Eurokrise allerdings das Bewusstsein zu fehlen, was die Menschen sich von ihren gewählten Vertretern wünschen.

Von Brigitte Scholtes, Christoph Birnbaum und Michael Braun | 02.11.2011
    Eine Demonstration im französischen Nizza im Vorfeld des morgigen G20-Gipfels im nahe gelegenen Cannes. Die Finanzwelt auf den richtigen Weg zu bringen. Das fordern die Demonstranten. Es solle bei dem Gipfel um die Menschen gehen, nicht ums Geld. Und so begrüßt die Präsidentin von Attack Frankreich, Aurélie Trouvé, dass die Griechen per Referendum über das Rettungspaket abstimmen sollen.

    "Das ist wirklich ein demokratischer Fortschritt – unter der Bedingung, dass nicht wieder politische Manipulation dahintersteckt. Es muss eine echte Bürgerdiskussion stattfinden. Die Griechen sollen sagen, wie sie den Ausweg aus der Krise gestalten wollen. Wir sollten uns solidarisch mit dem griechischen Volk zeigen."

    Wegen des angekündigten Referendums gibt es zur Stunde ein Sondertreffen in Cannes. Es ist der dritte Gipfel zur Eurokrise binnen zwei Wochen. Und die Krise wird auch morgen Thema sein - beim Treffen der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Die Inflation an Spitzentreffen scheint den Demonstranten Recht zu geben, die eine Neuordnung der Finanzwelt fordern.

    Die Proteste in Nizza richteten sich gegen die Banken und setzten sich für eine nachhaltigere, solidere Art des Wirtschaftens ein. Mit dabei war neben Attac und Oxfam auch die Occupy-Bewegung. Einige ihrer Vertreter campieren nach wie vor in Frankfurt vor der Europäischen Zentralbank. Für sie sind die Regierungen in der Krise nicht nur die Getriebene, sie sind auch die Handelnden. Matthias, Martina und Jörg, drei Mitglieder der Occupy-Frankfurt-Bewegung, schildern, warum sie mitmachen:

    "Ich demonstriere hier gegen das ganze System. Unsere gesamte Gesellschaft baut auf falschen Werten auf."

    "Die Geldkrise, das ist eine Sache, aber die Unfähigkeit der Politik, das alles zu regulieren und im Sinne des Volkes zu handeln, das ist das Andere. Aber meine eigentliche Kritik geht an die Wirtschaft, weil die Monopolstellungen und Kreisläufe haben, die verursachen Leid, damit es Menschen in der Ersten Welt besser geht."

    "Wir hatten gerade eine schöne Diskussion, und da ist mir wieder eingefallen, dass das Wort Weltschmerz im Deutschen existiert, aber in keiner anderen Sprache. Also darum geht es wahrscheinlich."

    Ihrem Weltschmerz allein im stillen Kämmerlein frönen, das wollen die Mitglieder von Occupy Frankfurt nicht. Sie diskutieren ihr Unbehagen am System, an den Wertvorstellungen, die sie auch in der Politik gespiegelt sehen.

    Die meist jungen Leute versuchen hier in ihrem Zeltdorf, ihre Idealvorstellung eines Zusammenlebens umzusetzen:

    "Wir leben hier gemeinsam, wir unterstützen uns, wir teilen miteinander. Wir nehmen uns mal in den Arm. Wir sind einfach als Menschen füreinander da, wir respektieren uns. Das ist egal, wer hierher kommt, ob’s ein Obdachloser ist oder ein Banker. Jeder ist als Mensch vollkommen. Die Menschlichkeit lebt hier auf, und das ist sehr schön zu sehen."

    "Man spürt da nochmal mehr, dass hier irgendein Spirit entsteht."

    Dieser "Spirit" scheint in der Politik seit Langem zu fehlen, das Bewusstsein für das, was die Menschen sich auch von der Politik wünschen. Doch die Politiker tun so, als seien sie bei den Menschen, auch bei denen, die gerade wegen der Finanzpolitik in Frankfurt oder Washington auf die Straße gehen. So unterstützte Bundeskanzlerin Angela Merkel das "berechtigte Gerechtigkeitsverlangen" der Demonstranten, SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte die Kampierenden in Frankfurt auf, noch mehr Rummel gegen Banker und Börsianer zu veranstalten – und Cem Özdemir, der Grünen-Vorsitzende, warf sich vor wenigen Tagen den Protestlern gar mit einem persönlichen Angriff auf Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann an den Hals.

    Offenbar will die Politik von ihrem eigenen Versagen ablenken und setzt auf das kurze Gedächtnis der Menschen. Denn sie war es, die all das, was die Demonstranten heute beklagen, erst möglich gemacht hat. Insgesamt vier Finanzmarktförderungsgesetze hat die Bundespolitik zwischen 1990 und 2002 aufgelegt. Mit Erfolg, aber davon will man heute nicht mehr viel wissen.

    Wer sich die komplette Geschichte der De- und Regulierung der Finanzmärkte durch den deutschen Gesetzgeber anschaut, erkennt schnell, dass man ihr mit rot-grünen oder schwarz-gelben Aufklebern kein alleingültiges Etikett verpassen kann.

    Denn schon im Februar 1990 trat ein "Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen der Finanzmärkte" in Kraft. Bundesfinanzminister war damals Theo Waigel im schwarz-gelben Kabinett von Einheitskanzler Helmut Kohl. Die Börsenumsatzsteuer und die Wechselsteuer entfielen. Beide waren die Vorläufer dessen, was heute unter dem Stichwort "Finanztransaktionssteuer" wieder heftig und parteiübergreifend diskutiert wird.

    In den 90er-Jahren kam auch die EZB, die Europäische Zentralbank, nach Frankfurt und die BaFin, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, wurde gegründet. Zudem nahm die Deutsche Terminbörse ihre Arbeit auf. Innerhalb kürzester Zeit konnte sie sich im Optionsbereich rasch den ersten Rang in Europa erobern. Mit Hilfe der Politik.

    Der Finanzplatz Frankfurt profitierte und zog sowohl Wirtschaft und Politik als auch die Bürger in seinen Bann. Vor allem die zahlreichen Bundesbürger, die auf einmal – zum ersten Mal - Aktien kauften. Ganz Deutschland war damals im Aktienrausch – nicht nur Banker und Politiker!

    Der Wissenschaftler und Geldmarktexperte Manfred Jäger blickt zurück:

    "Insgesamt würde ich sagen, war dies eine Parallelbewegung in der Gesellschaft, die plötzlich den Finanzmarkt modisch fand, die Politik fand Finanzmärkte modisch und die Finanzmärkte finden Finanzmärkte natürlich immer modisch. Und das war in der Tat eine Euphorie, die wie wir jetzt wissen, die alles in allem nicht ganz so stabil war, wie wir das alles gerne hätten."

    Damals herrschte das Gefühl vor, dass insbesondere ausländische Kapitalanleger den Handelsplatz Deutschland weitgehend mieden. Sogar einheimische Standardwerte wie Daimler-Aktien oder Bundesanleihen wurden häufiger in London als in Frankfurt gekauft. Das sollte sich ändern. Auch mit tatkräftiger Hilfe derjenigen, die sich heute als währungspolitische Ordnungshüter geben, wie etwa der frühere CDU-Finanzstaatssekretär und vor wenigen Wochen zurückgetretene EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark. Im Jahr 1997, als es um das dritte Finanzmarktförderungsgesetz ging, erklärte er:

    "Wertpapieremittenten soll der Zugang zum Kapitalmarkt im Allgemeinen und zur Börse in Besonderen erleichtert werden. Zweitens: Die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Börsen soll gestärkt werden. Drittens: Die Stellung der Finanzintermediäre im internationalen Wettbewerbsumfeld soll gefestigt werden. Und viertens: Das Vertrauen der Anleger in die Integrität der Wertpapiermärkte soll noch besser geschützt werden."

    Die Befürchtung, ins Hintertreffen zu geraten, war auch in der SPD weit verbreitet. So gab der SPD-Banken- und Kapitalmarktexperte Hans-Martin Bury, einer der politischen Shootingstars in der Partei, 1998 eine klare Richtung vor. Bury war übrigens später Kanzleramtsminister unter Bundeskanzler Gerhard Schröder und anschließend Bankmanager und Vorstand bei Lehman-Brothers.

    "Deutschland ist unverändert ein Aktien-Entwicklungsland. Wenn wir nicht schleunigst beginnen, die Rahmenbedingungen internationalem Standard anzupassen, dann wächst die Gefahr, dass es dem Finanzplatz Frankfurt bald ebenso ergeht wie dem dortigen Fußballverein."

    Gemeint war die zweite Liga. Und die fürchteten deutsche Politiker. Denn bis dahin war der Kapitalmarkt der Bundesrepublik, immerhin die damals drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt, bestenfalls belächelte Provinz. Deutschland wollte auf dem Kapitalmarkt vor allem zur anglo-amerikanischen Konkurrenz aufschließen.

    Im November 2001 stellte der damalige Bundesfinanzminister Hans Eichel von der SPD dann den Entwurf für das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz im Bundestag vor. Ziel des Vorhabens waren die Modernisierung und Förderung des Finanzplatzes Deutschland.

    Zwei Jahre später - im Jahr 2003 – ließ die rot-grüne Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder die heute so verachteten Hedgefonds, die "Heuschrecken", an den deutschen Kapitalmärkten zu.

    Das Investmentmodernisierungsgesetz war ein wichtiger Schritt bei der Deregulierung des deutschen Finanzmarktes. Selbst das "Manager Magazin" sprach damals allerdings bereits von einem Spiel mit dem Feuer.

    Und im gleichen Jahr legte Finanzminister Hans Eichel einen Finanzmarktförderplan vor. Damit wollte er schrittweise moderne Anlageinstrumente einführen und Geldhäusern den Umgang mit Kreditrisiken erleichtern. Risiken und Forderungen sollten leichter als Wertpapiere am Kapitalmarkt gebündelt, verbrieft und in handelbare Anleihen umgewandelt werden können. Der deutsche Finanzplatz sei reif genug, um mit alternativen Anlageinstrumenten umgehen zu können, resümierte Eichel.

    Heute würde der ehemalige Minister dies sicherlich nicht mehr ganz so enthusiastisch formulieren. War die Politik also Anfang des Jahrtausends – quer durch alle Parteien – zu optimistisch, was den modernen Finanzmarkt anging? Das meint zumindest Manfred Jäger-Ambrozewicz, der in Magdeburg Wirtschaftswissenschaften und Geldpolitik lehrt:

    "Also, was man heute sagen muss, ist, dass man damals zu optimistisch war über die Funktionsfähigkeit eines so organisierten Finanzmarktes. Man war zu optimistisch, man nannte dies sogar 'die schöne Neue Welt'. Und in dieser Bewegung war Deutschland nicht alleine, sondern es war ein globales Phänomen. Man glaubte, dass mit den Finanzinnovationen – Hedgefonds, Verbriefungsstrukturen – sich eine schöne neue Welt ergeben hätte, in der man Risiken auf viele Schultern verteilen kann. Und bei dieser Art von Finanzarchitektur wollte man nicht ins Hintertreffen geraten."

    Die heutige Finanzkrise ist deutlich mehr als nur eine Krise eines mehrheitlich anonymen Kapitalmarktes. Es ist eine politische Systemkrise. Denn wenn Staaten, wie auf dem letzten EU-Gipfel in Brüssel beschließen, Banken zu kapitalisieren, dann handelt es sich um verschuldete Staaten, die wiederum von Banken kapitalisiert werden.

    Wir Steuerzahler haben das jahrzehntelang goutiert. Wir haben den Staaten und Märkten das politische Mandat für unsere auf Pump finanzierte Prosperität erteilt – und stets die Partei gewählt, die vorgab, Schuldengeld besonders reichlich unters Volk bringen zu können. Die Politik hat die Finanzmärkte und Notenbanken stets als Vehikel genommen, um einen Wohlstand zu erzeugen, der sich heute immer mehr als unbezahlbar herausstellt. Noch einmal der Geld- und Finanzmarktexperte Manfred Jäger.

    "Man kann nur sagen, dass die Finanzmärkte sich so ungeordnet entwickeln konnten, weil die Politiker dies zugelassen haben. Also, es ist eben, wie man als Wirtschaftswissenschaftler sagt, ein Marktversagen, das eben provoziert wurde durch ein staatliches Versagen. Die Ordnungsgebung kommt nun eben immer vom Staat, und wenn unser Verkehr zusammen brechen würde, weil die Verkehrsregeln nicht durchgesetzt würden, dann würden wir ja auch nur bedingt auf die Autofahrer zeigen."

    Bei einer Massenkarambolage aber zunächst schon. Und so war der Primat der Politik auch zunächst nicht das Thema der öffentlichen Debatte, als im September 2008 die amerikanische Investmentbank Lehman Brothers in die Pleite ging. Erst einmal ging es nur um die Finanzindustrie – zu groß waren die Schockwellen, die diese Pleite durch die Finanzmärkte sandte. Dass die Bankenwelt global so stark vernetzt war, hatten die Regierungen weltweit unterschätzt.

    Und die Finanzmärkte hatten auch nicht damit gerechnet, dass man eine so große Bank fallen lassen würde. Dann aber zogen die USA für ihre Banken die Konsequenzen, und sie griffen zu radikalen Mitteln, sagt Gertrud Traud, Chefvolkswirtin der Helaba, der Landesbank Hessen-Thüringen:

    "Sie haben ihre Banken damals zwangskapitalisiert, mit Geld zugeschüttet. Viele Banken haben dieses Geld auch genutzt, um wieder auf die Beine zu kommen. Es gab sehr viele Fusionen. Also von den fünf Investmentbanken ist eigentlich nichts mehr übrig. Lehman ist pleitegegangen. Und die anderen wurden mit anderen verschmolzen, und viele kleinere Banken sind tatsächlich pleitegegangen. Man hat den Bankensektor etwas bereinigt."

    In Europa scheut man bis heute davor zurück, ein Finanzinstitut in die Insolvenz zu schicken. Das Prinzip des "too big to fail", das Prinzip also, dass man eine Bank bei entsprechender Größe retten muss, zieht sich durch die Bemühungen um Eindämmung der Krise. Man hat also versucht, den Status quo zu bewahren, aber dessen Fehler zu bereinigen. Vor allem den Fehler der Deregulierung der Finanzmärkte. Gertrud Traud:

    "Die große Wende auf den Finanzmärkten ist eingeläutet. Wir hatten bis 2007 das Credo, dass Finanzmärkte dereguliert werden müssen. Jetzt befinden wir uns auf dem Weg der Regulierung, und die geht in kleinen Schritten - jedes Jahr ein bisschen mehr. Und letztlich muss man aufpassen, dass man das nicht überdreht, sodass Banken keine Kreditvergabe mehr tätigen können."

    Nicht gelungen ist es der Politik bisher, den hochspekulativen Eigenhandel der Banken stärker einzuschränken; dabei handeln die Banken auf eigene Rechnung mit Wertpapieren, also nicht im Kundenauftrag. Das Geschäft hat oft für hohe Erträge, aber auch für hohe Risiken und Verluste gesorgt. Den Banken das wegzunehmen, ist schwer, erläutert Horst Löchel, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Frankfurt School of Finance and Management:

    "Das ist weniger das Versäumnis der deutschen oder europäischen Politik. Sie müssen sehen, viele Banken operieren global, unsere Wirtschaft ist global. Und die Länder, die in dieser globalen Wirtschaft beteiligt sind, und die Banken haben eben unterschiedliche Interessen."

    Waren die Reformversuche also zu halbherzig? Konnten die Banken weiter "zocken", obwohl sie erst vor drei Jahren mit Milliardenspritzen gerettet werden mussten? Die öffentliche Debatte über die Banken ist noch nicht abgeschlossen. Diskussionen um Zerschlagung, Verbote und Verstaatlichung zeigen das. Dennoch rückt zunehmend ins Bewusstsein, dass es in der aktuellen Ausprägung der Finanzkrise als Staatsschuldenkrise nicht um risikogemixte Hypothekenanleihen geht. Es geht vielmehr um ein ganz einfaches Wertpapier: um Staatsanleihen.

    Weil für griechische Papiere ein Schuldenschnitt von 50 Prozent vereinbart wurde, wächst das Misstrauen der Geldgeber auch in andere staatliche Schuldner – von Portugal über Spanien und Italien bis hin sogar zu Frankreich. Seit Athen entscheiden hat, das Volk über den Rettungsplan und damit auch über die Sparauflagen abstimmen zu lassen, ist das Misstrauen weiter gewachsen. Die Märkte rechnen mit einem "Nein" der Griechen, dann wären wohl nicht nur 50 Prozent, sondern 100 Prozent der Hellenen-Anleihen verloren. Dass die Krise immer tiefer greift, wundert Fachleute nicht. Der ehemalige Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, Ottmar Issing, berichtet über Forschungsergebnisse des früheren Chefvolkswirts des Internationalen Währungsfonds, Kenneth Rogoff:

    "Es war eigentlich immer das gleiche Muster. Vorangegangen den großen Krisen ist eigentlich immer eine übermäßige Verschuldung der Staaten und in den meisten Fällen auch der Privaten. Und die Folgerung aus ihrem Befund ist auch, dass hohe Staatsverschuldung zwangsläufig in einem Zusammenbruch endet. In einem Zusammenbruch, bei dem es sich nicht um eine einfache Rezession handelt, um eine konjunkturelle Delle, sondern um eine strukturelle Krise, aus der es kein rasches Entkommen gibt."

    Da stellt sich Deutschland, obwohl noch der Stabilitätsanker im europäischen Krisenmanagement, kaum besser dar als andere Staaten. Seit 1950 ist die Staatsverschuldung hier gestiegen, von umgerechnet 9,6 Milliarden Euro 1950 auf gut 2000 Milliarden Euro Ende 2010. Je Einwohner sind das 190 Euro im Jahr 1950 und 24.900 Euro Ende vergangenen Jahres.

    Es fehlt den meisten Regierungen an Ausgabendisziplin. Denn sie denken nicht langfristig, sondern in Wahlzyklen, verteilen auch in der Krise weiter Steuergeschenke oder andere Wohltaten. Die Finanzkrise hat deutlich gemacht, dass dieser Prozess der steigenden Staatsverschuldung so nicht weitergehen kann.

    Viele Regierungen scheinen das begriffen zu haben. Bundeskanzlerin Angela Merkel versicherte kürzlich in Frankfurt:

    "Die Verschuldung fast aller europäischen Länder und die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit an vielen Stellen ist eine der zentralen Herausforderungen, vor der wir stehen. Und deshalb müssen wir diese Krise von der Wurzel her lösen."

    Auch Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy profilierte sich für den anstehenden Präsidentschaftswahlkampf als Anwalt der Nachhaltigkeit, kündigte an, der Staat werde den Franzosen verordnen müssen, den Gürtel enger zu schnallen.

    Die Märkte, argumentieren Ökonomen, wollten der Politik nichts diktieren, den Primat der Politik nicht anzweifeln, ihr Geld aber auch nicht für alles und jedes hingeben. Thomas Mayer, Chefvolkswirt der Deutschen Bank:

    "Schauen Sie, wenn die Politik das richtige Vorausschauende tut, dann behält sie das Heft in der Hand, dann werden ihr die Finanzmärkte folgen. Um den Primat der Politik wieder zu etablieren, muss man eine überzeugende Politik verfolgen, die nachhaltig ist."

    Das klingt gar nicht so weit entfernt von den jungen Menschen von Occupy Frankfurt vor der EZB. Sie wünschen sich, dass alle Beteiligten langfristiger, nachhaltiger und verlässlicher agieren - auch wenn ihr Weg sicher nicht der der Märkte ist:

    "Brecht die Macht der Banken und Konzerne!"