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Die politische Spannweite der Kunst

Zur Konferenz "Radius of Art" hat die Heinrich-Böll-Stiftung Künstler und Vertreter der arabischen Kulturszene eingeladen, um die Auswirkungen kultureller Aktivitäten auf soziale Transformationsprozesse zu diskutieren.

Von Kersten Knipp | 10.02.2012
    Institutionen sind träge, man könnte auch sagen: Sie haben gewaltige Beharrungskräfte. Das ägyptische Kultusministerium jedenfalls hat sich von den Ereignissen des letzten Jahres nicht sonderlich beeindrucken lassen, berichtet die Kulturmanagerin Basma Al Husseyni:

    "Auf offizieller oder Regierungsebene hat sich nicht viel geändert. Das Kultusministerium ist, was es war: ein riesiger bürokratischer Apparat, der die aktuelle kulturelle Szene des Landes überhaupt nicht präsentiert, und der auch unabhängigen Künstlern gegenüber nicht sonderlich offen ist. Natürlich diskutieren die Vertreter der Kulturszene jetzt darüber, wie sie mit diesem gewaltigen Apparat zusammenarbeiten können. Wie schwer das ist, zeigt allerdings eine Zahl: Vor der Revolution waren in dem Ministerium 90.000 Menschen beschäftigt."

    Die freie Szene hat dieser gewaltige Apparat nie unterstützt. Unabhängige Künstler waren auf andere Mittel angewiesen. Die flossen und fließen nach der Revolution reichlich - allerdings nur in eine Richtung, erklär der Kulturaktivist Hatem Hassan Salama.

    "Nach der Revolution gewann der Nahe Osten für internationale Sponsoren an Bedeutung. Aber das meiste Geld ging natürlich nach Kairo, weil dort das kulturelle Zentrum des Landes ist. Zugleich kommen viele wichtige Repräsentanten der Kulturszene Alexandrias aus Kairo. Nun verteilen die Sponsoren ihr Geld vor allem an die Personen, die sie aus Kairo kennen. Das bedeutet aber, dass viele andere Städte kaum etwas erhalten. Luxor, Assuan, Port Said, um nur ein paar zu nennen: Auch in diesen Städten gibt es kulturelle Szenen. Und wir setzen uns dafür ein, dass das Geld auch dahin kommt, und nicht nur nach Kairo und Alexandria."

    Ein Schattendasein anderer Art führt die Kultur da, wo das Leben sich ohnehin von kärgster Seite zeigt. In den Slums von Kairo und anderer Großstädte. Die Menschen dort sind sehr rege, erklärt Basma Al Husseyni. Sie zu unterstützen, ist durchaus angebracht.

    "Es gibt natürlich eine Kultur in den Slums. Die wollen wir unterstützen und entwickeln. Rund um die Stadtzentren haben sich riesige Vorstädte gebildet, in denen Menschen wohnen, die vom Land kommen und extrem arm sind. Sie tanzen, singen, gelegentlich spielen sie auch Theater - eine hybride Kultur aus ländlichen und urbanen Elementen entwickelt. Aber diese Leute werden von niemandem unterstützt, es gibt weder Geld, noch haben sie genügend Räume, in denen sie üben und sich fortbilden können. Dort wollen wir eingreifen, denn die Kultur ist das beste Mittel gegen den religiösen Fundamentalismus."

    Die Menschen gierten nach Kultur, erklärt auch Hatem Hassan Salama. Sie seien bereit, sich neuen Erfahrungen zu öffnen. Deswegen geht er mit Künstlern und Intellektuellen in die Schulen seiner Heimatstadt Alexandrias, um sie mit zeitgenössischer, aber auch traditioneller ägyptischer Kultur bekannt zu machen. Derzeit fließen entsprechende Mittel. Die Frage ist nur, wie lange noch. Auch Zuwendungen haben ja ihre Konjunkturen. Darum sinnt er darauf, in Ägypten Geist und Geld endlich zusammenzubringen - zwei Bereiche, die in Ägypten bislang eher wenig miteinander zu tun hatten.

    "Auch heute noch sind Handel und Kunst zwei völlig getrennte Welten. Aber wenn wir jetzt Beziehungen zu jungen Geschäftsleuten knüpfen, die später sehr bedeutend sein, die große Unternehmen führen und entsprechend Geld haben werden: Wenn wir diese Leute also ansprechen, wenn wir ihnen unsere Anliegen vortragen, dann können wir eine dauerhafte Beziehung zu ihnen entwickeln und sie für einige Jahre als Sponsoren gewinnen. Derzeit können sie uns nur geringfügig unterstützen. Aber in einigen Jahren werden sie uns eine große Hilfe sein."