Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


"Die politischen Kräfte müssen sich zusammenraufen"

Die italienischen Parteien tragen Verantwortung für die gesamte Nation, meint Gunther Krichbaum, der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag. Sie werden gemeinsam einen Weg finden müssen, um die Probleme des Landes zu lösen - auch im Interesse Europas.

Gunther Krichbaum im Gespräch mit Gerd Breker | 26.02.2013
    Gerd Breker: Die Italiener hatten die Wahl und Italien und Europa haben nun die Qual. Die Wähler in Italien haben sich nicht eindeutig für eine Seite entscheiden können. Heraus kam eine politische Blockade. Die Einsicht in die Notwendigkeit von Sparen und Strukturreformen hat sich offenbar in Italien nicht als mehrheitsfähig erwiesen. Mit Klamauk und unhaltbaren Versprechungen sind fast genauso viele Stimmen zu gewinnen gewesen.
    Wir haben es zuvor von Außenminister Westerwelle gehört: Die Wahl in Italien betrifft nicht nur das Land selber, sondern die gesamte Eurozone. Eine Abkehr von der Spar- und Reformpolitik in der drittgrößten Volkswirtschaft betrifft halt alle. Italien muss sich frisches Geld auf den Finanzmärkten besorgen, heute stehen kurze Laufzeiten an und morgen geht es um die langfristigen zehnjährigen Anleihen. Welche Auswirkungen hat da dieses italienische Wahlergebnis, auch auf die Börsen?
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Gunther Krichbaum. Der CDU-Politiker ist Vorsitzender des Europaausschusses des Deutschen Bundestages. Guten Tag, Herr Krichbaum.

    Gunther Krichbaum: Schönen guten Tag.

    Breker: Eine solide stabile Regierung ist in Italien nicht zu bilden. Eine Katastrophe?

    Krichbaum: Also, in der Tat ist natürlich die Situation im Augenblick sehr unübersichtlich in Italien. Aber deswegen sieht man natürlich auch schon die Auswirkungen, dass überall die Anleihezinsen nach oben gehen, denn das ist natürlich dann der Ausdruck, der dort auch an den Märkten den Niederschlag findet. Aber es zeigt natürlich: Dreh- und Angelpunkt, gerade auch was von der Politik ausgehen muss, ist das Vertrauen, und gerade daran wird natürlich jetzt gezweifelt. Die Menschen zweifeln daran, ob die Reformmaßnahmen, die Konsolidierungspolitik in Italien auch fortgesetzt werden, und genau diese Zweifel drücken sich dann auch in steigenden Zinsen aus.

    Breker: Ja, aber genau diese Spar- und Reformpolitik von Monti ist sozusagen abgestraft worden. Versagen die Politiker in der Vermittlung der Notwendigkeit dieser Politik, die sie dann betreiben? Versteht der Bürger das nicht? Akzeptiert er es nicht, oder woran liegt das?

    Krichbaum: Ich würde das zunächst nicht pauschalisieren, denn die Kommunikation findet unterschiedlich statt. Ich darf nur daran erinnern, dass am letzten Freitag Präsident Gauck hier in Bellevue eine bemerkenswerte Rede gehalten hat und gerade auch hier die Bürger von der Notwendigkeit eines geeinten integrierten Europas sehr gut überzeugt hat, genauso wie das auch in der Vergangenheit Bundeskanzlerin Merkel getan hat. Aber Herr Monti ist natürlich auch in der Vergangenheit gefordert gewesen, diese Maßnahmen, die unabdingbar waren für Italien, seinen eigenen Landsleuten gegenüber zu kommunizieren. Hier hat es mit Sicherheit Versäumnisse gegeben, denn die Menschen müssen überzeugt werden auch von der Notwendigkeit der Maßnahmen, denn es geht immer noch darum, dass man eines Tages einer jungen Generation auch ein bestelltes Land übergeben möchte, und deswegen hätte auch unter dem Gesichtspunkt vieles dieser vollmundigen Wahlversprechen von Herrn Berlusconi hinterfragt werden müssen.

    Breker: Sowohl Silvio Berlusconi als auch Beppe Grillo haben ja ihren Erfolg in Italien auch mit antideutschen Argumenten erzielt. Was lernen wir eigentlich daraus, Herr Krichbaum?

    Krichbaum: Natürlich ist das bedenklich, wenn die antideutsche Karte gespielt wird

    Breker: … und erfolgreich ist!

    Krichbaum: …, denn gerade Deutschland hat natürlich gegenüber vielen dieser Länder sehr viel an Solidarität gezeigt. Man sieht, wie man mitunter auch einfache Gemüter dann damit bedienen kann. Das ist in der Tat bedenklich. Aber auf der anderen Seite: Die deutsch-italienischen Beziehungen sind von einer tiefen historischen Freundschaft geprägt, als dass auch solche Äußerungen das gute Verhältnis und das freundschaftliche Miteinander nicht trüben können.

    Breker: In Italien herrscht eine Jugendarbeitslosigkeit von 37 Prozent. Wurde da das Sparen, wurde da die Reformpolitik vielleicht übertrieben, ohne dass es auf der anderen Seite begleitende wachstumsfördernde Maßnahmen gegeben hat, die eben halt diese hohe Jugendarbeitslosigkeit bekämpft?

    Krichbaum: Wir haben in der Tat in vielen der südeuropäischen Länder eine sehr, sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit. Wir haben eine von über 50 Prozent in Spanien, in Griechenland sieht das kaum anders aus. Aber da muss man eben auch mit der Lupe die Probleme beleuchten. Das heißt im Klartext: Viele Probleme sind in der Tat auch hausgemacht. Es gibt verkrustete Arbeitsmärkte, gerade in Spanien ist ein sehr rigides Arbeitsrecht gut natürlich für diejenigen, die einen Job, die eine Beschäftigung haben. Aber auf der anderen Seite ist das auch ein Einstellungshemmnis. Spanien hat viele Reformen jetzt auch erfolgreich angepackt, aber das braucht seine Zeit, bis diese auch wirken können. Und so sieht es natürlich auch in Italien, vor allem in Süditalien aus, denn streng genommen haben wir ein geteiltes Land. Wir haben einen prosperierenden Norden, und wir haben einen Süden, der dringend Wachstumsimpulse benötigt. Aber die nationale Politik wird zuvorderst von Rom aus gemacht, und da ist man jetzt natürlich auch für die Zukunft umso mehr gefordert, denn wie gesagt: Die Situation ist im Augenblick nicht leicht und gerade auch im Hinblick der auseinanderklaffenden politischen Mehrheiten zwischen Parlament und Senat, aber die politischen Kräfte müssen sich hier zusammenraufen, denn zuvorderst muss der Kurs fortgesetzt werden, der Konsolidierungskurs des Landes muss fortgesetzt werden, damit dieses Vertrauen auch fortgesetzt werden kann, was Investoren wieder in das Land tatsächlich eingebracht haben, und damit dann natürlich auch die Spielräume geschaffen werden, auch im Haushalt geschaffen werden, damit man hier Wachstumsprogramme auf den Weg bringen kann. Und insbesondere die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit ist ein europäisches Projekt. Ich darf nur daran erinnern, dass wir jetzt bei den Verhandlungen zum sogenannten mehrjährigen Finanzrahmen hier ein Programm noch mal von über sechs Milliarden Euro zusätzlich aufgelegt haben.

    Breker: Was für Italien zu spät kommt – und Sie haben von Italien als ein gespaltenes Land gesprochen, Herr Krichbaum -, aber genau das ist ja der Fall. Es ist auch politisch ein gespaltenes Land, denn die Hälfte ist für eine Sparpolitik und für Reformen und die andere Hälfte strikt dagegen. Ist das politische System in Italien nicht eigentlich in einer vehementen Krise?

    Krichbaum: Wir wissen natürlich aus der Vergangenheit, dass es nie leicht war, sehr, sehr stabile und langfristig stabile Regierungen auf den Weg zu bringen. Deswegen hat es natürlich damals unter Berlusconi auch eine Veränderung des Wahlrechts gegeben, was ja jetzt auch dazu führt, dass Bersani eine absolute Mehrheit in der Kammer, also im Parlament haben wird mit gerade einmal 29 Prozent. Denn der Vorsprung vor dem Mitte-Rechts-Bündnis ist ein hauchdünner und gleichwohl führt er zu einer absoluten Mehrheit, weil man eben hier auch Stabilität erzeugen wollte. Aber gleichwohl ist natürlich hier eine besondere Herausforderung jetzt für die nächsten Wochen und Monate gegeben, denn eines werden die Finanzmärkte Italien nicht geben, und das ist die Zeit. Deswegen: Lange wird man sich hier auch nicht mit irgendwelchen politischen Gesprächen und Koalitionsverhandlungen aufhalten dürfen. Denn Sie hatten vorhin schon in einem Sendebeitrag angesprochen: Man merkt bereits die Auswirkungen auch in die anderen Länder hinein, siehe Spanien, siehe Portugal. Italien ist nicht alleine auf der Welt und hat eine europäische Verantwortung, und genau dieser muss sich Italien ganz besonders jetzt in diesen Stunden erinnern.

    Breker: Allerdings herrscht eine Blockade zwischen Kammer und Senat: dort die einen und hier die anderen, die alles blockieren können.

    Krichbaum: Wir hatten diese vermeintlichen Blockaden natürlich auch in anderen Ländern. Ich darf nur daran erinnern, dass ja das erste Land, was damals unter den Rettungsschirm kam, Irland war. Die ganzen Maßnahmen, die damals mit Irland ausgehandelt wurden, wurden ja nicht nur mit der damaligen Regierung ausgehandelt, sondern auch mit der damaligen Opposition, sehr wohl unter der weisen Maßgabe, dass dies ja eines Tages die Regierung werden könnte. So kam es dann auch. Ich will damit nur eines andeuten: Es gibt eben Projekte, es gibt Probleme, die verlangen nach einer gesamtnationalen, einer gesamtstaatlichen Verantwortung, und deswegen sind alle Parteien letztlich dazu aufgerufen, im Interesse von Italien hier die weitere Zukunft zu gestalten. Wie gesagt: Italien ist hier nicht alleine auf der Welt und nicht alleine in Europa und natürlich ist es bedenklich, wenn man dann noch auf der anderen Seite sehen muss, dass ein Viertel der Italiener, tatsächlich ein Viertel der Wahlberechtigten ihre Stimme verschwenden zu Gunsten eines Populisten, der überhaupt gar keinen politischen Anspruch hat.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die zuversichtliche Einschätzung von Gunther Krichbaum. Er ist der Vorsitzende des Europaausschusses des Deutschen Bundestages. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

    Krichbaum: Vielen Dank Ihnen!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.