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"Die Polizei ist ja nicht unser Gegner"

Der Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, Wolfgang Ehmke, distanziert sich von gewaltsamen Aktionen während der Proteste gegen den Castor-Transport. Er bekräftigte die Ansicht der Gegner, dass die Endlagersuche neu gestartet werden müsse.

Wolfgang Ehmke im Gespräch mit Friedbert Meurer | 08.11.2010
    Friedbert Meurer: Nach einer, man kann fast sagen, üblichen und erwarteten Odyssee ist der Zug mit den Castor-Behältern in Dannenberg heute eingetroffen. Hier ist Endstation für den Zug, aber noch nicht Endstation für die Castor-Behälter. Die Container mit hoch radioaktivem Müll, sie werden jetzt auf Speziallastwagen umgeladen, auf Tieflader, um über die Straße dann weiter zum Zwischenlager nach Gorleben transportiert zu werden. Dort erwartet man dann den strahlenden Abfall morgen im Laufe des Tages. Aber Demonstranten und auch gewaltbereite Aktivisten und Polizei kämpfen buchstäblich um jeden Meter der Weiterfahrt. Nach Angaben der Polizei sind am Wochenende 20.000 Demonstranten im Wendland gewesen. Die Veranstalter selbst sagen, es waren mehr, nämlich etwa 50.000. Zunächst begann es überwiegend friedlich. Die Eskalation, über die heute Morgen berichtet wird, erfolgte dann im Laufe des gestrigen Tages und wohl auch im Laufe der Nacht. – Am Telefon begrüße ich Wolfgang Ehmke, der eben gerade noch zum Schluss des Beitrages erwähnt wurde, Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg. Guten Tag, Herr Ehmke.

    Wolfgang Ehmke: Guten Tag!

    Meurer: Sie sagen, es war größtenteils friedlich. Was war denn nicht friedlich?

    Ehmke: Es gab sehr unschöne Szenen gestern früh, als die Schotterer – das ist ja ein Aktionskonzept gewesen, dass man Schottersteine der Bahnlinie entfernen wollte – versucht haben, an diese Strecke heranzukommen. Aus Sicht der Beteiligten stellt es sich natürlich anders dar. Sie sagen, sie sind von der Polizei hart angefasst worden, es hat Gaseinsatz gegeben, Knüppeleinsätze gegeben. Aber es gibt ja auch dieses Bild, dass da ein Molotowcocktail geworfen wurde. Diese Bilder verhindern eigentlich, dass wir über das Thema sprechen. Wir möchten nicht über Gewalt oder nicht Gewalt sprechen, sondern wir möchten über den Atomausstieg sprechen und vor allem darüber sprechen, aus welchen Gründen Gorleben als nukleares Endlager nicht geeignet ist.

    Meurer: Ist für Sie, Herr Ehmke, Schottern, wie man das nennt, also den Schotter unter den Gleisen zu entfernen, Gewalt, oder geht das in Ordnung?

    Ehmke: Nein. Es ist natürlich ganz klar, dass diejenigen, die dazu aufrufen, aufgerufen haben, wissen, dass sie sich da möglicherweise einer Strafverfolgung aussetzen. Sie haben aber erklärt, dass sie sich gewaltfrei verhalten und dass sie die Polizei nicht angreifen wollen, und das haben diejenigen, die das zu verantworten haben, auch gerade noch mal auf einer Pressekonferenz unterstrichen, dass ihr Gegner nicht die Polizei ist. Von daher glauben wir, dass da am Rande noch ganz andere Dinge gelaufen sind und dass man das nicht dieser Gruppe, diesen Tausenden, die da unterwegs waren, pauschal zuordnen kann.

    Meurer: Sie meinen welche anderen Dinge? Was meinen Sie damit?

    Ehmke: Ich habe das Bild ja angesprochen, Sie haben vielleicht ja heute auch in die "Bildzeitung" auf Seite 1 geschaut, dass da ein Molotowcocktail geschmissen wurde. Von solchen Aktionen distanzieren wir uns ganz klar.

    Meurer: Auch von einer Aktion, dass ein Polizeifahrzeug, ein Räumpanzer versucht wurde anzuzünden?

    Ehmke: Ja.

    Meurer: Warum können Sie sich diese Leute nicht vom Leib halten?

    Ehmke: Wissen Sie, wenn Tausende, Abertausende ins Wendland kommen, können wir uns nicht irgendwo hinstellen und sagen, du kannst mitmachen, du kannst nicht mitmachen. Wir können nur das machen, was wir getan haben: Aufrufen zur Besonnenheit und zur Gewaltfreiheit. Das haben wir unerlässlich getan. Wir haben sogar im Vorfeld mit der Gewerkschaft der Polizei uns zusammengesetzt und gesagt, jeder Verletzte ist ein Verletzter zu viel, ganz gleich auf welcher Seite. Uns geht es hier nicht darum, Krawall zu machen, wie das jetzt vielleicht heute in manchen Zeitungen steht, sondern uns geht es darum, das Thema Atomausstieg und Gorleben in den Mittelpunkt zu stellen.

    Meurer: Noch mal zu diesem Schottern. Sie finden das nicht in Ordnung, das Schottern, Herr Ehmke, aber Sie sagen, diejenigen, die daran teilnehmen, die wollen ja keine Gewalt ausüben. Beginnt für Sie die Gewalt nicht auch da, wenn diejenigen, die das Schottern ausüben, sich dagegen körperlich zur Wehr setzen, von der Polizei weggetragen zu werden?

    Ehmke: Das ist eine delikate Frage. Ich war jetzt bei diesem Aktionsgeschehen nicht dabei. Ich kenne Berichte von denjenigen, die dabei waren, und das sind ganz viele Menschen, die hier aus der Region kommen, keine bestimmte Szene. Die haben gesagt, sie wollen auch über ihr Outfit deutlich machen, dass sie nicht zu einer autonomen Szene gehören.

    Meurer: Damit meinen Sie die Clowns, oder?

    Ehmke: Ja. Sie waren selbst bunt angezogen und bunt ausstaffiert, um deutlich zu machen, schaut mal her – es waren sehr viele junge Leute dabei -, wir wollen hier nicht in eine bestimmte Schublade gesteckt werden. Das fällt uns schwer, dann an der Stelle zu sagen, wenn Leute sagen, wir machen hier eine gewaltfreie Aktion, dann selber davon zu sprechen wie die Polizei, dass da Straftaten begangen werden.

    Meurer: Was sagen Sie denn zu dem Anwurf gegen die Polizei, sie selbst sei übertrieben hart vorgegangen?

    Ehmke: Es gibt ganz viele Augenzeugenberichte und es ist auch gefilmt worden. Wir selber haben ja einen Film, Graswurzel-TV, das kann man bei Yahoo anklicken und sich anschauen. Oder auf unserer Homepage des Bündnisses, dieses großen Bündnisses, was aufgerufen hat zu der Demonstration am Samstag, kann man sich ja selber ein Bild machen von dem Aktionsverlauf. Und dann stehen Bilder gegen Bilder, verstehen Sie? Sie können vielleicht nachvollziehen, ich möchte mich der Version der Polizei überhaupt nicht anschließen, sondern ich möchte dafür sorgen, dass Leute vorurteilsfrei auf das Geschehen schauen.

    Meurer: Sie haben doch einen ganz guten Draht, glaube ich, zur Polizei. Warum stellen Sie deren Version in Frage? Oder in welcher Hinsicht stellen Sie sie in Frage?

    Ehmke: Ich glaube, gestern früh ging es darum, auch Bilder zu erzeugen, die unseren friedlichen Protest diskreditieren, und ich glaube, es ist nicht mehr Polizeihandeln, wie gestern Nacht auch. Die Polizei war da unter Druck. Die Polizeieinsatzleitung hat uns ja recht gegeben, wenn da 5000 Menschen auf der Schiene sitzen, die sich gewaltfrei verhalten, dass man sie mit verhältnismäßigen polizeilichen Mitteln nicht räumen kann. Man hat zwei Stunden miteinander gesprochen unter Vermittlung von Pastoren und dann auf einmal hieß es, ihr habt noch 20 Minuten Zeit, es wird geräumt.

    Meurer: Aber es wurde zwei Stunden gesprochen. Es wurde ja doch ausführlich der Versuch unternommen, zu schlichten.

    Ehmke: Ja, wir haben gesprochen. Aber es gibt offensichtlich Weisungen von oben, verstehen Sie? Die Polizei ist ja nicht unser Gegner und unser Gesprächspartner. In dieser ganzen Debatte geht es letztlich ja um politische Entscheidungen. Ich glaube auch, man wollte uns diesen Erfolg nicht gönnen, dass dieser massenhafte, überwiegend friedliche Protest es ja auch schwierig macht - Sagen wir mal so: Wenn die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert werden, verlängert sich auch die Laufzeit der Castoren. Das ist deutlich geworden. Das ist, glaube ich, eine logische Folge.

    Meurer: Verstehe ich das recht, Herr Ehmke, dass Sie sagen, die Polizei vor Ort, wenn es nach der gegangen wäre, dann hätten die Demonstranten heute Nacht auf den Schienen stehen bleiben dürfen?

    Ehmke: Ja!

    Meurer: Aber dann kam von irgendwo der Anruf, bitte räumt.

    Ehmke: Ich glaube, es ist wirklich so, denn die Gewerkschaft der Polizei ...

    Meurer: Das glauben Sie oder Sie wissen es?

    Ehmke: Die Gewerkschaft der Polizei hatte verkündet, es gebe eine Übereinkunft, dass der Castor-Transport in Dahlenburg stehen bleibt und dass in der Nacht nicht geräumt wird.

    Meurer: Es ist vielleicht noch ein bisschen früh, Bilanz zu ziehen, denn der Castor-Zug ist zwar angekommen, aber die Transportbehälter sind nicht im Zwischenlager in Gorleben eingetroffen. Wie fällt Ihre Bilanz aus?

    Ehmke: Wir merken, dass es bundesweit ganz großen Rückhalt für unser Anliegen gibt. Alle reden über Gorleben. Jeder weiß, Atomkraftwerke werden weiter betrieben, aber die nukleare Entsorgung ist nicht gesichert. Man kann Atommüll von A nach B verschieben, von La Hague nach Gorleben, das hat nichts mit nuklearer Entsorgung zu tun. Und wir sind juristisch gut aufgestellt. Die Bauarbeiten unter Tage in Gorleben sind ja derzeit gestoppt. Wir glauben, dass ist das Zeitfenster, was wir brauchen, mit diesem Massenprotest im Hintergrund, um politische Korrekturen vorzunehmen. Wir wollen raus aus der Atomkraft und Schluss mit der Atommüll-Produktion. Die Endlagersuche muss neu gestartet werden, Gorleben gehört nicht mehr in den Topf.

    Meurer: Das heißt, Herr Ehmke, auch wenn Schwarz-Gelb nicht die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert hätte, Sie hätten trotzdem zur Demonstration gegen den aktuellen Transport aufgerufen?

    Ehmke: Ja, das hätten wir, denn es ist durch Akteneinsicht der letzten Monate so deutlich geworden, dass schon die Festlegung auf Gorleben 1977 politisch diktiert war und dass es mit der Geologie, der Eigenschaft dieses Salzstocks nichts zu tun hatte, und dass dann schrittweise, immer dann, wenn es Negativbefunde bei den geologischen Untersuchungen, vor allem bei den Tiefbohrungen gab, die Sicherheitskriterien an den Salzstock angepasst wurden und nicht umgekehrt. Ein Salzstock, der Wasserkontakt hat, wo es Gaseinschlüsse gibt, der kann als Atommüll-Endlager nicht infrage kommen! Wir hatten gehofft, dass es eine vergleichende Endlagersuche gibt, und dass es tatsächlich so etwas gibt wie zurück auf null.

    Meurer: Aber bis dahin muss das Ganze in einem Zwischenlager deponiert werden. Wo soll das sein?

    Ehmke: Ja. Die liegen ja in den Zwischenlagern. Es ist ja schon Fakt. Der Atommüll wird ja oberirdisch in den Zwischenlagern aufbewahrt und das gilt als Entsorgungsnachweis. Aber es wird nur zwischengelagert und es wird unnötig Zeit verloren, wenn man in Gorleben weiter ausbaut, und es wird auch unnötig Geld ausgegeben, denn wir sind ziemlich sicher, dass auch in einem atomrechtlichen Genehmigungsverfahren Gorleben niemals bestehen kann.

    Meurer: Das war Wolfgang Ehmke, der Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, zum aktuellen Castor-Transport nach Gorleben. Herr Ehmke, danke und auf Wiederhören!

    Ehmke: Auf Wiederhören!