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Die Privatschule boomt

Acht Prozent der Schüler in Deutschland besuchen eine Privatschule. Mittlerweile nehme auch die Mittelschicht die privaten Bildungsangebote in Anspruch, sagt Bildungsforscher Manfred Weiß. Bildungsferne Schichten interessierten sich hingegen weniger für private Schulen.

Manfred Weiß im Gespräch mit Manfred Götzke | 09.02.2011
    Manfred Götzke: Überfüllte Klassen, Stundenausfall, alle vier Jahre ein neues Schulsystem. Immer mehr Eltern haben keine Lust mehr auf die Schulmisere in Deutschland, sie sagen Tschüss und schicken ihre Kinder auf Privatschulen. Acht Prozent der Schüler sind es mittlerweile, mehr als 50 Prozent mehr als noch Anfang der 90er-Jahre. Das ist zu lesen in der ersten Studie, die die Situation von Privatschulen in Deutschland untersucht. Im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung hat sie das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung erstellt, Manfred Weiß ist der Autor. Herr Weiß, warum geben Eltern bis zu 500 Euro im Monat für Privatschulen aus, wo ihre Kinder Bildung doch auch zum Nulltarif bekommen könnten?

    Manfred Weiß: Aus den Umfragen, die wir ausgewertet haben, lässt sich einmal feststellen, dass die Eltern den Wunsch haben nach einem besseren Sozialmilieu, sie haben die Erwartung einer besseren Persönlichkeitsbildung der Kinder, auch höhere Lernleistung erwarten sie und bessere Chancen später im Berufsleben für ihre Kinder.

    Götzke: Sie haben ja untersucht, was Privatschulen tatsächlich besser leisten als staatliche. Werden diese Erwartungen erfüllt?

    Weiß: In Bezug auf die Leistungen können wir das so nicht bestätigen. Unsere Auswertung von PISA-Daten kommen zu einem insgesamt ... ein uneinheitliches Bild vermitteln in diese Auswertungen mit insgesamt wenig bedeutsamen Leistungsunterschieden zwischen privaten und öffentlichen Einrichtungen. Das muss man vielleicht ein bisschen differenzieren: Bei den Realschulen, die wir in der Stichprobe hatten, schneiden die privaten Einrichtungen etwas besser ab, allerdings konnten wir diesen Effekt nur für die Mädchen feststellen; bei den Gymnasien sind es die öffentlichen Schulen, die etwas leistungsmäßig besser abschneiden als die privaten.

    Götzke: Wer schickt denn seine Kinder vor allem zur Privatschule? Sind das tatsächlich nur die reichen Bildungsbürger?

    Weiß: Nein, das kann man in dieser Form nicht sagen. Also die Vorstellung, dass hier nur sozusagen die gehobenen Milieus ihre Kinder auf Privatschulen schicken, das ist nicht mehr zutreffend. Mittlerweile ist das auch durchaus die Mittelschicht, die private Bildungsangebote in Anspruch nimmt. Allerdings zeigt sich immer wieder, dass es vor allem bildungsnahe Schichten sind, das heißt im Klartext: Vor allem werden private Angebote in Anspruch genommen von Eltern, die selber über einen relativ hohen Bildungsstand verfügen, und weniger von sogenannten bildungsfernen Schichten, wo die Eltern keinen Abschluss haben oder nur einen niedrigen Schulabschluss.

    Götzke: Da wird ja sofort deutlich, das Ganze führt naturgemäß zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft. Wie problematisch ist das auch für das öffentliche Schulsystem?

    Weiß: Das ist richtig, wobei man das in Bezug auf Deutschland insofern etwas relativieren muss, als bei uns die Schulform, in den weiterführenden Bildungsgängen die Schulform natürlich schon eine sehr starke Vorselektion vornimmt. Allerdings – das haben auch unsere Studien gezeigt, unsere Auswertungen gezeigt – trägt die Trägerschaft dann noch mal differenzierungsverstärkend dazu bei. Das heißt also die Sozialmilieus der privaten Schulen der jeweiligen Schulform sind dann noch etwas günstiger als an den jeweiligen öffentlichen Schulen.

    Götzke: Befürworter von Privatschulen, die sagen ja, Privatschulen, die sind Pioniere für neue, innovative Bildungskonzepte, die dann vielleicht irgendwann von staatlichen Schulen übernommen werden. Hat sich das erhärten lassen in Ihrer Studie?

    Weiß: Also in dieser Allgemeingültigkeit nicht. Natürlich gibt es Privatschulen, die reformpädagogisch orientiert sind wie etwa Waldorfschulen, Montessorischulen und ähnliche Schulen. Von diesen Schulen haben sicherlich auch die öffentlichen Einrichtungen vieles übernommen; es ist aber nicht so, es ist kein Alleinstellungsmerkmal sozusagen jetzt der Privatschulen, dass sie pädagogische Reformen voranbringen. Auch im öffentlichen Schulwesen finden wir viele Schulen, die reformfreudig sind. Die Reformresistenz, die ihnen vielfach unterstellt wird, ist nicht zutreffend. Das zeigt beispielsweise auch die Tatsache, dass der renommierte Deutsche Schulpreis bislang fast ausnahmslos an öffentliche Schulen ging, an Schulen, die durch pädagogische Innovation, gute Leistungsergebnisse oder ein gutes Schulklima auffielen.

    Götzke: Finanziert werden die Schulen ja bis zu 90 Prozent vom Staat, die privaten. Da die das Bildungsangebot ja jetzt nicht unbedingt verbessern, wie wir gerade gehört haben: Sollte der Staat die Milliarden nicht besser in das staatliche Schulsystem stecken, anstatt die Privatschulen zu alimentieren?

    Weiß: Na ja man muss sehen, es gibt eine verfassungsrechtlich garantierte Privatschulfreiheit für die sogenannten Ersatzschulen – und das ist die weit überwiegende Mehrzahl der allgemeinbildenden Schulen, also Schulen, die ihre Entsprechung im öffentlichen Schulsystem haben –, diese Schulen haben einen Anspruch auf staatliche Finanzhilfe, die Betonung liegt auf Hilfe. Und insgesamt unter dem Strich ist das für den Staat immer noch günstiger dann Privatschulen zu fördern, weil sie da keine Vollfinanzierung übernehmen müssen, sondern der Träger oder auch die Eltern dann zum Teil die Mitfinanzierung übernehmen.