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"Die Probleme sind lösbar"

Ein Schlüssel zur langfristigen Sicherung der Renten liegt in der gerechten Verteilung des wachsenden Wohlstands. Davon ist der Statistiker und Sozialforscher Gerd Bosbach überzeugt. Das sei allerdings nur politisch durchsetzbar.

Gerd Bosbach im Gespräch mit Sina Fröhndrich | 14.05.2013
    Sina Fröhndrich: Wir werden älter und wir werden weniger, und dieser demografische Wandel wirkt sich aus: auf den Arbeitsmarkt, auf die Renten, auf das Gesundheitssystem, sagen Statistiker. Ein anderer Statistiker sagt, mit diesem Thema wird vor allem Angst geschürt.
    Über den demografischen Wandel möchte ich jetzt sprechen mit dem Statistiker Gerd Bosbach. Guten Abend!

    Gerd Bosbach: Ja, guten Abend.

    Fröhndrich: Herr Bosbach, Sie sagen, die alternde Gesellschaft sei gar kein Problem. Aber wenn wir uns die niedrige Geburtenrate angucken, dann spricht die doch eigentlich eine ganz andere Sprache?

    Bosbach: Meine Hauptbegründung, warum ich das Problem nicht sehe, liegt im letzten Jahrhundert. Dort haben wir einen riesigen demografischen Wandel hinter uns. Wir sind 30 Jahre älter geworden im Schnitt, der Jugendanteil hat sich halbiert und der Anteil der Rentner hat sich mehr als vervierfacht im letzten Jahrhundert. Stellen Sie sich diese Zahlen mal vor, wenn wir die heute nennen würden, würden wir sagen: riesiges Problem, das ist eine Katastrophe. Stattdessen ist im letzten Jahrhundert der Sozialstaat massiv ausgebaut worden, der Wohlstand massiv ausgebaut worden und wir haben sogar die Arbeitszeit verkürzen können.

    Fröhndrich: Trotzdem gab es heute den Demografiegipfel in Berlin. Warum wird das Thema dann trotzdem als Problem dargestellt, wenn Sie sagen, das sei gar keines?

    Bosbach: Es war immer ein Problem für absolute Fachleute, und seit gut zehn Jahren redet auf einmal die ganz breite Öffentlichkeit darüber, und zwar fast täglich. Das ist nicht vom Himmel gefallen, daran haben Institutionen gearbeitet, die das als Problem an die Wand malen wollten, Ängste schüren wollten, und mit den Ängsten haben sie Veränderungen durchgesetzt, die sie sonst nicht erreicht hätten.

    Fröhndrich: Diese Ängste funktionieren ja auch. Aber wenn ich Ihnen jetzt folge, dann heißt das, ich als junger Mensch muss mir keine Sorgen machen, es wird auch in Zukunft kein Problem sein, die Renten zu finanzieren?

    Bosbach: Das ist eine Frage der Verteilung. Wenn wir einen auch nur leicht wachsenden Wohlstand in Deutschland haben, bei weniger Menschen, was erwartet wird, dann kann jeder mehr bekommen. dann kann jeder mehr bekommen, wenn die Verteilung gerecht ist, und hier sind wir bei dem Problem, dass daran gearbeitet wurde, die Verteilung des Wohlstands in Deutschland zu verändern zu Gunsten der Unternehmen - sie haben an Rentenbeiträgen gespart – und zu Gunsten von Versicherungen, Finanzdienstleistern, die ihre Gewinne halt maximieren wollen. Da müsste politisch dran gearbeitet werden, es gibt eine Menge von Problemen, unter anderem auch mit den momentanen Regeln der gesetzlichen Rentenversicherung. Das sollte jungen Leuten Angst machen. Aber diese Probleme sind lösbar.

    Fröhndrich: Und wie wären die lösbar?

    Bosbach: Indem man die Umverteilung stoppt, die im Moment stattfindet, und den Reichtum gleichmäßig verteilt, und das hieße konkret, dass der Arbeitnehmer nicht nur einen Preissteigerungsausgleich bekommt, sondern halt auch von dem Produktivitätswachstum seinen Anteil ausbezahlt bekommt. Dann sieht das über die Zahlungen die Rentenversicherung sofort und die Rentenversicherung wächst in ihrem Volumen und kann auch mehr Alte ernähren. Ich habe da einfach nur mal eine kleine Modulationsrechnung mit ein Prozent Produktivitätswachstum gemacht für die nächsten 30 und 50 Jahre und bin zu dem Ergebnis gekommen, dass das deutlich mehr Wachstum ist, als die Alterung verlangt.

    Fröhndrich: Schauen wir noch mal ganz kurz auf den Arbeitsmarkt. Es fehlen ja doch Fachkräfte, das beklagen die Unternehmen. Oder sehen Sie das nicht so?

    Bosbach: Ich möchte jetzt in der Kürze der Zeit gar nicht darüber diskutieren. Das ist ein eigenes Thema. Wenn wir jetzt aber fehlende Fachkräfte haben, dann sind das nicht zu wenig Jugendliche, sondern dann ist das zu wenig Ausbildung in den letzten 20 Jahren. Zumindest von 1990 bis 2005 haben wir jedes Jahr weit über 100.000 Jugendliche nicht ausgebildet. Es hieß damals, es sind zu viele da. Das wären heute 30- bis 40-jährige Facharbeiter. Wenn die fehlen, ist es der Mangel der Ausbildung, also der eigene Fehler von früher und der jetzt so schön auf die Demografie geschoben wird, weil dann hat man mit allem nichts zu tun.

    Fröhndrich: …, sagt der Statistiker Gerd Bosbach. Vielen Dank für das Interview.

    Bosbach: Danke Ihnen!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.