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Die Puppenmutter

Als John F. Kennedy 1963 Deutschland besuchte, wusste er angeblich genau, was er seiner Tochter mitbringen wollte: eine Puppe von Käthe Kruse, denn die sind weltberühmt und werden von Sammlern wie Kindern gleichermaßen geliebt. Erfunden hat sie ihre Namensgeberin - eine unkonventionelle Künstlerin, Puppenmacherin und erfolgreiche Unternehmerin. Heute, vor 40 Jahren ist Käthe Kruse gestorben.

Von Vanessa Loewel | 19.07.2008
    "Das Ziel, eine bedeutende Frau zu werden und einen großen Betrieb zu haben, ist mir nie gekommen. Wirklich, mit Verstand habe ich das allerwenigste im Leben erreicht. Bei mir war immer nur, schrecklich unmodern, das Herz die Triebfeder, die Liebe."

    Dabei hat Käthe Kruse eine Karriere gemacht, die außergewöhnlich ist für eine Frau ihrer Generation und für die es mehr braucht als Herz.

    1883 wird sie in Breslau geboren, als uneheliche Tochter einer Näherin. Nach ihrer Schulausbildung nimmt sie Schauspielunterricht und bekommt prompt ein Engagement am Lessingtheater in Berlin.

    Die 17-jährige taucht ein in das mondäne Leben der Großstadt. Im Café des Westens, dem Treffpunkt der Berliner Künstlerszene, lernt sie den berühmten Bildhauer Max Kruse kennen.

    "Damals in Berlin, na, ich war piepjung und voller Ehrfurcht. Und dann eben der geliebte, alte Max, wunderbar, der schönste Mann von Berlin. Nichts wäre mir weniger eingefallen, als dass der sich für mich interessieren könnte, aber er tats."

    Max Kruse ist 47, Käthe 19 Jahre alt, als das erste Kind geboren wird. Ihren Beruf als Schauspielerin gibt sie auf. Kruse schickt sie aus Berlin an den Lago Maggiore - die Großstadt sei nichts für junge Mütter und Kinder. Außerdem dürfe ein Künstler nicht mit der Familie zusammen leben.

    Käthe Kruse zieht also allein mit ihren mittlerweile zwei Töchtern nach Ascona. Als sich die Älteste eine Puppe wünscht, schreibt sie nach Berlin.

    "Geliebter, die Mimerle will eine Puppe haben. Und dann ging mein Mann artig rum in die Spielwarenläden und schrieb mir: 'Nee, ick koof euch keene Puppen. Ick find se scheißlich. Macht Euch selber welche.' Das war das Samenkorn, das mein Mann gelegt hat."

    So entsteht 1905 die erste Käthe-Kruse-Puppe aus einem mit Sand gefüllten Handtuch als Körper und einer Kartoffel als Kopf. Diesem Sandbaby folgen weitere Entwürfe, die die junge Mutter für ihre Kinder fertigt.

    1910 werden ihre Kreationen im Berliner Kaufhaus Hermann Tietz unter dem Titel "Spielzeug aus eigener Hand" ausgestellt - mit unerwartetem Erfolg. Presse und Publikum sind begeistert. Offenbar treffen die Kruse-Puppen den Zeitgeist.

    Anders als die damals üblichen Porzellan-Puppen, deren Zerbrechlichkeit die Kinder beim Spielen zur Sorgfalt zwingt, sind sie aus Stoff, weich und unverwüstlich. Sogar sturzfeste Köpfe haben sie. Die handbemalten Gesichter wirken außergewöhnlich niedlich, ebenso die kindlich-runden Gliedmaßen. "Puppen zum Liebhaben" sollten es sein. 1915 schreibt die Schriftstellerin Gabriele Reuter in der Illustrierten "Die Gartenlaube":

    "Die kleine Frau Käthe Kruse ist in ihrer Weise eine Art von Genie. War sie doch die erste, die den schrecklich verflachten Konventionalismus der Puppenfabrikation mutig durchbrochen hat."

    Die Nachfrage ist groß, nicht nur in Deutschland. Auch aus den USA kommen Aufträge. 1912 gründet Käthe Kruse, mit nur 29 Jahren, im thüringischen Bad Kösen ihre Puppenmanufaktur. Maschinell zu produzieren, wie viele ihrer Konkurrenten, lehnt sie ab:

    " Es ist halt mit dem Herzen gemacht. Die Hand, nur die Hand geht dem Herzen nach, die Maschine kann das nicht."

    Bald ernähren die Puppen die Familie, zu der mittlerweile sieben Kinder gehören. Käthe Kruse bringt ihre Firma über zwei Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise - was für ihr Durchsetzungsvermögen und unternehmerisches Geschick spricht: Früh erkennt sie die Bedeutung von Werbung und pflegt weltweit Handelsbeziehungen. Sie nennt sich selbst einen "weiblichen Kaufmann".

    Als ihr 1950 in Bad Kösen die Enteignung droht, flieht sie in den Westen, ins bayrische Donauwörth. Noch heute werden hier Käthe-Kruse-Puppen in Handarbeit gefertigt, wobei die Sammlerpuppen den kleineren Teil der Produktion ausmachen. Den größeren Umsatz macht die Firma heute mit preiswerteren Spielpuppen und Accessoires, 2007 immerhin rund 15 Millionen Euro.

    Seit 1990 ist das Unternehmen nicht mehr in Familienhand - bis dahin führten es Käthe Kruses Kinder. Sie selbst zieht sich 1956 aus der Unternehmensführung zurück, im gleichen Jahr erhält sie das Bundesverdienstkreuz.

    Als sie 1968, mit 84 Jahren stirbt, ist ihr Name weltbekannt - viel bekannter als es der ihres Künstler-Ehemannes Max Kruse jemals war.