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Die Qual der Wahl

Toxikologie. – Jüngsten Berichten zufolge ist Alexander Litwinenko an einer Polonium-Vergiftung gestorben. Der Exagent des russischen Geheimdienstes FSB, lebte seit dem Herbst 2000 im britischen Exil hatte zuletzt Russlands Präsidenten Wladimir Putin heftig angegriffen. Am 1. November erkrankte Litwinenko und wurde ins University College Hospital in London eingewiesen, wo er am 23. November starb. Die Ärzte hatten die Ursache seiner Erkrankung nicht finden können. Lars Kröner, Leiter der forensischen Toxikologie am Institut für Rechtsmedizin der Universität zu Köln, hatte am Nachmittag im Gespräch mit Grit Kienzlen Stellung zu dem rätselhaften Fall genommen.

24.11.2006
    Kienzlen: Herr Kröner, wie erklären Sie sich den Fall Litwinenko?
    Kröner: Viele Substanzen aus der Natur und dem Bereich der Chemie weisen eine sehr hohe Toxizität aus, werden in geringen Konzentrationenverabreichung sind also sehr schwer nachzuweisen im Blut und im Urin, das üblicherweise gewonnen wird. Daher ist die Rolle der Toxikologie eine sehr schwere in einem solchen Fall.

    Kienzlen: Das heißt, die wussten einfach nicht, wonach sie suchen sollten, und hätten sie es gewusst, wäre trotzdem wegen der geringen Konzentration schwierig gewesen?

    Kröner: Ja, man sucht erst einmal nach den üblichen Verdächtigen, in dem Fall waren das Thallium oder radioaktive Verbindungen in der Diskussion. Thallium und radioaktive Verbindungen lassen sich aber sehr schnell ausschließen, und jetzt beginnt die toxikologische Kleinarbeit.

    Kienzlen: Was ist Thallium für ein Stoff?

    Kröner: Thallium ist ein Element, ein Schwermetall, das auch als Rattengift früher Verwendung gefunden hat. Und bei einer Thalliumvergiftung kommt es zu diesen typischen Anzeichen: Haarausfall, gastrointestinale Störungen, also Übelkeit, Durchfälle, diese Probleme können auftreten, das ist wohl im vorliegenden Fall auch so gewesen.

    Kienzlen: Und warum hat man es dann trotzdem ausschließen können?

    Kröner: Thallium lässt sich sehr gut durch gängige Untersuchungen nachweisen, Atomabsorptions-Spektroskopie beispielsweise. Daher kann man, wenn man eine Urinprobe des Patienten bekommt, relativ schnell den Nachweis führen, oder eben den Ausschluss.

    Kienzlen: Welche Gifte kommen denn dann infrage?

    Kröner: Es gibt viele 1000 toxische Verbindungen, die zum Teil in hoher Konzentration, in hoher Dosierung gegeben werden müssen, um die Wirkung zu entfalten. Es gibt auch Verbindungen, die in sehr geringer Konzentration nur gegeben werden müssen. Es gibt Substanzen, die schwer nachweisbar sind, zum Beispiel aus heimischen Pilzarten, aus Schimmelpilzen, die so genannten Mycotoxine. Es gibt sehr exotische Substanzen aus dem Meer, von Meeresorganismen, die so genannten marinen Toxine, das alles sind Substanzen, an die kommt man als Normalbürger nicht so ohne weiteres heran, und die sind auch sehr schwer nachweisbar, einerseits dadurch, dass sie in sehr, sehr geringer Konzentration bereits toxisch wirken, und andererseits im Körper sich auch schnell wieder abbauen können.

    Kienzlen: Jetzt wissen wir ja über diesen Fall, dass der Herrn Litwinenko sehr wahrscheinlich dieses Gift über den Mund, also in Tee aufgenommen hat, das gibt doch schon bestimmte Hinweise darauf, welche chemische Substanz das gewesen sein muss?

    Kröner: Ja, sollte man annehmen. Zumindest, dass die Substanz im Tee nicht feststellbar war, allein durch Augenschein, das man gesehen hat, da schwimmt etwas drauf, oder es bildet sich ein Bodensatz. Sie sollte geschmacklos gewesen sein, weit gehend geschmacklos, ein bitterer Geschmack hätte auch eine Warnfunktion gehabt, und sie sollte eine gewisse Löslichkeit gehabt haben, also in einer wässrigen Lösung, im Tee gut löslich gewesen sein. Es ist aber auch durchaus denkbar, dass schlecht lösliche Substanzen trotzdem über den Tee aufgenommen werden können, einfach dadurch, dass sehr, sehr geringen Mengen ausreichen, die können dann zum Beispiel über den Zucker in den Tee kommen.

    Kienzlen: Nun stellt man sich ja landläufig vor, dass man an einem Gift entweder sofort stirbt, oder wenn man langsam vergiftet wird, dann kontinuierlich Dosen davon bekommen muss, so wie man sich das bei Napoleon vorgestellt hat. Ist es nicht ungewöhnlich, dass man nach einer Vergiftung erst dreieinhalb Wochen später stirbt?

    Kröner: Es gibt verschiedene Gifte, die zu Zellschädigungen führen, die irreversibel sein können. Es kann sogar zwischenzeitlich, nach der Aufnahme des Giftes und anfänglicher Übelkeit, anfänglichen Symptomen, zu einer Erholung des Patienten kommen, und trotzdem einen tödlichen Verlauf nehmen. Man denke da zum Beispiel an die heimischen Knollenblätterpilze, an einige Pflanzenschutzmittel, Paraoxon beispielsweise, Diquat, Paraquat. Das sind Substanzen, die auch über längere Zeit zum Tode führen können. Es können auch Mycotoxine sein, aus Schimmelpilzen beispielsweise, die schädigen die Zellen beispielsweise der Leber und es kommt da durchaus zu der Symptomatik, die bei dem Patienten beobachtet wurde.