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"Die Raser werden dadurch begünstigt"

Das Rasen mit dem Auto soll nach einem neuen Vorschlag weniger Punkte in Flensburg bringen, als bisher. Gerd Lottsiepen, VCD-Verkehrsexperte, kritisiert dies. "Meines Erachtens sollte dort gemessen werden, wo es wirklich sinnvoll ist, also in der Nähe von Schulen, von Kindergärten", bemängelt er außerdem.

Gerd Lottsiepen im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 10.02.2012
    Christoph Heinemann: Angesichts der geplanten Reform des Flensburger Punktekatalogs, der Verkehrssünderdatei, hat der Deutsche Verkehrsgerichtstag für den Systemübergang eine Amnestie für alle Verkehrssünder empfohlen. "Nach meiner Ansicht kann es nur so laufen, dass man einen scharfen Schnitt macht und sagt, das ist nun alles Vergangenheit und jetzt wird neu angesammelt", das sagte Verkehrsgerichtstagspräsident Kay Nehm der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post". Über die geplante Reform sprach mein Kollege Jürgen Zurheide mit Gerd Lottsiepen vom Verkehrsclub Deutschland. Erste Frage: Ist das gegenwärtige System, das mit den 18 Punkten also, zu kompliziert?

    Gerd Lottsiepen: Nein, das ist nicht kompliziert. Es gibt einen veröffentlichten Bußgeldkatalog und dort gibt es halt für die Vergehen eins bis sieben Punkte. Die meisten Vergehen sind zwischen einem und vier Punkten. Das lässt gewisse Differenzierungen zu, zum Beispiel beim zu schnell fahren, dass man halt für leichtere Verstöße nur einen Punkt gibt, für größere Verstöße vier Punkte. Und, ja Gott, jeder Bürger kann doch bis 18 zählen und rechnen, und was da jetzt als große Vereinfachung eingeführt werden soll, man muss da wirklich hinterfragen, ob es nicht einfach das Ganze primitiver macht und von daher weniger zielführend.

    Jürgen Zurheide: Wir werden gleich über das eine oder andere Detail noch sprechen. Ich will mal grundsätzlich fragen: Verliert man jetzt weniger schnell seinen Führerschein - man hört ja die eine oder andere Sorge in diese Richtung -, oder ist es genau anders herum?

    Lottsiepen: Wahrscheinlich verliert man später seinen Führerschein. Wenn man einfach dem Minister folgt, der sagt, dass Delikte, die heute mit drei Punkten bestraft werden, zukünftig nur noch mit einem Punkt bestraft werden, dann heißt das also bei Zu-Schnell-Fahren in Ortschaften, wenn man zum Beispiel 60 statt 30 in einer Tempo-30-Zone fährt, dass man sich dieses Vergehen künftig zwei Mal häufiger leisten kann im Vergleich zu heute, bis der Führerschein endgültig weg ist. Also das ist sicherlich nicht zielführend. Es kann, aber das wird man sehen, wenn dieser Katalog endgültig vorliegt. Was passiert ist, ist ja eine Panne, wahrscheinlich eine gewollte Panne, dass die "Bild"-Zeitung vorab berichtet hat, ohne dass wirklich klare Fakten auf dem Tisch liegen.

    Zurheide: Werden die Raser begünstigt?

    Lottsiepen: Die Raser werden dadurch begünstigt, dass einfach Delikte, die früher drei Punkte brachten, heute nur noch einen Punkt haben, weil wenn man 18 durch drei teilt, dann kommt man auf sechs, sechs Mal kann man es sich leisten. Wenn man jetzt acht durch eins teilt, dann kann man es sich acht Mal leisten. Aber es wird ja noch heftiger dadurch, dass die Verjährung viel schneller greift, dass sie automatisch nach zwei, je nachdem wie viele Punkte es gegeben hat, oder drei Jahren greift. Bis jetzt ist es ja so, dass die Punkte bleiben, oder die werden dann gestrichen, wenn zwei Jahre insgesamt nichts mehr passiert ist. Unserer Auffassung nach kann man natürlich darüber reden, dass ein Delikt, was irgendwann mal vor zwei Jahren passiert ist und keine Verbindung zu anderen hat, auch nicht gefährlich war, dass man das streicht. Aber wer in dieser Zeit mehrfach beim Zu-Schnell-Fahren erwischt wird, da sollten diese alten Punkte unseres Erachtens nicht gestrichen werden.

    Zurheide: Ist denn prinzipiell aus Ihrer Sicht damit falsch, dass man das auf zwei Kategorien mit einem und zwei Punkten reduziert? Da haben Sie Ihre Skepsis. Sie sagen, das bisherige System erlaubt bessere und damit auch sicherere Differenzierungen.

    Lottsiepen: Ja, eindeutig, weil jetzt hat man halt wirklich nur zwei Möglichkeiten. Und wenn man mehrere Möglichkeiten hat, kann man feiner differenzieren und kann auch ganz klar sagen, dieses Delikt, das ist deshalb so hoch bepunktet, weil es halt höchst gefährlich ist, das zu tun.

    Zurheide: Es gibt natürlich eine ganz grundsätzliche Kritik an diesem Katalog. Da heißt es zum Beispiel vonseiten der Gewerkschaft der Polizei, die weisen darauf hin, das mit den Punkten ist gut und schön, vielleicht auch notwendig, aber eigentlich viel wichtiger wären richtige Kontrollen. Wie sehen Sie das?

    Lottsiepen: Ja, gut, dass die Polizei das sagt. Es ist tatsächlich so, dass in Deutschland im Vergleich zum benachbarten Ausland erst mal die Strafen sehr niedrig sind und zweitens die Kontrolldichte, die ist viel löchriger. In der Schweiz wird zum Beispiel viel häufiger kontrolliert als in Deutschland. Aber dann auch noch innerhalb von Deutschland ist es sehr unterschiedlich. Das unterscheidet sich auch von Landkreis zu Landkreis, wie oft dort kontrolliert wird. Und es kann jetzt wirklich das Pech eines Menschen sein, dass er in einem bestimmten Landkreis wohnt und genauso häufig, wie andere irgendeine Regel übertritt, und seinen Führerschein los ist, und anderen im benachbarten Kreis, denen passiert nichts. Es kommen ja jetzt auch wieder die Zahlen hoch, dass zum Beispiel nur jede 600. Alkoholfahrt entdeckt wird. Das geht natürlich nicht. Wenn die Gesellschaft sagt, Alkohol am Steuer darf nicht sein – und das sagt sie ja zurecht -, dann muss das auch besser kontrolliert werden, weil so kann ja jeder einfach spielen und man geht auf Risiko und die Chance, erwischt zu werden, ist ja dann doch relativ niedrig. Und oft wird man auch nur dann erwischt, wenn wirklich was passiert. Das muss man ja auch sehen.

    Zurheide: Jetzt gibt es in Nordrhein-Westfalen so einen Blitzertag, der ist allerdings angekündigt. Die Polizei will überall ausrücken, wenn es nicht zu kalt ist, wird das auch gelingen. So etwas halten Sie prinzipiell für richtig, oder für falsch?

    Lottsiepen: Ich weiß nicht, ob es der Blitzertag sein muss. Meines Erachtens sollte dort gemessen werden, wo es wirklich sinnvoll ist, also in der Nähe von Schulen, von Kindergärten. Da muss man messen, da muss man kontrollieren. Das passiert meines Erachtens viel zu wenig. Stattdessen sind die Kontrollen oft an den Ausfallstraßen aus den Städten, in Industriegebieten. Okay, da sollte man auch nicht rasen, aber da ist es bei Weitem nicht so schlimm wie vor einer Schule, vor einem Kindergarten. Und da muss man halt mehr auch in die Wohngebiete reingehen. Das passiert heute viel zu wenig.

    Heinemann: Gerd Lottsiepen vom Verkehrsclub Deutschland – die Fragen stellte mein Kollege Jürgen Zurheide.

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