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Die Religion der Reichsbürger
Gottesstaat Deutschland

Reichsbürger lehnen die Bundesrepublik ab, gründen stattdessen Pseudostaaten. Sie verbreiten oft auch religiöse Ideen weit abseits des Mainstreams. Manche gehen davon aus, ihre Reichsverfassung direkt von Gott erhalten zu haben, wähnen sich in einem apokalyptischen Endkampf.

Von Christian Röther | 12.07.2019
Rechte Reichsbürger bei einer Demonstration in Berlin.
Reichsbürger sehen die Bundesrepublik Deutschland als Teil einer Verschwörung an und lehnen sie ab. Und setzen dabei mitunter auch Gewalt ein. (Imago / Christian Ditsch)
"Ich identifiziere mich mit meinem göttlichen Wesen in mir. Und deswegen, wenn ich in der Ich-Form rede, schreibe ich auch zu jedem Gericht: Ich, das göttliche Wesen."
Dieses "göttliche Wesen" heißt eigentlich Peter Fitzek – einer der bekanntesten Vertreter der deutschen Reichsbürgerszene. In Wittenberg hat er das "Königreich Deutschland" ausgerufen. Das brachte ihm einen Beinamen ein: "König von Deutschland". Aber Peter Fitzek hält sich offenbar für noch weit mehr als einen König: für einen Gesandten Gottes:
"Ich bin so weit in meiner Bewusstheit gekommen, dass ich genau weiß: Wer bin ich? Was will ich hier? Warum bin ich vom Schöpfer hergeschickt worden? Wo komme ich her? Und ich komme aus einer Welt, die hat mit dieser eigentlich gar nichts zu tun. Und ich bin mir dessen vollständig bewusst."
"Ich stelle das gesamte System in Frage"
Peter Fitzek erzählt das im Mai 2019 in einer Fernsehsendung aus der Schweiz: "TimeToDo". Das Programm bewegt sich irgendwo zwischen Esoterik, Dauerwerbesendung und Systemkritik.
Fitzek: "Es geht also darum zu sagen: Wie können wir von diesem satanischen System loskommen und das machen im Prinzip, was vor 2000 Jahren das erste Mal initiiert wurde? Und deswegen sage ich mir, bin ich jetzt einfach nur jemand, der das Gleiche macht. Ich stelle das gesamte System in Frage. Und das ist vor 2000 Jahren von Jesus Christus gemacht worden. Was anderes mache ich jetzt auch nicht."
Ein selbsternannter "König von Deutschland", der sich mit Jesus Christus vergleicht. Also eine Art deutscher Messias?
"Ich habe vielen Menschen schon Dinge gezeigt, die andere Menschen als Wunder empfinden würden."
Das sagte Fitzek in einem anderen reichsbürgerlich-esoterischen Medium, bei "bewusst.tv". In Anlehnung an eine biblische Selbstbezeichnung Jesu nennt sich Fitzek auch "Peter, Menschensohn des Horst und der Erika aus dem Hause Fitzek".
"Da bin ich von Gott hingeführt worden"
Fitzek: "Die Bibel beispielsweise habe ich das erste Mal erst in der Haft gelesen. Diese Bezeichnung 'Menschensohn' habe ich schon lange davor verwendet. Das hat mit der Bibel noch gar nichts zu tun gehabt. Da bin ich von Gott dahin geführt worden, so Schritt für Schritt."
Fitzek ist Anfang 50, gelernter Koch und Karatelehrer.
"Für Peter Fitzeks politisches Handeln war immer schon auch eine esoterische Komponente wichtig", sagt Jan Rathje, Politikwissenschaftler bei der Amadeu-Antonio-Stiftung. Seit Jahren beobachtet er die Szene der Reichsbürger – auch Peter Fitzek:
"Er hat, bevor er überhaupt seine Idee des Königreichs Deutschland umgesetzt hat, einen Esoterik-Laden betrieben. Er ist Autor von esoterischer Literatur, die im Groben um Bewusstseinserweiterung und um Schutzengel sich dreht. Und er hat aber auch schon in seinem 'Lichtzentrum Wittenberg' – bevor es überhaupt das Königreich Deutschland gab – erste Kurse angeboten, wie man ein souveräner Mensch, wie man ein freier Mensch wird – mit der Idee eines eigenen Staatsgebietes."
"Mit hohen Wesenheiten kooperieren"
In diesem Staatsgebiet – oder besser: In diesem Pseudostaat werden Außenstehende sehr genau beobachtet. Das hat auch Kilian Knop festgestellt. Er studiert in Göttingen Religionswissenschaft im Master und will mehr herausfinden über die religiösen Elemente in der Reichsbürgerszene. Kilian Knop ist es gelungen, Zugang zu bekommen zum "Königreich Deutschland":
"Es war nicht einfach, das muss man schon sagen. Ich bin da allerdings relativ offen rangegangen, manche würden vielleicht sagen: naiv. Aber es hat sich dann durchaus bezahlt gemacht."
Schriftzug Königreich Deutschland.de auf der Schaufensterscheibe eines Ladengeschäftes in Lutherstadt Wittenberg; darunter die umgedrehten Farben der Deutschlandfahne. 
Der Schriftzug "Königreich Deutschland.de" auf einer Schaufensterscheibe in Wittenberg (imago / Klaus Martin Höfer )
Nachdem er sein Anliegen geschildert hatte, durfte Kilian Knop mehrere Interviews mit Peter Fitzek führen – dem Gründer des "Königreichs Deutschland", der sich selbst mit Jesus vergleicht:
"Ich würde nicht sagen, dass sich Peter Fitzek für den Gesandten Gottes hält. Er ist lediglich eine Person, die über – man könnte sagen – exklusives Wissen verfügt. Durch seine Techniken und durch sein Wissen, was er hat, konnte er halt eben mit hohen Wesenheiten des Kosmos kooperieren. Die sind sozusagen in seinen Körper eingefahren und haben ihm dort gewisse Dinge gesagt."
"Es wird eine Theokratie erschaffen"
So beschreibt der Religionswissenschaftler die Eigenperspektive des Reichsbürgers. Kilian Knop hat herausgefunden, dass verschiedene religiöse Elemente von Bedeutung sind im "Königreich Deutschland". Hier mischen sich Esoterik und Theosophie, Yoga und Meditation, Ufo-Glaube und Christus-Verehrung, Naturmystik und die Kommunikation mit übernatürlichen Wesen:
"Zum einen Naturgeistern, zum anderen aber auch Engeln. Das spielt eine Rolle. Der Kontakt mit Verstorbenen spielt eine Rolle."
Von übernatürlichen Wesen will Peter Fitzek auch die "Schöpfungsordnung" erfahren haben. Sie soll Grundlage sein für die Verfassung seines Königreichs, wie Fitzek im schweizerischen Alternativfernsehen selbst sagte:
"Die Verfassung ist nichts anderes als die Schöpfungsordnung des Schöpfers, Gottes sozusagen, in Recht gegossen. Es wird eine Art Theokratie erschaffen."
"Die Verkörperung des Satanismus"
Ein Gottesstaat – zugleich deutsch-national und alternativ-religiös. Das hat auch Religionswissenschaftler Knop beobachtet:
"Das Königreich Deutschland in seinem Aufbau, in seiner Struktur soll das, was man in den Schöpfungsgesetzen erklärt hat, manifestieren, widerspiegeln. Es soll einen Einklang geben. Und deswegen ist das Königreich Deutschland nach ihren Vorstellungen ein Gottesstaat."
Die Verfassungsfeindlichkeit dieses Gottesstaates liegt auf der Hand. Wer ein eigenes Reich gründet, der will die Bundesrepublik beseitigen – oder am besten gleich das ganze "satanische System".
Fitzek: "Die ganzen Systeme, die wir haben, sind ja aufeinander aufbauend, einander ergänzend. Und sie sind die Verkörperung des Satanismus. Sage ich es mal so, wie es ist."
"Schon die Nazis haben okkulte Strömungen aufgegriffen"
Peter Fitzek und sein "Königreich Deutschland" werden vom Verfassungsschutz beobachtet, wie die gesamte Szene der sogenannten "Reichsbürger und Selbstverwalter". Die Zahl der Anhänger steigt, von 19.000 Personen bundesweit geht der Verfassungsschutz aktuell aus. Religion spielt bei vielen Reichsbürgern eine Rolle, sagt der Politikwissenschaftler Jan Rathje:
"Peter Fitzek und das Königreich Deutschland stellen keinen Einzelfall dar bezüglich einer Verbindung von Esoterik mit der Ideologie des Milieus. Ganz allgemein lässt sich feststellen, dass mit diesem Milieu der Souveränistinnen und Souveränisten, wie ich es bezeichnen würde, im Allgemeinen Esoterik schon immer verbunden gewesen ist. Also schon der Nationalsozialismus hat auch okkulte Strömungen aufgegriffen, die um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert hin aufgetreten sind. Also esoterische Komponenten waren immer auch schon mit dem Nationalsozialismus und mit dem Rechtsextremismus verbunden."
Ein weiteres Beispiel für Esoterik in der Reichsbürgerszene war das "Fürstentum Germania" in Brandenburg. Es bestand im Jahr 2009 allerdings nur für wenige Monate.
"Die letzte Schlacht"
Und 2017 ging dieser Fall durch die Medien: Sechs Männer wurden festgenommen, bei denen Ermittler Waffen, Munition und Sprengstoff fanden. Unter ihnen auch ein Reichsbürger und selbsternannter Druide. Er nennt sich "Burgos von Buchonia" und bietet laut eigener Aussage verschiedene "keltische Rituale" an:
"Bei Burghard B., also Burgos von Buchonia, sieht man recht deutlich, wie auch jemand, der ursprünglich aus einem esoterischen Bereich gekommen ist, sich radikalisiert hat – indem man sich bewaffnet hat, indem man Vorräte angelegt hat, und nur darauf wartet, dass letztlich diese letzte Schlacht stattfindet. Also dass – säkularisiert gesprochen – der letzte Bürgerkrieg in Deutschland stattfindet, wo dann die Entscheidung anberaumt wird. Und darauf bereiten sich entsprechend Gruppen inzwischen vor."
Und präsentieren das dann als Teil eines göttlichen Plans. Reichsbürger überhöhen das Weltgeschehen oft pseudo-religiös, so Jan Rathje, als einen dualistischen Kampf des Guten gegen das Böse, der Dunkelheit gegen das Licht. Vorbild ist die christliche Apokalypse.
"Der Kampf findet jetzt statt"
Ähnliches hat auch der Religionswissenschaftler Kilian Knop festgestellt – im "Königreich Deutschland":
"Der Kampf, wenn man von Kampf sprechen möchte, findet jetzt statt. Und es geht jetzt darum, Gutes zu bewirken. Und das Königreich Deutschland soll halt eben auch eine Art Lernplattform sein für Menschen, um eben an sich selbst zu arbeiten, um all dem Bösen, was es draußen gibt, widerstehen zu können."
Das Gute gegen das Böse – das klingt nach einer universalen Botschaft. Wie passt dazu die so gar nicht universale, sondern revisionistische Vorstellung eines deutschen Reiches? Noch dazu in den Grenzen von 1937, wie sie von Reichsbürgern oft propagiert werden.
Ein "Reichsbürger" posiert mit seinem blauen "Deutsches Reich Reisepass".
Viele "Reichsbürger" haben ihre eigenen Pässe und berufen sich auf die Reichsgrenzen von 1937 (picture alliance / Patrick Seeger)
Die Lösung dieses scheinbaren Widerspruchs: Das Deutsche wird mystisch überhöht und zum universalen Guten verklärt, sagt Jan Rathje von der Amadeu-Antonio-Stiftung:
"Da ist dann dieser Gedanke der Volksgemeinschaft, in der es keinen Widerspruch gibt, in der es keine Parteien gibt, und in der letztlich alle, die mit dem Widerspruch und damit auch mit dem Bösen identifiziert werden, vernichtet werden müssen."
"Letztlich verbreitet er Antisemitismus"
Dem metaphysischen Bösen ordnet die Reichsbürgerszene also ganz konkrete irdische Mächte zu – und konkrete Menschen. Jan Rathje erklärt es am Beispiel Peter Fitzek vom "Königreich Deutschland":
"Auf der politischen Ebene identifiziert Peter Fitzek das Ganze dann als die Macht des Systems, als die Macht von Banken. Und letztlich verbreitet er damit aber codierten Antisemitismus, indem er behauptet, beispielsweise die Familie Rothschild würde dieses System steuern und damit die Menschen in eine Knechtschaft zwingen."
Antisemitische Stereotype sind unter Reichsbürgern weitverbreitet. Moderne Verschwörungsideologien mischen sich mit althergebrachtem christlichen Antijudaismus. Noch einmal Jan Rathje über Peter Fitzek:
"Beispielsweise, wenn er die Juden quasi als Feinde der Christen darstellt, oder Christus als einen Rebell, der sich explizit gegen das Judentum aufgelehnt hat. Und in dieser Tradition sieht er sich jetzt heute auch. Beispielsweise, wenn er quasi beschreibt, dass das System von damals das jüdische System gewesen sei."
"Identifikation der Juden mit dem Bösen"
"Wenn man das Christentum mal wirklich ernst nimmt und versteht, dann hat ja Christus nichts anderes damals getan, als die gesamte Gesellschaftsordnung des Judentums in Frage zu stellen", so Peter Fitzek bei "bewusst.tv":
"Es hat sich nichts geändert seit 2000 Jahren auf diesem Planeten. Jetzt komme ich wieder daher, und stelle wieder alles in Frage."
Rathje: "Und er dann quasi bruchlos sagt, und jetzt käme er heute wieder und würde wieder gegen das System opponieren, was ein Satanisches ist. Und diese Identifikation der Juden mit dem Bösen, als Handlanger, als Agenten des Bösen, als die Diener des Antichristen und damit letztlich auch des Satans ist ein antijudaistisches Stereotyp, was auch sehr verbreitet ist in esoterischen Kreisen."
Reichsbürger nutzen also ideologische und pseudo-religiöse Versatzstücke, um sich selbst aufzuwerten: als "Kämpfer des Lichts" im Auftrag der "göttlichen Ordnung". Zugleich sprechen sie ihren Feinden die Existenzberechtigung ab, indem sie sie zu Dienern des Bösen erklären.
Das Königreich wird religiös legitimiert
Reichsbürger hängen also nicht nur einer alternativen politischen Erzählung an, sondern oft auch einer alternativen religiösen Erzählung. Beide gehen Hand in Hand, so Kilian Knop:
"Das Entscheidende ist, dass der Mensch sich transformieren muss im Bewusstsein. Nur, wenn das im Einklang geht, dass es eine politische Transformation gibt und eine Geistestransformation gibt, erst dann könne im Grunde genommen ein – wie es in den Schriften steht – ein goldenes Zeitalter entstehen."
Das hat der Religionswissenschaftler beobachtet bei seiner Forschung im "Königreich Deutschland".
Knop: "Letztlich kann man sagen, dass diese religiösen Elemente das Königreich zum einen legitimieren und zum zweiten stabilisieren, das heißt stützen. Das sind die zwei zentralen Funktionen, die man diesen religiösen Elementen zuschreiben kann."
Es erinnert an voraufklärerische Zeiten: Damals behaupteten weltliche Herrscher, sie und ihre Reiche seien direkt von Gott eingesetzt worden. Und das behauptet auch heute wieder so mancher selbsternannte König, Kaiser oder Reichskanzler.