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Die Rolle des Reichsfinanzministeriums in der NS-Zeit

Gegenstände aus jüdischem Besitz seien nach dem Zwischenbericht der Historikerkommission im Ausland von den örtlichen Behörden verkauft worden, sagt Jürgen König. Der Kulturkorrespondent ergänzt, dass die Erlöse "dann ordnungsgemäß dem Reichsfinanzministerium der Nazis überwiesen" worden seien.

Stefan Koldehoff im Gespräch mit Jürgen König | 17.12.2012
    Stefan Koldehoff: Nicht allein in Deutschland, auch in den nach 1939 überfallenen und besetzten Ländern waren die deutschen Finanzbehörden ganz vorne mit dabei, wenn es darum ging, verfolgten, unterdrückten und häufig später ermordeten Menschen zunächst einmal wirtschaftlich die Grundlage zu nehmen und sie dann schlicht auszuplündern. Da wurden Steuern erhoben, Sonderabgaben erfunden - oder oft auch nur ganz einfach so geraubt und geplündert: Konten wie Kunstsammlungen wie Wohnungen. Heute nun hat eine Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Reichsfinanzministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus ihren dritten Zwischenbericht vorgestellt - offiziell noch nicht der Öffentlichkeit, sondern erst einmal den Mitarbeitern des Ministeriums selbst. Unser Kulturkorrespondent Jürgen König durfte trotzdem zuhören, er sitzt jetzt in Berlin im Studio. Guten Tag, Herr König!

    Jürgen König: Guten Tag, Herr Koldehoff!

    Koldehoff: Herr König, auf der Website dieses Forschungsprojektes heißt es als Allererstes direkt: "Das Reichsministerium der Finanzen spielte im Dritten Reich beileibe keine Nebenrolle." Deckt sich das mit den Erkenntnissen, die heute vorgetragen worden sind?

    König: Unbedingt! Um gleich das härteste Beispiel zu nennen: Der Historiker Jürgen Kilian, er hat über die Ausbeutung der besetzten Gebiete jenseits von Polen, also außerhalb Polens gearbeitet, und er stellte ausführlich das Beispiel Lettland dar, wo es eine Zusammenarbeit, muss, man schon sagen, der Finanzabteilung in Riga, also einer Art Außenstelle des Reichsfinanzministeriums, und den dortigen Konzentrationslagern gab. Für Gegenstände aus jüdischem Besitz wurden von der Finanzabteilung in Riga eigene Warenlager eingerichtet. Was dort angeliefert wurde an Schmuck, an Zahngold, an wertvollen Möbeln, Klavieren, Flügeln, wurde von der Finanzabteilung versteigert oder verkauft, teilweise auch zu Spottpreisen an die eigenen Mitarbeiter. Das alles wurde gewissenhaft dokumentiert. Die Quellenlage ist da also - das klingt ein bisschen zynisch, aber das ist es auch - hervorragend. Namentlich wird aufgeführt, wer, sagen wir für jüdisches Bruchgold, wie das hieß, oder für Manschettenknöpfe oder für was auch immer sieben Reichsmark oder zwölf Reichsmark bezahlt hat. Auch dieses Geld wurde dann ordnungsgemäß dem Reichsfinanzministerium überwiesen. Also man kann nicht nur, man muss sagen: auch das Reichsfinanzministerium und seine Bediensteten im Ausland waren ein Teil der Tötungs- und Verwertungsmaschinerie, waren am Holocaust beteiligt.

    Koldehoff: Warum ist es nötig, das im Jahr 2012 festzustellen? Oder anders herum gefragt: Was ist bislang geschehen, was die Aufarbeitung dieser Vergangenheit angeht?

    König: Bis 2009 ist da wenig, bis nichts passiert. Das Thema hat Wissenschaftler nicht in Sonderheit interessiert. Dann kam halt die Studie, vom Auswärtigen Amt in Auftrag gegeben, über die NS-Vergangenheit des Außenamtes, und infolgedessen haben ja viele Ministerien damit angefangen. Im Falle des Finanzministeriums, also des Bundesfinanzministeriums, war es im Jahr 2009. Und dann wurden halt diese beiden Studien in Auftrag gegeben, die Sie schon genannt haben. Das Ganze ist ein Großprojekt, bis 2016 terminiert, dann soll das Ganze auch als Buch groß publiziert werden, um damit endlich - das sagte der Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums heute auch - das einzulösen, was schon hätte viel früher geschehen sollen.

    Koldehoff: Ist das eine Generationenfrage? Hat das bislang, bis 2009, wie Sie gerade gesagt haben, nicht stattgefunden, weil es beispielsweise auch personelle Kontinuitäten gegeben hat?

    König: Ganz bestimmt. Es ist auch jetzt eine junge Historikergeneration, die ausdrücklich von der Historikerkommission beauftragt wurde, also von Professor Hans-Peter Ullmann, der dieser Historikerkommission vorsteht. Es sind ja unabhängige Wissenschaftler. Diese persönlichen Kontinuitäten, die Sie meinen, die haben ja, wie wir wissen, im Bundesfinanzministerium immer eine Rolle gespielt, und natürlich hatte man da mit Sicherheit kein großes Interesse an der Aufarbeitung möglicherweise auch der eigenen Vergangenheit. Wenn man bedenkt, dass der Reichsfinanzminister Schwerin von Krosigk, der von1932 bis1945 Reichsfinanzminister war, noch 20 Jahre später praktisch alle Schuld von sich weisen konnte, ist das ein eindrucksvoller Beleg für diese Kontinuität, die sich aber ja in alle Beamtenkreise sozusagen in der Hierarchie immer weiter nach unten durchgezogen hat, und dass man da kein Interesse hat, kann ich mir vorstellen. Nun aber ist es so weit und die Ergebnisse sind bitter.
    Es war heute, wie Sie es eingangs gesagt haben, eine Veranstaltung innerhalb des Finanzministeriums. Ein großer Saal war sehr gut besucht, alle hörten bedächtig zu, stellten teilweise etwas ungläubig staunende, auch fassungslose Fragen. Aber zu einer großen strittigen Diskussion kam es nicht.

    Koldehoff: Das klingt alles nach sehr großer Transparenz. Wenn man zurzeit auf die Website des Bundesfinanzministeriums schaut, dann kann man da auch schon die drei Vorträge, die heute Nachmittag gehalten wurden, nachlesen. Heißt das, dass so eine Einstellung, die es in der Bundesrepublik lange gegeben hat, wir haben doch nur unsere Pflicht getan, das war halt die Aufgabe des Ministeriums, dass das so heute nicht mehr vertreten wird?

    König: Das wird ganz sicherlich nicht mehr so vertreten. Das wäre auch ein Unding. Lutz Graf Schwerin von Krosigk, den ich schon erwähnt hatte, er hatte ja immer diese sachlich neutral arbeitenden Beamten in den Vordergrund gestellt und die Hauptverantwortung für alles Ideologische auf den Staatssekretär, damals Fritz Reinhardt, geschoben. Aber das hatten schon die ersten beiden Teilstudien ergeben, dass es eben nicht nur ein sachlich neutral arbeitender Apparat war, sondern dass da einzelne sich sehr bereichert haben und dass der ganze Apparat systematisch, wie ich eingangs schon sagte, darauf angelegt war, sich an der Ausbeutung der besetzten Gebiete, sich an der Tötung der Juden zu beteiligen.

    Koldehoff: Jürgen König - vielen Dank! - über die Rolle der deutschen Finanzbehörden im Nationalsozialismus. Der dritte Zwischenbericht wurde heute vorgestellt.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.