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"Die Rückkehrhilfen sind eindeutig nicht effektiv"

Nach einem Zwischenfall in der Bretagne hatte der französische Präsident Sarkozy die Auflösung sogenannter wilder Roma-Lager angeordnet. Die Polizei griff durch, für viele Roma in Frankreich wurde es ein hässlicher Sommer.

Iris Biesewinkel im Gespräch mit Gerwald Herter | 06.09.2010
    Mit Rückkehrprämien belohnt entschlossen sich viele, Frankreich zu verlassen in Richtung Südosteuropa. Jetzt will die Regierung die Initiative zurückgewinnen. Heute wird in Paris eine Tagung zu Migrationsfragen stattfinden. An diesem Wochenende hatten viele Franzosen gegen die Politik der französischen Regierung protestiert.

    Gerwald Herter: Zur Situation von Roma in Europa und in Deutschland. Ich bin mit Iris Biesewinkel verbunden. Sie arbeitet für den Verein "Rom e.V." und leitet die Kölner Sozialberatungsstelle. Guten Morgen, Frau Biesewinkel.

    Iris Biesewinkel: Guten Morgen!

    Herter: Frau Biesewinkel, wir haben es gehört: Weit mehr als 8.000 Roma haben seit Jahresbeginn Frankreich verlassen, mehr oder weniger freiwillig. Gehen auch Sie davon aus, dass diese Menschen nicht in Rumänien und Bulgarien bleiben werden?

    Biesewinkel: Ich gehe ganz schwer davon aus, dass die weder in Rumänien noch in Bulgarien bleiben werden und dass das, wie eben schon gesagt, einen Drehtüreffekt hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass viele von denen, die jetzt zurückgegangen sind, als Nächstes in Italien oder in Deutschland auftauchen, weil die Lebensbedingungen in Rumänien einfach so katastrophal sind, dass die Leute sich was einfallen lassen müssen.

    Herter: Geschieht denn in Rumänien, auch in Bulgarien überhaupt nichts, um eine dauerhafte Rückkehr zu sichern, um ein Leben dort für diese Menschen attraktiver zu machen?

    Biesewinkel: Es gibt einzelne Roma-Projekte. Die sind aber viel zu dünn gesät. Das ist mal das eine. Und man muss sich bewusst machen, dass gerade in Rumänien die Roma auch wieder faschistischen Übergriffen ausgesetzt sind, die jetzt auch nicht heimlich ablaufen, sondern da auch mit zur Tagesordnung gehören. Das gehört einfach auch dazu zu den Argumenten, dass Roma Rumänien und Bulgarien verlassen aus Angst vor Diskriminierung.

    Herter: Sie sind dort bestimmten Gefahren auch ausgesetzt?

    Biesewinkel: Ja, auf jeden Fall.

    Herter: Zu den Erfahrungen, die Sie in Ihrer Arbeit machen. Von aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen, von Duldung, Aufenthalt auf Probe, Rückkehr, Abschiebung sind ja auch viele Roma in Deutschland betroffen. Wo kommen diese Menschen ursprünglich her in der Hauptsache?

    Biesewinkel: Wir haben hier in Köln hauptsächlich, was die EU-Länder angeht, Roma aus Bulgarien, die versuchen, ihr Glück in Deutschland zu machen, was sich sehr schwierig gestaltet. Der große Teil der Roma, die wir hier begleiten, kommt allerdings aus den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens, also Serbien, Montenegro, Mazedonien und dem Kosovo.

    Herter: Und dorthin werden Roma abgeschoben von der Bundesregierung.

    Biesewinkel: Ja, dorthin werden Roma abgeschoben. Noch am 2. September gab es einen Abschiebeflug nach Serbien, nach Belgrad. Das sind auch Leute, die hier 10, 15 Jahre gelebt haben, deren Kinder hier in Deutschland geboren sind, die nichts anderes kennen, die schon zum Teil seit mehreren Generationen ihr sogenanntes Herkunftsland nicht gesehen haben, und in den Kosovo sollen in den nächsten Jahren um die 10.000 Menschen abgeschoben werden, weil es da ja jetzt auch ein Rückübernahmeabkommen gibt.

    Herter: Und Rückkehrhilfen gibt es auch, obwohl das wenig bekannt ist, beispielsweise im Kosovo. Das wird von den Bundesländern getragen. Sind diese Rückkehr- oder Eingliederungshilfen effektiv?

    Biesewinkel: Die Rückkehrhilfen sind eindeutig nicht effektiv. Ich habe den Kosovo besucht, ich habe auch mit den Organisationen gesprochen, und das sind zum großen Teil Anschubfinanzierungen, aber wer sich das kleine, arme, neue Land sozusagen genauer anguckt, weiß, dass das nicht ausreichen kann, weil schon die Mehrheitsbevölkerung bettel-bettelarm ist, und es reicht nicht, ein paar Euro in der Tasche zu haben, um da überleben zu können.

    Herter: Jetzt zur bei uns in vielen Medien dargestellten kritischen Politik der französischen Regierung. Unterscheidet die sich Ihrer Auffassung nach gar nicht so sehr von der deutschen Politik?

    Biesewinkel: Na ja, Deutschland schiebt zum einen nicht in EU-Länder ab. Das muss man ganz klar sagen. Frankreich schiebt nach Rumänien ab, zwar auf eine ganz elegante Tour, indem es noch ein Handgeld gibt, aber im Endeffekt ist es eine verschönte Abschiebung. Man will die Leute los werden. Es gibt hier in Deutschland natürlich das Ausländerrecht. Es gibt diverse Bleiberechtsregelungen für sogenannte integrationswillige Menschen. Das betrifft jetzt nicht nur die Roma, aber einen großen Teil.

    Herter: Also da ist die Situation etwas differenzierter in Deutschland?

    Biesewinkel: Die ist ein bisschen differenzierter und vor allen Dingen ist sie – wie soll ich sagen? – gut eingepackt in das deutsche Rechtssystem und deswegen fällt es einfach auch nicht so auf. Es finden viele Sachen statt, die halt nicht so den Aufschrei durch die Öffentlichkeit gehen lassen, weil die Öffentlichkeit so weit gar nicht so viel davon mitbekommt.

    Herter: Was vielen Menschen auffällt, die es mit Roma zu tun haben: Roma haben oft eine ganz eigene Kultur und Sie arbeiten täglich mit diesen Menschen, versuchen, ihnen zu helfen. Ohne eine Gruppe diskriminieren zu wollen, was sind denn da die spezifischen Schwierigkeiten?

    Biesewinkel: Spezifische Schwierigkeiten hier in der Beratungsstelle ist vor allen Dingen, sich erst mal einzulassen zum Beispiel auf Hilfsangebote, die von Staatswegen kommen, weil gerade die Roma haben vom Staat oder von Behörden oft nicht so viel Gutes erfahren, und da muss man halt erst mal mit Vorurteilen aufräumen. Ein anderes großes Problem ist halt, dass wir uns sehr bemühen, dass auch die Mädchen ihre Schulabschlüsse machen, dass die Mädchen langfristig zur Schule gehen und nicht mitten in der Pubertät abbrechen.

    Herter: Das heißt, in den Familien ist wenig Verständnis dafür da, dass die Kinder eine Schulbildung bekommen müssen?

    Biesewinkel: Das kann man nicht verallgemeinern, aber es gibt einfach Familien, vor allem die, die schon seit Ewigkeiten von einem Ort zum anderen verschoben werden, sage ich mal, da ist es natürlich schwierig, gemeinsam dann auch so was hinzukriegen wie eine Perspektivplanung, weil wenn man immer nur zwei, drei Monate die Duldung verlängert kriegt und dann zwischendurch wieder ausreist, weil man Angst vor Abschiebung hat, und dann durch Frankreich, Italien oder sonst wo herwandert, um irgendwann wieder in Deutschland zu landen, ist es natürlich schwierig, mit Argumenten zu kommen, wenn du Aufenthalt haben möchtest, dann müssen deine Kinder zur Schule gehen. Wir arbeiten aber mit großem Erfolg daran und haben hier auch ein spezielles Schulförderprojekt für Roma-Kinder, die nicht im Regelschulsystem ankommen.

    Herter: Iris Biesewinkel war das vom Verein "Rom e.V." in Köln. Frau Biesewinkel, vielen Dank und schönen Tag.

    Biesewinkel: Gerne! Danke schön.

    Weitere Informationen zum Thema auf DRAdio.de
    Leben am Rande der Gesellschaft - Roma in Osteuropa, Hintergrund vom 19.9.2008