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Die Ruhe vor dem möglichen Sturm

Im Frühjahr ging ein neues Vogelgrippevirus in China um: H7N9. Von Februar bis Mai haben sich mehr als einhundert Menschen angesteckt, fast jeder Dritte ist gestorben. In den betroffenen Provinzen wurden Geflügelmärkte geschlossen und Tausende Vögel gekeult, und weltweit haben sich Forscher daran gemacht, die Eigenschaften des Virus zu verstehen. Dann wurde es stiller um das Virus. Dass die Gefahr gebannt ist, bezweifeln einige Forscher aber.

Von Marieke Degen | 28.08.2013
    Es ist still geworden um die Vogelgrippe H7N9. Im Sommer haben sich gerade mal zwei Menschen infiziert - doch das ist möglicherweise nur die Ruhe vor dem Sturm, warnt der Epidemiologe Jeremy Farrar von der Universität Oxford.

    "H7N9 wird, wie alle Grippeviren, eher in den Wintermonaten aktiv sein, nicht im Sommer. Wir haben viele Hinweise darauf, dass H7N9 derzeit weiter in Geflügelbeständen zirkuliert. Unsere Sorge ist, dass die Zahl der menschlichen Infektionen in den Wintermonaten, von November bis März, wieder ansteigt."

    Jeremy Farrar hat den Sommer in China verbracht, um seine Kollegen vor Ort zu unterstützen. Die Wissenschaftler haben viel über H7N9 gelernt. Die Hauptansteckungsquelle ist Geflügel, das scheint inzwischen sicher. Und: H7N9 kann sehr viel leichter Menschen infizieren als etwa die Vogelgrippe H5N1. Die alles entscheidende Frage ist aber nach wie vor offen: ob sich H7N9 so weit an den Menschen anpassen kann, dass es durch Husten und Niesen übertragbar wird und eine Pandemie auslösen könnte.

    "Im Moment kann es das nicht. Vor zwei Wochen wurde über einen Fall von Mensch-zu-Mensch-Übertragung berichtet - ein Vater hatte seine Tochter mit H7N9 angesteckt, beide sind gestorben - aber diese Ansteckung geschah unter besonderen Umständen. Der Vater war sehr krank, die Tochter hat ihn gepflegt. Die beiden hatten extrem engen Kontakt. Das war also kein typischer Ansteckungsweg. Trotzdem: Es zeigt, dass eine Übertragung möglich ist."

    Jeremy Farrar hält H7N9 - nach allem, was im Moment bekannt ist - für sehr besorgniserregend. Die Situation in China müsse weiterhin genau beobachtet werden. Viel mehr kann man im Moment nicht machen.

    "Es ist absolut notwendig, H7N9-Viren weiterhin in Geflügelbeständen aufzuspüren und zu untersuchen, ob sie sich verändern, ob sie zum Beispiel unempfindlich gegenüber Grippemedikamenten oder Impfstoffen werden. Natürlich ist es genauso wichtig, das Virus beim Menschen im Blick zu haben, Fälle von schweren Atemwegsinfektionen auf H7N9 hin zu überprüfen. Das wird in China bereits gemacht, und das werden sie in den Wintermonaten noch ausweiten müssen."

    Die Überwachung von Grippeviren sei in China so gut wie nie, sagt Jeremy Farrar. Die Labors sind prima ausgestattet, und die Tests auf H7N9 sind sehr viel besser als noch vor ein paar Monaten. Die Wissenschaftler können nachverfolgen, ob sich das Virus ausbreitet, und auch, ob es sich verändert. Doch das Grundproblem bleibt. Im Moment kann einfach niemand vorhersagen, ob das Virus tatsächlich noch gefährlicher für den Menschen wird - oder ob es vielleicht einfach wieder verschwindet.

    "Die Überwachung von Grippeviren hat sich in den letzten zehn Jahren enorm verbessert. Deshalb werden wir neue Viren und damit verbundene Ausbrüche viel häufiger bemerken als früher. Gleichzeitig haben wir die Biologie dahinter noch nicht wirklich verstanden, und das macht es so schwierig, solche Ausbrüche einzuschätzen. Und die Balance zu finden - um nicht bei jedem neuen Virus in Panik zu verfallen. Und ich denke, wir sollten ehrlich zugeben, wie wenig wir über solche Ausbrüche eigentlich wissen."

    Grippeforscher müssen cleverer werden, fordert Jeremy Farrar. Sie müssen wissen, welche Veränderungen die Viren gefährlicher machen, auf was sie bei der Überwachung besonders achten müssen. Und genau deshalb machen Forscher aus den Niederlanden und den USA jetzt sogenannte Gain-of-Function-Studien mit H7N9: Sie wollen das Virus im Labor künstlich scharf zu machen. Solche Experimente sind sehr umstritten, sie dürfen nur in ausgewählten Hochsicherheitslabors stattfinden. Jeremy Farrar hält sie für absolut essenziell.

    "Wenn wir lernen könnten, was ein Virus dazu bringt, von Mensch zu Mensch zu springen - das wäre der Heilige Gral."