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"Die Schicksalsfrage unserer Zeit"

Die Welthungerhilfe ist eine der größten privaten Hilfsorganisationen Deutschlands. Mehr als zwei Milliarden Euro hat sie bislang in Hilfsprojekte investiert. Die Anfänge waren dagegen bescheiden, als Heinrich Lübke am 14. Dezember 1962 den "Deutschen Ausschuss gegen den Hunger" initiierte.

Von Monika Köpcke | 14.12.2012
    Die Welthungerhilfe ist heute eine der größten privaten Hilfsorganisationen Deutschlands. Mehr als zwei Milliarden Euro hat sie bislang in Hilfsprojekte investiert. Die Anfange waren dagegen bescheiden, als am 14. Dezember 1962 auf Initiative von Heinrich Lübke der "Deutsche Ausschuss gegen den Hunger" gegründet wurde.

    Feierlich ging es zu, als Bundespräsident Heinrich Lübke inmitten des vorweihnachtlichen Trubels ausgewählte Honoratioren in die Godesberger Redoute zusammenrief. Es kamen Vertreter der Bundestagsfraktionen, der beiden großen Kirchen, der Verbände von Industrie, Landwirtschaft und Handel. Mit mahnenden Worten stimmte der Bundespräsident die Geladenen auf das Thema ein:

    "Das unvermeidliche Heranwachsen von einer Milliarde hungernder Menschen, die leicht eine Beute kommunistischer Ideen werden können, ist die Schicksalsfrage unserer Zeit."

    Anfang der 60er-Jahre wurde Indien von einer verheerenden Hungerkatastrophe heimgesucht. Die Welt wollte helfen, und die Vereinten Nationen riefen ihre Mitgliedsländer dazu auf, mit Hilfe von nationalen Komitees auch den privaten Sektor für den Kampf gegen den Hunger zu mobilisieren. Für Deutschland ergriff Heinrich Lübke die Initiative. Gemeinsam mit seinen Gästen hob er am 14. Dezember 1962 den "Deutschen Ausschuss gegen den Hunger" aus der Taufe. Der Gründungszeitpunkt schien günstig. So Bernd Dreesmann, der als erster Generalsekretär die Anfänge miterlebt hat:

    "Nach 1945 hatte es in Deutschland das Wirtschaftswunder gegeben. Man hatte dann weiterhin Ende der 1950er-Jahre hier in Deutschland eine große Rentenreform durchgeführt, und man hatte damit auch denjenigen, die zu alt waren, um voll am Wirtschaftswunder zu partizipieren, eine sichere wirtschaftliche und soziale Basis gegeben. Und das waren die Voraussetzungen dafür, dass die Deutschen, nachdem sie ihr Haus sozusagen bestellt hatten, nach draußen guckten und dann begannen, sich um die sogenannte Dritte Welt zu kümmern."

    1967 bekam der Ausschuss den griffigeren Namen "Deutsche Welthungerhilfe". Man startete mit einer großen Portion Idealismus, viel gutem Willen und - Null Erfahrung. Bernd Dreesmann:

    "Wenn man die Bücher dieser Jahre liest, wenn man die Reden noch einmal rekapituliert, dann stand im Vordergrund immer der Vergleich mit dem Marshall-Plan. Eine Finanzspritze sollte gegeben werden, vielleicht auch etwas technische Beratung, und dann würde sich ein Wirtschaftswunder am Kongo oder in Brasilien oder in Indien einstellen wie bei uns."

    In der Praxis ging dieses Modell nie auf - auch deshalb, weil die Welthungerhilfe schlicht kein Geld zum Ausgeben hatte. Man wollte sich ausschließlich über Spenden finanzieren, aber die Deutschen hielten ihr Geld zurück.

    "Leider lassen sich Hunger und Unterernährung nicht so einfach aus dieser Welt vertreiben."

    1969 hielt Bundespräsident Gustav Heinemann eine Ansprache für die Welthungerhilfe, deren Schirmherrschaft er von seinem Amtsvorgänger übernommen hatte. Damals begann sich das Blatt endlich zu wenden: Ein Startkapital von den Kirchen, erste öffentlichkeitswirksame Aktionen und eine zunehmende Spendenbereitschaft ermöglichten nun endlich, dass sich die Welthungerhilfe ihrer eigentlichen Aufgabe widmen konnte - nun mit einem gereiften Konzept.

    "Eine Nahrungsmittelhilfe ist dort sinnvoll, wo Menschen durch Katastrophen in eine akute Notlage geraten und sofortige Hilfe brauchen. Sie kann aber nicht dauernd gewährt werden. Sieht man also von Einzelfällen ab, so gibt es nur einen Weg, die Ernährungslage in den sogenannten Entwicklungsländern auf Dauer zu verbessern: Hilfe zur Selbsthilfe. Das ist das Einzige, was wirklich weiterhilft."

    Heute gehört die Welthungerhilfe zu den ganz großen und wichtigen nichtstaatlichen Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit. Über 6000 Hilfsprojekte wurden in den letzten 50 Jahren verwirklicht. Dazu gehören Ausbildungsprojekte für ruandische Waisenkinder, die Schulung nordkoreanischer Bauern im Kartoffelanbau oder die Finanzierung von mobilen Schulkantinen in Mali - immer in Zusammenarbeit mit einheimischen Gruppen.

    Gewonnen ist der Kampf gegen Hunger und Armut aber noch lange nicht. Und die Worte, mit denen Heinrich Lübke vor 50 Jahren die Spendenbereitschaft der Bundesbürger wecken wollte, gelten noch heute.

    "Verstand und Gewissen sollten uns lehren, den materiellen und persönlichen Einsatz auf diesem Gebiet als lebensnotwendige Investitionen zu erkennen, an denen die moralische Haltung der wohlhabenden Nationen einmal gemessen werden."