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Die Schranke im Kopf

Hanna Poddig ist Vollzeitaktivistin. Anders als die meisten ihrer Alterskollegen sitzt sie nicht im Hörsaal oder wagt erste Schritte im Beruf. Sie will radikal anders sein. Das erfordert Mut und so heißt das Buch, das sie über ihr Leben geschrieben hat, "Radikal mutig – Meine Anleitung zum Anderssein".

Von Helge Buttkereit | 28.12.2009
    "Jede Art anders zu leben als so wie ich jetzt lebe wäre für mich gelogen, sage ich mal. Also ich müsste mich ständig irgendwie vor mir selber dafür rechtfertigen, dass ich irgendetwas nicht tue. Also wenn ich bei sexistischen Situationen im Alltag nicht eingreifen würde oder wenn ich nicht zu Prozessen gehen würde, wenn andere Leute Prozesse haben, um die zu unterstützen oder wenn ich nicht Atomkraftwerke blockieren würde, wenn sie nun einmal vor meiner Haustür stehen, dann könnte ich mir nicht mehr guten Gewissens in die Augen gucken, wenn ich vor dem Spiegel stehe und deswegen mache ich das."

    Hanna Poddig ist 24 Jahre alt und hat eine politische Autobiografie geschrieben. Das klingt anmaßend, ist es aber nicht. Denn das Buch soll vor allem eine Anleitung sein, ein Reiseführer für ein widerständiges Leben. Dass es das letztlich nicht geworden ist, ist nicht so schlimm. Denn das Buch handelt in erster Linie von den politischen Auffassungen von Poddig und davon, wie diese Auffassungen mit ihrem Alltag zusammenhängen. Und es geht um konkrete politische Aktionen. Denn Hanna Poddigs Leben besteht aus solchen Aktionen. Sie besetzt mit ihren Mitstreitern Felder mit genmanipuliertem Mais und sorgt dafür, dass dieser nicht mehr wächst. Sie beteiligt sich an den Demonstrationen gegen Castor-Transporte und protestiert gegen neue Kohlekraftwerke. Sie ernährt sich vegan und bezieht viele ihrer Lebensmittel durch "Containern". Dabei durchsucht sie Müllcontainer von Supermärkten nach noch brauchbaren, aber entweder nicht mehr haltbaren oder überschüssigen Lebensmitteln. Für sie ist das dann nicht nur ein Protest gegen die Überflussgesellschaft, sondern auch die Möglichkeit, mit wenig Geld über die Runden zu kommen und Zeit für Aktionen zu haben. Diese sind nicht nur auf das weite Feld des Umweltschutzes beschränkt. Im Februar 2008 hat sie sich beispielsweise aus Protest gegen die Bundeswehr an die Schienen gekettet und so einen Transportzug mit Raketen und Radargeräten aufgehalten. Dass solche Aktionen vor Gericht enden können, nimmt sie in Kauf.

    "Es geht um das Infragestellen von Normalabläufen. Also alles, was irgendwie als normal und es muss so sein angesehen wird, möchte ich in Frage stellen können und wenn ich dann zu dem Schluss komme, so wie es jetzt ist gefällt es mir nicht, dann versuche ich es anders zu machen."

    Hanna Poddig hat eine sehr existenzialistische Vorstellung von Politik, sie stellt also sich und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt ihres Aktivismus. In unsere individualisierte Gesellschaft passt dies recht gut, selbst in Form von radikaler Opposition. Schließlich geht Poddig vor allem von sich und von ihren Bedürfnissen aus. Wählen geht sie deshalb auch nicht. Sie wolle ihre Stimme erheben und nicht abgeben, sagt sie.

    "Also ich halte tatsächlich nichts von dem Gedanken von Repräsentation, weil ich glaube für mich kann nur ich sprechen und das kann sonst niemand und selbst in meinem ganz nahen Umfeld sind Leute, die zwar vieles ähnlich sehen, aber eben auch vieles anders. Also ich glaube, Repräsentation kann niemals funktionieren, es kann niemals jemand irgendwie für mich irgendwelche Dinge durchsetzen, weil niemand weiß, was ich eigentlich will und wann ich mich wie entscheiden würde."

    Ihre Alternative zur Stimmabgabe ist die selbstbestimmte Aktion. Dass diese auf Grundlage von oft sehr holzschnittartigen politischen Analysen abläuft, macht sie gesamtgesellschaftlich gesehen harmlos. Die Reaktion auf das Buch, die verschiedenen Einladungen beispielsweise in Fernsehsendungen zeigen, dass ihre Opposition zwar nicht immer geduldet, aber von vielen bewundert wird. Gerade das bewusste Heraustreten aus der Gesellschaft in die selbst auferlegte Randgruppe macht solcherart politische Arbeit unter Maßgabe des eigenen Ziels wenig effektiv. Zumal eben dieses Ziel zumindest im Buch kaum ausformuliert wird. Warum?

    "Also ich will niemandem eine Welt aufzwingen. Ich weiß nicht, wie die Welt auszusehen hat, und leg dann den Leuten ein Bild vor und so ihr müsst jetzt das und das und das machen, damit es so und so und so aussieht. Sondern ich möchte, dass Menschen sich fähig fühlen, die Welt selber zu gestalten. Dass sie also das selber in die Hand nehmen und überlegen, wie will ich eigentlich leben und was hätte ich eigentlich gerne und deswegen kann ich nicht sagen, wie die perfekte Welt aussehe, weil ich kenne vor allem einmal mich und meine Bedürfnisse, und über anderer Leute Bedürfnisse muss man halt reden und streiten."

    Die Grundlage für Hanna Poddigs Leben ist eine Art Gegenentwurf zu Franz Münteferings "Opposition ist Mist". Bei ihr ist Opposition alles. Dabei überspannt sie dann allerdings den Bogen, wenn sie die Zugehörigkeit zum biologischen Geschlecht zur subjektiven Entscheidung des Einzelnen macht. Männlich und weiblich sind nach ihrer Vorstellung Konstruktionen, die von Außen an die Einzelnen herangetragen werden. Da macht der gesunde Menschenverstand nicht mit. Die berechtigte Kritik an Geschlechterrollen wird so absurd. Auch wenn sie sich die allgemeine Beziehungsunfähigkeit in der Gesellschaft, die sich beispielsweise in der steigenden Scheidungsrate zeigt, zum Lebensideal macht, mag man ihr nicht folgen. Sie geht, denkt man ihre Schilderungen im Kapitel "Die Revolution im Kleinen" konsequent zu Ende, in der Beziehung nicht vom Anderen, sondern letztlich immer von sich selbst aus. Damit treibt sie die Selbstbestimmung ideologisch auf die Spitze. Recht hat sie hingegen mit folgenden allgemeinen Worten:

    "Ich glaube eine der größten Schranken auf dem Weg zu einer schöneren Welt ist die Schranke in den Köpfen. Dass Leute sich nichts zutrauen, dass die Leute glauben, man kann ja ohnehin nichts ändern und es deswegen gar nicht erst versuchen."

    Wer Hanna Poddigs Buch liest, dem wird zumindest bewusst werden, dass auch das Alltägliche viel mit der vermeintlich großen Politik zu tun hat und dass es Möglichkeiten gibt, gegen konkrete Missstände anzugehen. Deswegen ist die Lektüre von "Radikal mutig" durchaus kurzweilig und spannend, auch für diejenigen, die nicht jeder Position der Autorin folgen möchten.

    Hanna Poddig: "Radikal mutig, Meine Anleitung zum Anderssein". Rotbuch Verlag, 224 Seiten, 14,90 Euro.