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"Die Sicherheit in Nord-Afghanistan braucht ein afghanisches Gesicht"

Sicherheit und Verantwortung der afghanischen Autoritäten müssen nach den Worten von Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel erhöht werden, damit eine selbsttragende Sicherheitsstruktur in Afghanistan errichtet werden kann. Die Verantwortung dafür müsse an die örtlichen Behörden abgegeben werden.

Dirk Niebel im Gespräch mit Jasper Barenberg | 28.01.2010
    Jasper Barenberg: Vor allem eines zeichnet sich ab vor Beginn der Londoner Konferenz zur Zukunft von Afghanistan: Bescheidenheit. Von den Verheißungen einer Demokratie nach unseren Maßstäben träumt niemand mehr. Ein paar Nummern kleiner kommt jetzt daher, was sich als neues Ziel am Hindukusch andeutet, das Land und die Regierung in Kabul so weit zu stabilisieren, dass die internationalen Truppen bald abziehen können, ohne dass am nächsten Tag alles zusammenbricht. Deutschland will dazu beitragen und betont dabei noch stärker als bisher den zivilen Aufbau des Landes. Für diesen Bereich ist im Kabinett der Entwicklungshilfeminister verantwortlich, und er ist jetzt am Telefon. Einen schönen guten Morgen, Dirk Niebel.

    Dirk Niebel: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Herr Niebel, Sie wollen die Menschen im Norden von Afghanistan mit Strom versorgen, mit Trinkwasser und mit Arbeit, Sie wollen mehr Straßen bauen und mehr Lehrer ausbilden, mehr Mädchen sollen zur Schule gehen, und das alles in einer Region, in der die Angriffe und die Terroranschläge der Taliban von Jahr zu Jahr zugenommen haben und zunehmen. Wie soll das zusammengehen?

    Niebel: Wir gehen davon aus, dass unsere Anstrengungen, wenn wir mal nach Hause kommen wollen mit den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, einen deutlichen Schwerpunkt in Richtung ziviler Aufbau bedürfen, und wollen in dem Bereich, wo wir auch für die Sicherheit Verantwortung tragen, deutlich mehr uns engagieren, als das bisher schon ohnehin der Fall gewesen ist, denn die Bürgerinnen und Bürger in Afghanistan brauchen eine echte Friedensdividende. Sie müssen sehen, dass das Engagement ihre persönlichen Lebensumstände deutlich verbessert, und dann strahlt das auch aus auf die Regionen, die nicht so sicher sind wie andere, wo wir uns das wünschen würden, dass es dann auch schneller besser wird.

    Barenberg: Sie wollen die Sicherheit für die Menschen erhöhen, sagen Sie. Auf der anderen Seite werden die Kampfverbände der Bundeswehr, die dort im Moment im Einsatz sind, die sogenannte Schnelle Eingreiftruppe, aufgelöst und abgezogen. Wie passt das denn zusammen?

    Niebel: Ganz einfach. Wir wollen die Sicherheit und die Verantwortung der afghanischen Autoritäten erhöhen. Beides gehört zusammen. Die Sicherheit in Nord-Afghanistan braucht ein afghanisches Gesicht, und deswegen müssen wir die Anstrengungen bei Ausbildung von Polizei und Militär der Afghanen deutlich erhöhen, genauso wie die zivilen Aufbaumaßnahmen. Deswegen brauchen wir mehr Ausbilder auch für die Streitkräfte der afghanischen Armee. Durch die Auflösung der Quick Reaction Force haben wir die Möglichkeit, im Rahmen des gesetzten Mandats, im Rahmen der Obergrenzen diese Ausbildungskapazitäten neu zu schaffen und dadurch ein höheres Maß an Ausbildungsleistung zu erbringen, was wiederum die Armee in der Fläche verstärkt und dadurch die Sicherheit erhöht.

    Barenberg: Ich habe das ehrlich gesagt noch nicht ganz verstanden, Herr Niebel, denn wenn Sie Soldaten abziehen oder umwidmen, die sollen in Zukunft ausbilden und sie sollen Wiederaufbauhilfe leisten, wer soll denn dann zunächst mal die Terrorbekämpfung in der Region im Norden durchführen?

    Niebel: Unsere Ausbilder werden die afghanischen Streitkräfte in deren Verbänden ausbilden und mit diesen zusammen in der Fläche des Raumes Dienst tun, und das führt dazu, dass wesentlich mehr Militär in der Fläche ist, als das heute der Fall ist, und das führt auch zu einer besseren Bekämpfung und Eindämmung der terroristischen Aktivitäten. Darüber hinaus werden 2500 amerikanische Soldaten dem deutschen Kommando im Norden unterstellt und werden zusätzlich in diese Sicherungskomponente mit eingeführt.

    Barenberg: Die 5000 Soldaten, die die USA schicken wollen, sind ja schon angekündigt. Das heißt also, das Kämpfen überlässt Deutschland nach wie vor anderen?

    Niebel: Mein Kenntnisstand ist, dass die Vereinigten Staaten 2500 Soldaten im Norden unter das Kommando der deutschen Streitkräfte stellen, die integriert werden in die deutschen Streitkräfte im Norden, und die Holländer geben auch eine Komponente dazu, und diese gesamten Verbände sind dafür verantwortlich, dass die Sicherheit im Norden stabilisiert wird. Aber das Entscheidende ist ja, dass wir die Übergabe in Verantwortung an die afghanischen Streitkräfte und Polizeibehörden dadurch erhöhen, dass wir die Ausbildungsleistung erhöhen. Das wiederum ist die Voraussetzung, eine sich selbst tragende Sicherheitsarchitektur hinzubekommen, mit dem Ergebnis, dass unsere Soldaten auch abziehen können. Daneben ist das wichtigste die deutliche Erhöhung der zivilen Anstrengungen. Wir werden den Etat für zivile Maßnahmen faktisch verdoppeln. Allein in meinem Ressort, dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, wird bis zum Jahr 2013 eine Summe von einer Milliarde Euro zur Verfügung stehen für zivile Aufbaumaßnahmen, für Infrastruktur, für Bildung, für eigenständige, sich selbst tragende Wirtschaftsstrukturen. Das ist genauso viel, wie Deutschland in der Zeit von 2002 bis 2009 in Afghanistan investiert hat, also ein ganz klares Signal für mehr ziviles Engagement.

    Barenberg: Mit anderen Worten, Herr Niebel, Sie wollen sich, die Bundesregierung will sich konzentrieren auf den zivilen Aufbau, auf die Unterstützung der Zivilgesellschaft, und die US-Soldaten werden als Kampftruppen in Zukunft dafür sorgen, dass die Sicherheit für diese Aufbauarbeit gewährleistet ist? Daran wird die Bundesregierung, werden die Bundeswehrtruppen keinen Anteil mehr haben?

    Niebel: Nein, Herr Barenberg. Sie können die Frage noch dreimal anders formuliert stellen, wir werden in einem System der vernetzten Sicherheit mit unseren Verbündeten in Nord-Afghanistan, wo wir Verantwortung tragen, dafür sorgen, dass die Terroraktivitäten eingeschränkt werden, die afghanischen Autoritäten ertüchtigt werden für eigene Verantwortungsübernahme im Bereich von Polizei, im Bereich der Streitkräfte, und zusätzlich noch unser ziviles Engagement dadurch erhöhen, dass die Menschen eine Friedensdividende unmittelbar in ihren Lebensbedingungen erleben. Das führt dazu, dass die Lebensbedingungen besser werden, dass der Anreiz, terroristisch tätig zu werden, deutlich geringer wird, und das strahlt auch in Regionen aus, die unruhiger sind als da, wo wir sind.

    Barenberg: Aber ich habe es doch richtig verstanden, Herr Niebel? Die Bundeswehr wird in Zukunft zivile Aufbauarbeit leisten und die Sicherheit wird zunächst mal von den US-Truppen zu gewährleisten sein?

    Niebel: Nein, Herr Barenberg. Sie stellen die Frage jetzt zum vierten Mal. Sie haben mich ausdrücklich nicht richtig verstanden. Die Bundeswehr wird weiter Verantwortung für die Sicherheit im Norden tragen. Streitkräfteanteile der USA werden dem deutschen Kommando unterstellt, unter deutschem Befehlshaber mit den deutschen Streitkräften und anderen Verbündeten für die Sicherheit im Norden die Verantwortung übernehmen, dabei zugleich die Intensivierung der Ausbildung der Soldaten und Polizisten vorantreiben und ein deutlich höheres Engagement im zivilen Aufbau erledigen. Und wenn Sie die Frage ein fünftes Mal stellen, kriegen Sie die Antwort noch ein fünftes Mal.

    Barenberg: Dann stelle ich mal eine andere Frage. Ich wollte Sie nämlich ansprechen auf die Entwicklungsarbeit, die Sie dort leisten wollen. Sie haben angekündigt, dass Hilfsorganisationen künftig nur dann Geld bekommen, wenn sie mit der Bundeswehr zusammenarbeiten. Heißt das also, von jetzt an ist Entwicklungshilfe unter militärischem Kommando in Afghanistan?

    Niebel: Nein, Herr Barenberg. Es wird keine embedded Entwicklungshelfer geben. Ich habe festgestellt, dass die Abstimmung aller Ministerien in Afghanistan besser werden wird und besser werden muss, und das bedeutet, wenn die Bundesregierung entscheidet, mit Steuermitteln in Nord-Afghanistan deutlich mehr zu tun, dass diese Aufgaben, die erledigt werden müssen, auch entsprechend beschrieben werden, und dann kann man sich bewerben, diese Aufgaben durchzuführen. Wer das möchte, kann den Zuschlag kriegen, wenn er das auch kann.

    Barenberg: Was haben Sie denn dann gemeint, als Sie gesagt haben, wer eine besondere Bundeswehrferne pflegen will, der muss sich einen anderen Geldgeber suchen?

    Niebel: Ganz einfach: wer im Norden Afghanistans dieses Projekt nicht durchführen möchte, kann an diesem Projekt nicht beteiligt werden.

    Barenberg: Nun ist es ja so, Herr Niebel, das werden Sie ja auch wissen, dass viele Hilfsorganisationen gerade die Verzahnung zwischen militärischer Hilfe und Aufbauhilfe kritisieren, zum Beispiel Rupert Neudeck von der Hilfsorganisation Grünhelme, der Gründer von Cap Anamur. Er sagt, das widerspricht sogar Grundsätzen der Genfer Konvention. Hören wir uns einmal an, was er gesagt hat.

    O-Ton Rupert Neudeck: Die Rotkreuz-Konventionen, die befinden eindeutig unmissverständlich, dass man weder mit Bewaffneten etwas tun darf, noch einen Bewaffneten überhaupt in sein Hospital reinlassen darf, noch einen Bewaffneten in sein Auto reinlassen darf. Die Bevölkerung der Länder, in denen wir helfen, soll ganz klar wissen, dass die zivilen Helfer, die humanitären, ganz andere sind als die, die mit Waffen reinkommen.

    Barenberg: So weit also Rupert Neudeck. - Herr Niebel, spricht das nicht für eine strikte Trennung künftig von militärischer Operation und Aufbauhilfe?

    Niebel: Herr Barenberg, die Bundesrepublik Deutschland fördert mit Steuermitteln die Sicherheit in Nord-Afghanistan, sie fördert mit Steuermitteln den Aufbau einer zivilen Infrastruktur. Beides verfolgt das gleiche Ziel, nämlich selbsttragende Sicherheitsstrukturen und die Abzugsmöglichkeit für unsere Streitkräfte, und deswegen besteht die Bundesregierung ausdrücklich darauf, dass alles öffentliche Engagement in Afghanistan aufeinander abgestimmt ist. Ich wiederhole noch mal ganz deutlich: abgestimmt heißt nicht verschmolzen miteinander, sondern miteinander abgestimmt und koordiniert. Dieses koordinierte Vorgehen wird die Bundesregierung einfordern, sie wird entsprechende Aufgabenbeschreibungen machen, wo man Maßnahmen ergreifen kann, was Straßenbau, Schulbau, Regierungsberatung oder Ähnliches anbetrifft, auch in den Distrikten, und dann ist es den Organisationen freigestellt, sich um diese Aufgaben zu bewerben. Niemand wird zu irgendetwas gezwungen.

    Auf der anderen Seite ist es völlig klar: wenn mit deutschen Steuermitteln Aufgaben erfüllt werden müssen, dann müssen sie auch im Rahmen des deutschen politischen Ziels durchgeführt werden. Deswegen sage ich klipp und klar, Herr Neudeck kann in Afghanistan mit seinen Spendenmitteln seine Projekte durchaus weiterführen. Er ist überhaupt nicht darauf angewiesen, mit der Bundesregierung zusammenzuarbeiten. Aber überall da, wo Steuermittel eingesetzt werden, bestimmt die Bundesregierung die Aufgaben, die erfüllt werden müssen. Und wenn sich da keine Nicht-Regierungsorganisation für finden sollte, gibt es staatliche Durchführungsorganisationen, die diese Aufträge erfüllen, um das gemeinsame Ziel zu erreichen.

    Barenberg: Der Bundesminister für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit heute Morgen im Gespräch im Deutschlandfunk. Vielen Dank, Dirk Niebel.

    Niebel: Bitte!