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"Die sind einfach bockig"

Im Tarifkonflikt um die Arbeitsbedingungen der Ärzte an den kommunalen Krankenhäusern gibt sich der Marburger Bund gesprächsbereit. "Es gibt noch einige Lösungswege", sagte Armin Ehl, Hauptgeschäftsführer der Ärztegewerkschaft. Die Arbeitgeber hatten eine Schlichtung nach vierwöchigem Streik der Mediziner abgelehnt.

26.07.2006
    Klaus Remme: Die Hoffnung auf ein baldiges Ende des jetzt schon vier Wochen andauernden Ärztestreiks in den kommunalen Kliniken hat sich zerschlagen. Es wird keine Schlichtung geben, sagen die Arbeitgeber. Es reicht schlicht nicht aus an Gemeinsamkeiten. Die Forderungen liegen zu weit auseinander. Bei Arbeitszeiten, bei den Arbeitsbedingungen mag man sich noch einig sein. Jetzt geht es vor allem ums Geld. Von diesen Streiks sind sehr viel mehr betroffen als noch bei dem Streik der Ärzte an den Unikliniken: immerhin 70.000 Ärzte in rund 700 Krankenhäusern der Städte und Gemeinden. Zur Absage der Schlichtung sagte gestern der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Georg Baum, hier im Deutschlandfunk:

    "Die Arbeitgeberseite, die Kliniken sind mit ihrem Angebot weit über das hinausgegangen, was die Krankenhäuser sich eigentlich leisten können. Der Marburger Bund muss sich darüber im Klaren sein, dass er überreizt. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Bevölkerung kein Verständnis mehr für eine Fortsetzung der Streiks hat, auch innerhalb der Kliniken die anderen Berufsgruppen mit großer Sorge beobachten, wie dieses egoistische Verhalten der Ärzte zu Lasten letztlich der anderen Mitarbeiter geht, Arbeitsplätze gefährdet, Kliniken gefährdet."

    Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft.

    Am Telefon mitgehört hat Armin Ehl, Hauptgeschäftsführer des Marburger Bundes, also der anderen Seite. Guten Morgen, Herr Ehl!

    Armin Ehl: Guten Morgen!

    Remme: Herr Ehl, die Arbeitgeber begründen ihre Haltung mit dem Argument, man müsse das gesamte Einkommensgefüge in einem Krankenhaus im Blick haben. Muss der Marburger Bund das nicht auch?

    Ehl: Ja, haben wir doch auch. Aber die Arbeitgeber argumentieren unlauter und das eigentlich schon die ganze Zeit. Das war übrigens im Bereich der Universitätskliniken und Landeskrankenhäuser nicht anders gewesen. Wir müssen jetzt leider diese ganzen Schleifen wieder gehen im Bereich der kommunalen Krankenhäuser.

    Eines ist doch ganz sicher: Wenn die Ärzte mehr bekommen und wenn die Ärzte das bekommen, was ihnen eigentlich zusteht, wenn die Ärzte das bekommen, damit sie nicht weiter ins Ausland abwandern, dann wird keine andere Berufsgruppe im Krankenhaus weniger bekommen. Wenn die Kommunen sagen, dass sie es sich nicht leisten können, dann ist das auch ganz unlauter, weil die Kommunen genauso wenig wie die Länder die Gehälter der Ärzte an den Kliniken bezahlen. Das machen doch die Krankenkassen. Dafür bezahlen wir doch die Krankenkassenbeiträge, und da ist sicherlich noch etwas Luft drin. Also die müssen mal anfangen, wieder etwas lauterer zu argumentieren.

    Remme: Wie groß ist denn die Unterstützung der Forderungen durch Kollegen anderer Berufsgruppen, die im gleichen Haus weitaus weniger verdienen?

    Ehl: Es ist jedenfalls so, dass wir nicht eine große oder eine überhaupt erwähnenswerte Anzahl von irgendwelchen negativen Äußerungen von anderen Berufsgruppen bekommen haben. Ich glaube, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Pflegebereich beispielsweise können sehr gut differenzieren, und die merken auch, dass hier ganz bewusst eine Neiddebatte aufgemacht wird. Wissen Sie, das ist auch eines so der letzten Argumente oder der letzten Möglichkeiten, wenn man keine Argumente mehr hat, noch einmal auf den Gegner einzuschlagen. Deswegen nehmen die das nicht so ganz ernst. Die Bevölkerung ist weiterhin an unserer Seite. Wir haben von Anfang an gesagt - und das ist doch, glaube ich, auch sehr gut herübergekommen -, dass wir nicht gegen die Patientinnen und Patienten streiken. Im Gegenteil: Wir arbeiten für sie. Es geht ja auch nicht nur ums Geld, sondern es geht auch um Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen. Damit geht es letztlich um die Erhöhung des Patientenschutzes in den Krankenhäusern. Das ist gut angekommen, und das ist auch weiterhin so.

    Remme: Aber ich will noch mal bei den Berufsgruppen bleiben. Sie sagen, es protestiert kaum jemand dieser anderen Berufsgruppen. Solidarität klingt aber anders.

    Ehl: Ja nun, seit wir mit der großen Dienstleistungsgewerkschaft nicht mehr zusammenarbeiten, ist es tatsächlich mit der Solidarität nicht mehr weit her. Da stimme ich Ihnen völlig zu. Solidarität bedeutet immer, dass man das tut, was offensichtlich der große Bruder so meint, und wir sind ja seit September 2005 auf Grund eines Beschlusses unserer Hauptversammlung selbstständig ganz und machen unsere eigenen Tarifverhandlungen, weil einfach in diesem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst, der seinerzeit verhandelt wurde, so viele strukturelle Webfehler drin waren und vor allen Dingen Einkommensverluste eingearbeitet waren, dass wir den nicht ertragen konnten.

    Remme: Sie haben eben den Arbeitskampf der Mediziner an den Unikliniken erwähnt. Ist dies jetzt hier aus Ihrer Sicht eine Kopie des Arbeitskampfes, oder gibt es Unterschiede?

    Ehl: Ja, es gibt durchaus Unterschiede, alleine deshalb, weil es natürlich viel mehr Krankenhäuser in der Fläche gibt. Im kommunalen Bereich, Sie haben gerade erwähnt auch in der Anmoderation - gibt es 700 Krankenhäuser. Wir haben insgesamt nur 25 Unikliniken und einige psychiatrische Landeskliniken bestreikt gehabt. Also da gibt es schon einen wesentlichen Unterschied.

    Es ist aber auch so, dass bislang kein Patient leiden muss. Es gibt also immer auch in der Fläche noch Alternativen, wo man hingehen kann. Es gibt sehr viele freie gemeinnützige Krankenhäuser, beispielsweise in Nordrhein-Westfalen, wo die Patienten, die an den kommunalen Häusern nicht mehr ankommen, hingehen können, so dass also kein Patient leiden muss. Insofern gibt es da schon einen Unterschied.

    Auf der anderen Seite - ich sage jetzt noch einmal - bestimmte Schleifen, Denkschleifen oder Argumentationsschleifen, die wir im Bereich der Tarifgemeinschaft der Länder erfahren haben, die kommen jetzt auch wieder hoch. Es ist immer wieder diese Diskrepanz, einerseits zu sagen, na gut, wir müssen mit den Ärzten verhandeln, auf der anderen Seite zu sagen, eigentlich wollen wir es ja gar nicht, es gibt doch einen großen Vertrag. Aber das ist genau der Punkt. Dieser große Vertrag, früher BAT, heute TVÖD, der passt einfach nicht vom Leuchtturmwärter bis zum Chefarzt.

    Remme: Aber wenn die Arbeitgeber sagen, dass sie bereits zehn Prozent über dem allgemein geltenden Tarifvertrag angeboten haben, warum geben Sie sich damit nicht zufrieden?

    Ehl: Dann muss ich mal sagen: Sie haben natürlich mit diesem TVÖD zunächst einmal unheimlich viel Geld weggenommen, gerade den Ärzten. Da ist es zu enormen Verlusten gekommen. Wir vergleichen nur vom alten BAT. Das ist der letzte Vertrag, den wir mit unterschrieben haben, und das ist natürlich für uns die Ausgangsbasis. Wenn man den alten BAT nimmt, der also noch vor einem Jahr galt, und das Angebot des VKA sich jetzt anschaut und das auf eine 38,5-Stunden-Woche durch einen einfachen Dreisatz gerechnet hat, dann stellt man fest, dass beim Einstiegsgehalt ein Verlust von 460 Euro zu berechnen wäre. Das können wir doch nicht akzeptieren. Also die legen einseitig von sich aus einen neuen Vertrag fest, geben auf den zugegebenermaßen ein bisschen wieder zu und sagen dann so, das müsst ihr nehmen, das ist aber viel mehr. Ist es nicht. Von der Ausgangsbasis betrachtet sind es zirka 500 Euro weniger für jeden Arzt, und das machen wir nicht mit.

    Remme: Keine Schlichtung, Herr Ehl. Wie geht es jetzt weiter?

    Ehl: Die Schlichtung war ja auch nicht unser Wunschweg gewesen. Das sage ich gleich. Wir waren nur offen, weil in einer Situation, wo man überhaupt nicht spricht, ist alles andere besser. Da wäre auch die Schlichtung besser gewesen. Es gibt noch einige Stellschrauben, an denen man auch drehen kann. Es gibt noch einige Lösungswege. Das müssen wir zunächst einmal intern wieder mit den Verhandlungsleuten der VKA besprechen. Dann kommt man auch wieder ins Gespräch. Die sind einfach bockig.

    Remme: Was heißt denn das, einige Stellschrauben, Herr Ehl?

    Ehl: Man kann an der Arbeitszeit beispielsweise noch etwas tun. Man kann die Laufzeit des Vertrages noch mal ein wenig variieren und hat dadurch noch mal die Möglichkeit, über den einen oder anderen Prozentpunkt dann zu sprechen. Es gibt wie gesagt noch verschiedene Möglichkeiten, hier kreativ zu sein, aber das hat die Arbeitgeberseite bislang auch nicht getan.

    Remme: Wie viele Ärzte in wie vielen Häusern streiken im Moment?

    Ehl: Wir hatten gestern in 110 Häusern oder in 110 Städten zirka 12.500 Ärztinnen und Ärzte auf der Straße. Das ist schon sehr viel. Viel mehr ist im Sommer kaum noch machbar, weil da eh schon alles runtergefahren wird wegen der Ferienzeit. Das spüren auch die Städte und Gemeinden. Es tut uns leid, dass ausgerechnet die Krankenhäuser jetzt wieder ausbaden müssen, was die Verhandlungskommission an Unkreativität und Bockigkeit darstellt, und wir müssen einfach schauen, dass wir wieder ins Gespräch kommen.

    Remme: Der Marburger Bund will die Streiks möglicherweise ausweiten. Sie haben eben gesagt, noch leidet kein Patient. Wann ist denn dieser Punkt erreicht?

    Ehl: Na ja, wir haben ja einen Eskalationsplan - ich will das mal so nennen -, und da können Sie auch noch mal schauen, was an den Universitätskliniken irgendwann der Fall war. Dann ging es dann irgendwann zu Verlegungen oder sogar Räumungen von ganzen Stationen. So weit sind wir jetzt im kommunalen Bereich noch nicht, aber wir streiken ja auch erst vier Wochen. Wir haben an den Universitätskliniken letztlich 13 Wochen gestreikt. Also da ist noch ein bisschen Luft. Wir versuchen erst noch, einige Häuser mehr ins Boot zu nehmen. Aber auch dann muss man sagen. wir achten natürlich darauf - wir machen sehr, sehr sorgsame Notdienstvereinbarungen -, dass kein Patient letztlich leidet.

    Remme: Armin Ehl, Hauptgeschäftsführer des Marburger Bundes. Herr Ehl, vielen Dank.

    Ehl: Danke Ihnen.