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"Die Situation ist hoch dramatisch"

Der Hamburger Reeder Matthias Reith hat massive Schwierigkeiten für Kapitäne bei der Rettung von Flüchtlingen aus Seenot beklagt. Immer wieder komme es vor, dass die Geretteten nirgends von Bord gehen dürften, sagte Reith. Das könne im schlimmsten Fall dazu führen, dass Seeleute die Menschen ihrem Schicksal überließen, auch wenn sie zur Rettung verpflichtet seien.

Moderation: Dirk Müller | 27.11.2006
    Dirk Müller: Am Telefon ist nun der Reeder Matthias Reith von der Reederei Blumenthal in Hamburg. Guten Morgen!

    Matthias Reith: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Reith, Flüchtlinge auf hoher See. Ersparen sich Kapitäne viel Unangenehmes, wenn sie einfach mal vorbei fahren?

    Reith: Lassen Sie mich dazu Folgendes sagen. Es gibt eine Vielzahl von Berichten von Geretteten, die hinterher festgestellt haben, dass eine Anzahl von Schiffen an ihnen vorbei gefahren ist. Wir können so etwas im Einzelnen natürlich dann nicht überprüfen. Manchmal sollen sie so dicht gewesen sein, dass sie Namen gelesen haben. Das sind natürlich bedenkliche Angaben. Diese muss man ernst nehmen. Es muss nicht immer böser Wille vorliegen, wenn so etwas vorkommt. Allerdings ist die Situation, in der sich Reedereien und Seeleute befinden, äußerst ungünstig, weil im Jahre 2001 ein spektakulärer Fall, nämlich mit der "Tampa" zwischen Indonesien und Australien passierte, wo ein Kapitän in seemännisch einwandfreier Weise 437 Leute von einem sinkenden Fahrzeug rettete und diese Leute hinterher nicht problemlos absetzen konnte. Das war ein sehr kontraproduktiver Fall, der dazu natürlich führt, dass viele darüber nachdenken, was passiert mir eigentlich, wenn ich diese Rettung durchführe, zu denen und das sei deutlich gesagt - wir alle verpflichtet sind? Es gibt eine internationale Konvention - die nennt sich SOLAS auf Deutsch Sicherheit des menschlichen Lebens auf See -, nach der wir alle verpflichtet sind, Leute in Seenot zu retten, gleich welcher Herkunft und gleich welchen Grundes sie sich auf See befinden.

    Müller: Herr Reith, haben Sie denn die Erfahrung gemacht, dass sich auch alle Akteure, die daran beteiligt sind, in der Praxis daran halten?

    Reith: Dazu kann ich Ihnen keine Auskunft geben, weil ich nicht dabei bin. Es gibt viele Rettungen von völlig korrekt und sehr bewundernswert handelnden Kapitänen und Reedereien. Über die Fälle, wo das nicht so gehandhabt wird, wissen wir nichts. Wir wissen nur, dass solche Berichte existieren, die ich Ihnen in der Eingangserklärung eben nannte.

    Müller: Herr Reith, gibt es auch Reedereien die sagen, fahrt ruhig vorbei, das ist uns alles zu umständlich?

    Reith: Das weiß ich nicht. Allerdings diese Berichte, von denen ich Ihnen eben erzählte, die Gerettete dann später abgegeben haben, sind Grund genug, ernsthaft über Abhilfe dieser Situation nachzudenken.

    Müller: Welche Erfahrungen haben Ihre eigenen Schiffe im Mittelmeer, im Atlantik gemacht?

    Reith: Wir haben eine Rettung gehabt im August 2005 im Mittelmeer in der Nähe von Malta. Da passierte Folgendes: Wir wurden um Hilfe ersucht, sind dort mit Höchstfahrt hingefahren, kamen an ein gekentertes kleines Boot, auf dem noch zwei Leute draufsaßen. Sie gaben an, nachdem wir sie haben retten können, mit 28 Leuten losgefahren zu sein. Das Boot sei später umgeschlagen. 26 sollen umgekommen sein. Wir haben dann noch sehr lange dort gesucht, keine weiteren Überlebenden finden können. Und die menschliche Dramatik wird dann noch dadurch besonders deutlich, dass einer von den Geretteten ein Bruder dessen war, der da umgekommen ist.

    Die An-Land-Gabe dieser Leute, um Ihre Frage weiter zu beantworten, war problemlos. Wir konnten uns in keiner Weise dort beschweren. Malta hat sogar einen Hubschrauber rausgeschickt. Unsere Geretteten haben innerhalb von wenigen Stunden unser Schiff wieder verlassen. Das Schiff konnte dann, nachdem die Suchaktion beendet war, die Reise fortsetzen.

    Müller: Haben Sie denn, Herr Reith, den Eindruck, dass die tatsächliche Situation in und auf diesen Gewässern dramatischer ist, als das die Politik zugibt?

    Reith: Ich möchte darauf mit einer Zahl antworten. Die spanische Polizeigewerkschaft hat für die ersten neun Monate des Jahres 2006 gemeldet, alleine in Spanien, wozu allerdings auch die kanarischen Inseln gehören, wo der Hauptteil gefunden wurde - ich sage es noch einmal: in den ersten neun Monaten des Jahres 2006 -, allein in diesem Bereich 3000 Leichen geborgen zu haben. Nun müssen Sie wissen, dass die Situation sich eben nicht nur zwischen den kanarischen Inseln und zum spanischen Festland hin abspielt, sondern wir haben diese Situation weltweit und auch nicht begrenzt auf das Mittelmeer. Wir haben eine Situation, die vergleichbar ist in der Karibik. Wir haben sie am Horn von Afrika. Wir haben sie an vielen Stellen dieser Erde. Insofern sind diese Zahlen sehr hoch anzusiedeln. Die Situation ist hoch dramatisch und für Kapitäne, Besatzungen oder Reedereien eine humanitäre Herausforderung, wie wir sie vergleichsweise allenfalls zur Zeit der Boat People vor Vietnam hatten.

    Müller: Herr Reith, was kann man dort als Reeder, was kann der Verbund der Reedereien dagegen beziehungsweise dafür tun?

    Reith: Wir können unseren Kapitänen den Rücken stärken - das müssen wir auch – und sagen, passt besonders auf in diesen Gebieten und rettet. Das ist aber nicht alles. Wichtig ist, dass die Politiker und alle anderen, die an diesen Themen irgendwie Anteil haben - und hier nenne ich auch vor allem die Kirchen -, bitte, bitte dafür sorgen müssen, sichern sie die unverzügliche und reibungslose An-Land-Gabe der Geretteten von unseren Schiffen. Das ist das Allerwichtigste, damit eben solche Situationen, wie sie dann immer wieder beschrieben werden, gar nicht erst entstehen können, dass ein Trawler im Mittelmeer tagelang festgehalten wird, nachdem er Gerettete an Bord hat. Das geht nicht. Das ist kontraproduktiv, und das ist der Grund, der Rettungen verhindern mag. Wenn die unverzügliche und reibungslose An-Land-Gabe der Geretteten funktioniert, dann wird es auch weniger Berichte geben von Booten, die behaupten, Schiffe seien vorbei gefahren. Das muss schnell geschehen. Diese Regelungen müssen endlich getroffen werden, und sie müssen der Schifffahrt bekannt gemacht werden.

    Müller: Das war der Reeder Matthias Reith von der Reederei Blumenthal in Hamburg. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Reith: Auf Wiederhören.