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"Die Situation ist immer noch sehr chaotisch"

Seit zwei Tagen arbeite ein sechsköpfiges Ärzteteam von humedia e.V. in Tacloban, sagt der Sprecher der Hilfsorganisation, Steffen Richter. Die Helfer kämen aber wegen der überwältigenden Zerstörung schwer voran und hätten Schwierigkeiten, sich selbst zu versorgen.

Steffen Richter im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 12.11.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Wir kommen noch einmal zurück auf die Taifun-Katastrophe auf den Philippinen. Die Hilfsorganisation "humedica e.V." aus Kaufbeuren ist mit einem sechsköpfigen Team im Katastrophengebiet vertreten und ist derzeit dabei, ihr Team aufzustocken. Am Telefon begrüße ich jetzt Steffen Richter von der Hilfsorganisation. Herr Richter, wie halten Sie Kontakt zu Ihren Mitarbeitern vor Ort?

    Steffen Richter: Guten Morgen, Herr Heckmann. Wir versuchen tatsächlich Kontakt zu halten über die auch uns bekannten Kommunikationsmittel. Das heißt, wir haben für unsere Handys mobile SIMs besorgen können, wir haben auch ein Satellitentelefon. Leider ist durch die zerstörte Infrastruktur die Verbindung sehr wackelig, nicht wirklich stabil. Das heißt, es kommen immer wieder SMS durch. Ich habe gerade heute Morgen wieder SMS bekommen von unserer Koordinatorin am Ort, Margret Müller, die schreibt, dass sie jetzt an dem Ort ist in einem Evakuierungslager, behandeln mit den Ärzten, und die Situation nicht zu beschreiben ist, sehr skurril wirkt, irreal.

    Die Menschen sind, ich will nicht sagen, ausgehungert, haben lange nichts gegessen, lange nichts getrunken. Es liegen noch sehr, sehr viele Leichen auch auf den Straßen. Die Menschen erzählen die Geschichten, die sie erlebt haben im Zuge dieses Sturms. Es ist sehr, sehr bewegend, was da an Rückmeldungen kommt, wenn welche kommen.

    Heckmann: Auch unsere Verbindung zu Ihnen ist nicht ganz stabil. Man muss dazu sagen, das ist eine Mobilleitung, die wir hier in diesem Fall benutzen. – Herr Richter, dennoch die Frage: Wie helfen Sie von "humedica" vor Ort, wie können Sie helfen?

    Richter: Für uns ist das Ziel, immer sehr, sehr schnell am Ort zu sein, um auch sehr schnell medizinische Hilfe leisten zu können. Medizinische Hilfe ist schon abhängig auch von der Zeit oder von Zeiträumen, in denen sie geleistet werden kann. Das heißt, unsere Kernkompetenz, unser Schwerpunkt liegt immer auf medizinischen Basisbehandlungen durch Ärzteteams beziehungsweise medizinische Teams.

    Im Moment ist es so, Sie haben es eben schon angesprochen: ein sechsköpfiges Team ist seit zwei Tagen gut in Tacloban, die dort behandeln, und wir haben gestern Abend deutsche Zeit ein zweites Team auf die Reise geschickt, das in wenigen Stunden auch in Manila ankommen wird, und wir überlegen gerade, ob es möglicherweise andere Formen der Hilfe auch noch geben kann.

    Heckmann: Ist es denn möglich für Ihre Mitarbeiter, die Helfer, überall hin vorzudringen, oder gibt es immer noch große Bereiche, die einfach nicht erreichbar sind?

    Richter: Das ist eine Information, die ich nicht gesichert habe. Es ist wohl so, dass das Militär natürlich bei unserem Team auch dabei ist, um den Transport sicherzustellen. Es ist jetzt nicht so, dass wir da ein Auto oder einen Jeep oder Ähnliches vor Ort hätten, um uns tatsächlich bewegen zu können, sondern wir sind da schon auf die Infrastruktur des Militärs angewiesen und auch sehr dankbar dafür, dass diese Infrastruktur zur Verfügung gestellt wird.

    Das heißt, die Situation ist immer noch sehr chaotisch. Es ist sehr viel Schutt überall, die Zerstörungen sind doch überwältigend und auch in ihrer Quantität einfach so, dass da wirklich, wie schon erwähnt, die Infrastruktur – und da gehören natürlich auch die Straßen dazu – sehr stark zerstört ist, und das schränkt natürlich auch die Bewegungsfreiheit sehr stark ein.

    Heckmann: Mit welchen Problemen haben die Helfer noch zu kämpfen?

    Richter: Na ja, es geht natürlich auch um die Frage der eigenen Versorgung. Es ist natürlich nicht so, dass dort für die Helfer möglicherweise ein Supermarkt zur Verfügung stünde, wo sie reingehen können und sich versorgen können. Das heißt, auch da, wie soll ich sagen, ist das natürlich eine große Herausforderung, unser Team zu versorgen und auch eine Übernachtung für unser Team zu bekommen. Das sind alles Fragen, die natürlich am Ort selbst dann gelöst werden müssen und auch gelöst wurden bisher.

    Heckmann: Es gab Berichte von Plünderungen. Ist Ihr Team auf den Philippinen sicher? Kann man das sagen?

    Richter: Das kann man natürlich nie sagen in Einsätzen wie diesen. Grundsätzlich würde ich persönlich aber versuchen, so ein bisschen die Schärfe aus diesem Thema rauszunehmen. Ich denke, das kann sich jeder vorstellen, der selbst auch Familie hat, dass nach einiger Zeit, wenn es darum geht, vielleicht Kinder zu versorgen oder ältere Menschen, dann Mittel gewählt werden, die man möglicherweise unter normalen Umständen oder mit hoher Wahrscheinlichkeit unter normalen Umständen nicht wählen würde. Ich würde aus meiner persönlichen Perspektive in diesen Szenarien das nicht kriminalisieren, dass Menschen versuchen zu überleben.

    Heckmann: Das ist schon klar. Dennoch stellt sich natürlich die Frage. – Letzte Frage an Sie, Herr Richter: Wird das ein Einsatz sein, der relativ bald beendet werden kann, oder stellen Sie sich auf einen längeren Einsatz ein?

    Richter: Wir stellen uns ganz klar auf einen längeren Einsatz ein. Wenn man die Dimensionen dieser Zerstörung sieht und davon hört, dann muss man einfach ganz klar davon ausgehen, dass die Menschen noch sehr lange auf Hilfe angewiesen sein werden. Wir sind da auch entsprechend aufgestellt, wir haben die entsprechenden Möglichkeiten auch, und ich habe es ja eben schon angesprochen: Wir überlegen derzeit auch andere Formen der Hilfe, und das werden die kommenden Wochen zeigen, inwieweit man da sich noch ein bisschen breiter aufstellen muss.

    Heckmann: Steffen Richter war das von der Hilfsorganisation "humedica e.V.". Ganz herzlichen Dank für Ihre Eindrücke und Informationen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.