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Die spanische Justiz
Politisch beeinflusst oder unabhängig?

Das juristische Gezerre um die Auslieferung von Carles Puigdemont zieht sich hin. Der entmachtete katalanische Ministerpräsident ist seit Ende Oktober in Belgien und hat schwere Vorwürfe gegen die spanische Justiz erhoben. Sie stehe unter dem Einfluss der Politik. Was ist an diesem Vorwurf dran?

Von Hans-Günter Kellner | 23.11.2017
    Ein Gerichtssaal in Palma de Mallorca
    Der entmachtete katalanische Ministerpräsident ist seit Ende Oktober in Belgien und hat schwere Vorwürfe gegen die spanische Justiz erhoben. (imago stock&people/CordonPress)
    Vor dem Nationalen Gerichtshof in Madrid, Anfang November: Drei spanische Polizeibeamte biegen sich vor Lachen: "Der Bär kommt in den Knast", machen sie sich über die Figur des kräftigen Ex-Vizeregierungschefs Kataloniens, Oriol Junqueras, lustig, als der Gefangenentransport mit den ehemaligen katalanischen Ministern abfährt.
    Die Polizeiführung hat Disziplinarverfahren gegen die Beamten eingeleitet, und die belgische Justiz hat in Madrid besorgt nach den Haftbedingungen gefragt. In der Antwort aus Madrid heißt es, auf Wunsch erhalte der nach Belgien geflohene ehemalige Ministerpräsident Kataloniens Puigdemont auch eine Einzelzelle. In Belgien wird auch an der Unabhängigkeit der spanischen Justiz gezweifelt. Ignacio González Vega, Richter in Madrid und Sprecher des regierungskritischen Verbands "Richter für Demokratie", will klarstellen: "Die spanische Justiz bietet dieselben Garantien wie jeder andere Mitgliedsstaats in der Europäischen Union. Die EU ist ja schließlich eine Rechtsunion, man kann gar nicht Mitglied sein, ohne dieselben Standards zu erfüllen. Unsere Richter sind unabhängig."
    Rechtlicher Rahmen für die Meinungsfreiheit
    Die katalanische Regierung wurde vom Senat abgesetzt, weil sie ein Unabhängigkeitsreferendum durchgeführt hat. Auch gegen Parlamentspräsidentin Carme Forcadell wird ermittelt, weil sie die Erklärung der Unabhängigkeit durch das Parlament zuließ. Dennoch möchte Richter González Vega nicht von Meinungsdelikten sprechen: "Spanien ist ein demokratischer Rechtsstaat. Die Verfassung garantiert die Grundrechte. Eines der wichtigsten Grundrechte ist die Meinungsfreiheit. Jede Meinung kann in diesem Rahmen ausgedrückt werden. Das Problem ist, wenn jemand Vorstellungen auch in die Tat umsetzen will, die mit dem rechtlichen Rahmen in Konflikt treten, insbesondere mit dem Strafrecht."
    Dass die katalanische Regierung das Verbot des Verfassungsgerichts missachtet und das Referendum trotzdem durchgeführt hat, sei eben eine solche Straftat. Allerdings sieht der Verband Richter für Demokratie die U-Haft kritisch, die die Untersuchungsrichterin für die ehemaligen Minister Puigdemonts angeordnet hat. Auch seien der Verteidigung nur wenige Stunden eingeräumt werden, die 100 Seiten starken Beschuldigungen des Gerichts bis zur Aussage der Minister zu lesen. Und bei der Staatsanwaltschaft sieht der Verband sogar dringenden Reformbedarf: "Der Generalstaatsanwalt ist in diesem Fall überzogen aufgetreten. Einzelne Beschuldigte hat er sogar bedroht. Er hat seine Kompetenzen übertreten. Wir sind grundsätzlich kritisch mit der fehlenden Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft muss reformiert werden. Sie ist abhängig von der Regierung."
    Keine juristische Willkür
    Die Staatsanwaltschaft stellt sich auch gegen ein Zusammenlegen des Verfahrens gegen die katalanischen Minister mit dem gegen das Parlamentspräsidium, das nicht am Nationalen, sondern am Obersten Gerichtshof geführt wird. Dort haben die Richter auf U-Haft verzichtet, nachdem die Beschuldigten erklärt hatten, die Unabhängigkeitserklärung habe sowieso nur symbolischen Charakter, Spaniens Verfassung sei gültig. Der Strafprozessordnung können Verfahren mit demselben Hintergrund zusammengelegt werden, es ist aber nicht zwingend. Der Oberste Gerichtshof entscheidet darüber diese Woche. Doch unterschiedliche Haltungen in juristischen Fragen deuteten nicht auf politische Willkür hin, meint Raimundo Prado. Er ist Sprecher des Richterverbands Francisco de Vitoria. Kritik hat aber auch er: "Es gibt andere Dinge, die diese Unabhängigkeit in Frage stellen. Zum Beispiel, dass die Mitglieder des Justizrats von Politikern gewählt werden. Der Justizrat soll ja schließlich uns, die Richter, repräsentieren, und nicht die Politik. Aber im Alltag ist jeder Richter wirklich unabhängig."
    Auch die Statistiken des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zeichnen kein Bild von juristischer Willkür in Spanien. Seit seiner Gründung 1959 hat es 98 Mal gegen Spanien geurteilt. Das sind 0,5 Prozent der jemals vom Gericht ausgesprochenen Urteile.