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Die SPD und der Klimaschutz
Wie grün sind die Roten?

Die GroKo ringt um die Klimaschutz-Politik. Besonders die Sozialdemokraten beharren darauf, seit jeher auch Umweltpartei zu sein. Die SPD stellt auch die Bundesumweltministerin. Eine Fahrradfahrt mit Svenja Schulze.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 23.08.2019
03.04.2019, Berlin: Svenja Schulze (SPD), Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, nimmt an der Sitzung des Bundeskabinetts im Bundeskanzleramt teil.
Svenja Schulze (SPD) ist seit Frühjahr 2018 Bundesumweltministerin (picture alliance/Kay Nietfeld/dpa)
"So, jetzt geht’s hier unter der Straße durch - da kriegt man ein bisschen Fahrt drauf, da muss man immer ein bisschen aufpassen. Denn - geht’s los!"
Svenja Schulze startet durch. Schaltet hoch, tritt in die Pedale und saust die Unterführung hinab. Niemand bremst die Bundesumweltministerin hier aus, außer vielleicht einer roten Ampel. Kurz gewartet, dann geht’s weiter:
"Sollen wir mal rüberfahren. Vorsicht, hier kommt jetzt noch ein Hubbel. So, jetzt sind wir aber wieder in einem sicheren Bereich."
Eine Drahtesel-Tour auf der Promenade, einmal herum um die Innenstadt. Nicht etwa im zugeparkten Berlin, sondern in Deutschlands selbsternannter Fahrradhauptstadt Münster, der Heimat von Svenja Schulze.
"Also alle fahren. Meine 90-jährige Nachbarin. Wir haben, glaube ich, doppelt so viele Fahrräder, wie wir Einwohner haben. Der Oberbürgermeister fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit. Wissen auch alle. Wenn man was von ihm will, kann man morgens mit ihm mitradeln sozusagen."
Ministerin strampelt sich ab
Und wer mit der Umweltministerin über die Klimaschutz-Politik der Bundesregierung sprechen möchte, kann also mit ihr mitfahren, an diesem lauen Sommermorgen. Und alles erfahren über den Nationalen Radverkehrsplan, über das Fahrrad als Teil der Verkehrswende, und sogar, mit welchem Parteifreund Svenja Schulze gerne mal auf Tour gehen würde:
"Ein Sozi?! Och, mit Olaf Scholz, denn hat sich gerade ein total tolles neues Fahrrad gekauft, und ich glaube, das würde richtig Spaß machen."
Rennrad oder Tandem?
Schulze: "Nee, eher so ein Tourenfahrrad. Zur letzten Kabinettsklausur ist der damit gekommen."
Dossier Klimakrise
Dossier Klimakrise (Sean Gallup / Getty Images)
Die SPD eine Partei der Radfahrer?! Sicher doch, meint Svenja Schulze. Die Ministerin strampelt sich seit ihrem Amtsantritt vor anderthalb Jahren ab, um ihrer Partei ein umweltfreundlicheres Image zu verpassen. Die SPD hat zwar ein Klimaschutzgesetz im Koalitionsvertrag durchgesetzt und den Kohleausstieg mit beschlossen, aber trotzdem tut sie sich schwer mit der Frage, wie grün die Roten sein wollen und können:
"Da gibt es Strömungen in der SPD, die durchaus diese Themen vertreten. Aber das ist nicht unumstritten in der SPD, das ist kein Kernthema, kein definierendes Thema", meint der Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin, der unter anderem zur Krise der Volksparteien forscht:
"Insofern hat man, glaube ich, erkannt, dass das Thema die Agenda prägt, aber wie man es eigentlich – und das im großen Gegensatz zu den Grünen – wie man es glaubwürdig für sich nutzen kann, da tut sich die Partei tatsächlich schwer."
"Wenn es irgendein Problem geben wird, dann werden wir schieben. Wie immer", erklärte Genosse Walter Kolbow 1999 anlässlich einer Radtour der SPD zum Abschied in Bonn. Radelnde Parteifreunde - das galt lange als Teil des politischen Sommertheaters, weniger als Zeichen für ernstgemeinten Klimaschutz. Mit im Sattel saßen damals auch Gerhard Schröder und Frank-Walter Steinmeier:
Schröder: "Sie müssen keine Angst haben, dass ich schlapp mache. Wird nicht passieren."
Steinmeier: "Es gab heute Morgen nur ein halbes Rosinenbrot in der Befürchtung, dass mir sonst wegen der Anstrengung schlecht wird."
Was bleibt von Willy Brandts Spruch?
Willy Brandt: "Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden."
Auf Willy Brandts berühmten Satz aus dem Bundestagswahlkampf 1961 sind sie bis heute stolz in der SPD. Trotzdem fremdelte die Partei Jahrzehnte mit der Umweltpolitik. Vordenker wie Erhard Eppler oder der frühere Umwelt-Staatssekretär Michael Müller rackerten sich ab, und selbst Hermann Scheer, einst Pionier der erneuerbaren Energien, musste Schmähungen aus den eigenen Reihen hinnehmen:
"… dass ich als Spinner hingestellt worden bin, als jemand, der jetzt abgehoben habe, der jeglichen Realitätssinn verloren habe, oder sonst etwas. Ich war mir aber sicher."
Heute, ein knappes Jahrzehnt nach Hermann Scheers Tod, sitzt seine Tochter, die Bundestagsabgeordnete Nina Scheer, in einem Berliner Café, rührt in ihrem Cappuccino, und sucht nach Erklärungen, warum die Grünen beim Klima so viel besser dastehen als ihre Partei:
"Wir hätten als SPD noch konsequenter die Wegmarken einer Energiewende definieren müssen. Quasi als Rote Linie. Wenn die Klimaschutzerfordernisse nicht umsetzbar sind, dann kann man einen solchen Koalitionsvertrag als SPD an sich nicht eingehen."
Nina Scheer bei einer Rede im Willy-Brandt-Haus in Berlin
SPD-Politikerin Nina Scheer (imago/Metodi Popow)
Nina Scheer hält wenig von der Klimapolitik der schwarz-roten Koalition. Auch deshalb kandidiert sie mit Karl Lauterbach für den SPD-Parteivorsitz und will die GroKo so schnell wie möglich verlassen. Viele Genossen sehen die Klimapolitik inzwischen als entscheidende Frage für den Fortbestand der Koalition:
"Wir haben teilweise auch durch unsere Vorsitzenden immer wieder eine Debatte erlebt, wo man die Frage stellen konnte: Meinen die es eigentlich richtig ernst mit dem Thema Ökologie?"
Politologe Faas: "Grunddilemma der SPD"
Das muss sich bei der künftigen neuen Parteiführung endlich ändern, meint Matthias Miersch, Umweltexperte der Bundestagsfraktion und Vorsitzender der Parlamentarischen Linken in der SPD. Nächste Nagelprobe sind aber erst einmal die Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg. Abgeordnete und Sozialdemokraten in den Braunkohlerevieren fremdeln mit dem Thema Klimaschutz.
Politikwissenschaftler Thorsten Faas: "Natürlich haben Sie auch die Kräfte, die sagen, ja, aber das muss sozialverträglich funktionieren. Das ist das Grunddilemma der SPD, und das lässt natürlich bestimmte Positionierungen, die ganz klar pro Klimaschutz sind, immer auch so ein Stück weit unglaubwürdig erscheinen, weil es immer die starken Gegenpositionen gibt, die das doch ein Stück weit wieder in Frage stellen."
"So hier müssen wir jetzt ein bisschen aufpassen, denn hier ist eine Straße, die quert. Hier ist eine der Lufttankstellen. Also falls man einen Platten hat, kann man hier tanken. Luft tanken!"
Fahrradfahrer wehren sich - Per App gegen Falschparker
Falsch geparkte Fahrzeuge gefährden oft andere Verkehrsteilnehmer. Immer mehr Radfahrer oder Fußgänger melden solche Verstöße per Handy-App an die Ordnungsämter. Verfolgen müssen die Behörden die gemeldeten Verstöße nicht, einige Städte tun es jedoch – und bald könnte Falschparken richtig teuer werden.
Die Bundesumweltministerin beweist einen langen Atem - nicht nur auf der Fahrradtour in Münster, sondern auch mit ihren Parteifreunden. Noch vergangenen November fiel Olaf Scholz ihr beim Plan einer CO2-Steuer in den Rücken. Und Wahlkämpfer Dietmar Woidke in Brandenburg hält bis heute wenig davon:
"Ich versuche Dietmar Woidke zu überzeugen. Demokratie ist eben manchmal anstrengend. Das heißt aber auch, dass man miteinander diskutieren und ringen muss. Und ich kann nicht nur wegen einer Landtagswahl das jetzt alles schneller machen…
…CO2-Steuer oder Emissionshandel, Klimaschutzgesetz, Kohleausstieg…
"Es ist sehr komplex, und deswegen muss jetzt die Zeit da sein, das miteinander zu diskutieren, das machen wir die ganzen Ferien über, und diese Zeit ist auch notwendig."
Es wird weitergestrampelt bis zur entscheidenden Sitzung des Klimakabinetts am 20. September.