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"Die Stellung von Westerwelle ist erschüttert"

Immer mehr scheinen Skandälchen um Präsidentenwahlen oder Kopfpauschalen die Regierung zu erschüttern. Eine realistische Alternative zur jetzigen Koalition sieht der Politikwissenschaftler Peter Lösche jedoch nicht. Doch Spitzenpolitiker könnten schließlich auch von Parteikollegen gestürzt werden.

Peter Lösche im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 14.06.2010
    Tobias Armbrüster: Die vergangene Woche war eine der schwierigsten für Angela Merkel. Möglicherweise kann man das aber inzwischen über fast jede Woche sagen. Wie es innen aussieht, in dieser schwarz-gelben Koalition, das wissen nur die Beteiligten. Von außen betrachtet wirkt Merkels Regierungsmannschaft inzwischen wie ein sehr fragiles Gebilde, erschüttert von Kontroversen um Sparpakete, Kopfpauschalen, Präsidentenwahlen und geheimen Gutachten. Über den Zustand der schwarz-gelben Koalition und ihrer Aussichten, weiterzumachen, darüber wollen wir jetzt ein bisschen ausführlicher sprechen. Am Telefon bin ich verbunden mit dem Politikwissenschaftler und Parteienforscher Peter Lösche. Schönen guten Tag, Herr Professor Lösche.

    Peter Lösche: Schönen guten Tag, Herr Armbrüster!

    Armbrüster: Herr Lösche, am Wochenende konnte man viele Berichte lesen, denen zufolge Schwarz-Gelb kurz vor dem Ende sei. Sind solche Berichte übertrieben?

    Lösche: Ich halte sie für übertrieben, denn theoretisch gibt es zwar vier Alternativen zur jetzigen Koalition. Darunter ist aber keine, die politisch realisierbar ist. Große Koalition – da geht die SPD nicht rein. Sie ist ja in der letzten auf 23 Prozent geschrumpft. Ampel oder Jamaika – da können FDP und Grüne nicht miteinander. Rot-Rot-Grün – da ist Die Linke in den westdeutschen Bundesländern einfach nicht vertrauens- und koalitionswürdig. Das heißt, im Moment bietet sich keine alternative Koalition an. Was allerdings möglich wäre, wäre ein Aufstand innerhalb der CDU gegen die Kanzlerin und Parteivorsitzende.

    Armbrüster: Sehen Sie denn da irgendwelche Kräfte in der CDU am Werk, die so etwas wirklich vor haben könnten?

    Lösche: Nun, es gibt ja Vereinigungen, Gruppierungen in der CDU, die durch die Politik der letzten Jahre verunsichert, auch frustriert sind. Das ist der Wirtschaftsflügel, das sind die Katholiken, das sind die Altkonservativen. Und wenn Sie in der Geschichte der CDU zurückgehen, in der Geschichte der Kanzler überhaupt, dann sind viele der Kanzler gestürzt worden durch die eigene Partei: Konrad Adenauer 1963, Ludwig Erhard 1966 – da kam die erste Große Koalition -, dann Brandt 1974, Schmidt, so könnte man argumentieren, 1982 und zuletzt Schröder 2005.

    Armbrüster: Sehen Sie denn irgendwelches Personal, was tatsächlich in die Fußstapfen von Angela Merkel treten könnte, eine Frau oder einen Mann?

    Lösche: Nun, es gibt zwei Personen, die in diesem Zusammenhang genannt werden könnten. Da ist einmal Friedrich Merz, zum anderen aber Roland Koch, der ja jetzt ganz bewusst offensichtlich als Ministerpräsident abgedankt hat und der, so glaube ich, wenn ich den Machtgefühlen, dem Machtsinn von Koch nachspüre, durchaus bereit wäre, in die Politik zurückzukehren, wenn er Kanzler werden würde und Parteivorsitzender der CDU.

    Armbrüster: Aber er hat ja gerade erst seinen Austritt aus der aktiven Politik bekannt gegeben. Würde er sich damit nicht ein bisschen lächerlich machen, wenn er jetzt nur ein paar Wochen später wieder zurück will?

    Lösche: Wenn er bekniet wird von seinen Parteifreunden als der Retter der Christdemokratie und der schwarz-gelben Koalition erscheinen würde, dann könnte ich mir durchaus vorstellen, dass er zurückkehrt in die Politik.

    Armbrüster: Herr Professor Lösche, wenn wir uns mal die Stimmung zurzeit ansehen, da werden zurzeit häufig Parallelen gezogen zum letzten Auseinanderfallen einer deutschen Bundesregierung, nämlich zum Ende der sozial-liberalen Koalition 1982. Sehen Sie da Parallelen zwischen der aktuellen Lage in Berlin und den letzten Tagen der Ära Schmidt-Genscher?

    Lösche: Es gibt durchaus einige Parallelen. 1980 hatte Helmut Schmidt einen grandiosen Wahlsieg errungen, so ähnlich wie Frau Merkel im vorigen Jahr. Dann aber hat er eine Politik betrieben, die mehr an Maggie Thatcher angelehnt war als an sozialdemokratischen Prinzipien. Dem Helmut Schmidt sind da die Gewerkschaften, seine Hausmacht, von der Fahne gegangen, seine Machtposition in der SPD ist zerfallen, und an dieser Stelle hat die FDP dann attackiert, hat die Koalition gewechselt, ist zu Helmut Kohl rübergegangen. Dies ist heute nicht mehr möglich. Dieser einfache Wechsel in einem Drei-Parteien-System kann heute nicht wiederholt werden. Wir haben ein Fünf-Parteien-System und obwohl theoretisch möglich, sind einige Koalitionen, die theoretisch denkbar sind, politisch nicht denkbar. Das heißt, es gibt eine gewisse Analogie, aber man darf damit nicht zu weit gehen.

    Armbrüster: Wie gerade im Beitrag schon angeklungen ist, gerät ja FDP-Chef Guido Westerwelle immer stärker unter Druck. Was schätzen Sie, wie lange kann er sich noch halten?

    Lösche: Es kommt darauf an, wie lange ihn einige der jüngeren, neueren, aufstrebenden Politiker wie Rösler, Lindner, Bahr halten möchte. Die haben es bereits in der Hand in der FDP, jemanden aus der gerade genannten Gruppe zum Parteivorsitzenden zu machen. Die Stellung von Westerwelle ist erschüttert.

    Armbrüster: Lassen Sie uns zum Schluss, Herr Professor Lösche, kurz zu sprechen kommen auf die Bundespräsidentenwahl. Schwarz-Gelb hat in der Bundesversammlung eine Mehrheit von 20 Stimmen, die Wahl ist gute zwei Wochen entfernt, es wird immer häufiger über eine Niederlage von Christian Wulff spekuliert. Haben diese Spekulationen irgendeinen realistischen Hintergrund, oder sind das nur Träumereien von Leuten, die gerne mal eine überraschende Bundespräsidentenwahl erleben möchten? So etwas haben wir ja noch nicht erlebt.

    Lösche: Es ist, glaube ich, mehr Wunsch als Realität, denn der Gegenkandidat Gauck müsste ja wenigstens eine relative Mehrheit im dritten Wahlgang gewinnen, und da hängt dann alles von der Linkspartei ab, und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Linkspartei zu Gauck überläuft. Sie würde sich selbst desavouieren damit. Das heißt, im dritten Wahlgang spätestens würde Wulff gewählt werden.

    Armbrüster: Der Politikwissenschaftler und Parteienforscher Peter Lösche im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Vielen Dank für dieses Interview, Herr Lösche.

    Lösche: Bitte schön.