Donnerstag, 18. April 2024

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Die Stiftung Villa Musica wird 30 Jahre
Kammermusik-Kaderschmiede im Südwesten

Was haben der Pianist Martin Stadtfeld, die Geigerin Viviane Hagner und der Bratschist Nils Mönkemeyer gemeinsam? Sie waren mal Stipendiaten der Villa Musica Mainz. Seit nunmehr 30 Jahren fördert die rheinland-pfälzische Landesstiftung unter Beteiligung des SWR den hochbegabten Musikernachwuchs. Ein Portrait zum Jubiläum.

Von Ursula Böhmer | 04.10.2016
    Blick auf die Gartenfront des Schlosses Engers bei Neuwied
    Beherbergt die Villa-Musica-Stipendiaten: Schloss Engers bei Neuwied (imago / Werner Otto)
    Musik: Beethoven, Sextett Es-Dur, op.81b
    Harmonie zu sechst: Die Stipendiaten der Villa Musica proben im idyllischen Barock-Schloss Engers an Beethovens Es-Dur-Sextett – tüfteln gemeinsam mit der Horn-Koryphäe Marie-Luise Neunecker am Detail: Wie soll man mit der Punktierung am Anfang umgehen – scharf punktiert oder eher weich? Wie genau müssen die dynamischen Abstufungen sein?
    Das gemeinsame Tüfteln gehört in der Probenarbeit der Villa Musica zum guten Ton: Was aber kann der Fagottist David Schumacher von einer Hornistin lernen?
    "Sie nimmt nicht so viel Rücksicht auf uns Fagottisten, sondern sagt einfach, wenn es zu laut ist. Selbst, wenn es ein ‚fis‘ in der Mittellage ist - was für uns nicht so einfach zu spielen ist -, sagt sie, das muss trotzdem gehen! Und das ist immer schön, von anderen Instrumentalisten so etwas zu hören, weil sie eben nicht von den Problemen der Fagottisten aus denken, sondern das beurteilen, was sie hören – und das tut immer gut!"
    Fördern durch Fordern. Trotzdem muss auch Marie-Luise Neunecker sich in die spezifischen Probleme der anderen Instrumentalisten einfühlen – beim Umgang mit der Atemluft etwa:
    "Beim Horn ist der Durchmesser des Mundstückes etwa 0,5 Millimeter, ein halber Zentimeter – das ist schon viel Luft, die weggeht. Und da geht es darum, die Luft einzuteilen, die Luft zu halten, dass nicht gleich alles weg ist. Oboisten und Fagottisten hingegen haben so viel Wiederstand durch ihre kleinen Röhrchen oder Mundstücke, dass eher zu viel Luft da ist – und sie das Problem haben, diese Luft los zu kriegen!"
    Fördern durch Kammermusik
    Einen gemeinsamen Atem und die richtige Klangbalance finden: Knapp 2000 Musikstudierende sind bei der Villa Musica in den vergangenen 30 Jahren durch diese Schule gegangen. Angefangen hat alles am 11. November 1986 in Mainz. Die rheinland-pfälzische Landesregierung hatte im Verbund mit dem damaligen Südwestfunk den Startschuss für eine Stiftung gegeben, um fortan den hochbegabten Musikernachwuchs in Kammermusikprojekten zu fördern. Anfangs existierte die "Villa Musica" aber nur virtuell.
    "Das erste Jahr war es noch eine Abteilung hier in der Landesregierung. Auch der Name Villa Musica war nur ein sogenannter Kunstname - für den kulturpolitisch starken Impuls, den man gesetzt hat. Man wollte in ideeller Weise sozusagen eine Villa für die Musik im Lande installieren."
    Alexander Huelshoff ist seit 5 Jahren Künstlerischer Leiter der Villa Musica, die inzwischen zweifach verortet ist: Organisationssitz ist seit 1987 eine Jugendstil-Villa in Mainz – die eigentliche Probenarbeit der Stipendiaten aber findet seit 1995 auf Schloss Engers in Neuwied statt. Dort sind die jungen Musiker dann auch untergebracht, um ihre Projekte jeweils eine Woche lang in Ruhe zu erarbeiten – bei dem Pianisten-Urgestein Menahem Pressler etwa. Der Begründer des legendären Beaux Arts Trios war vor zwei Jahren hier, damals schon 90 Jahre alt.
    "Er war kurz vorher gestürzt und hatte sich verletzt und musste daher immer im Rollstuhl zur Probe gefahren werden. Da musste man aufpassen, dass der Stuhl weich genug ist und so weiter. Und wir hatten ihn zusammengebracht mit dem Schumann Quartett, die ja unglaublich sensibel sind und sich auf die Situation ganz toll eingestellt haben. Er wurde dann auf die Bühne sozusagen gebracht - und in dem Augenblick, in dem er den ersten Ton gespielt hat, war es zweifelsohne klar, dass er die Sache im Griff hat! Das war wirklich erstaunlich, was für einen Geist, was für eine Kraft er hat!"
    Musik: Brahms, Klavierquintett, op. 34
    Konzertprogramm in Synagogen
    Die Zusammenarbeit mit der israelisch-jüdischen Künstlerszene war der Villa Musica von Anfang an ein wichtiges Anliegen: Shlomo Mintz, Chaim Taub, Pinchas Zukerman waren da – und noch heute richtet die Förderstätte eine eigene Konzertreihe in den Synagogen des Landes Rheinland-Pfalz aus.
    Unter den klangvollen Namen, die sich im Gästebuch der Villa Musica verewigt haben, findet sich auch der Flötist Aurèle Nicolet. Er gab 1995 einen Kurs – und unterrichtete Nachwuchsmusiker, die es offenbar sehr eilig hatten. Karl Böhmer, Geschäftsführer der Villa Musica, erinnert sich:
    "Das war so ein deutsches Quartett – und die haben ihm immer zu sehr nach vorne gespielt. Und dann hat er im Flötenquartett von Mozart gesagt: Wissen Sie, was Napoleon über die Deutschen und Franzosen gesagt hat? Die Franzosen sind und die Deutschen werden! Gehen Sie nicht immer so nach vorne, hat er gesagt. Und solche Geschichten gibt’s halt tausende bei der Villa Musica!"
    Drei Arbeitsphasen gibt es pro Jahr - die Ergebnisse sind dann im prunkvollen Dianasaal auf Schloss Engers, aber auch an weiteren Spielstätten in Rheinland-Pfalz zu hören. Auf drei Jahre ist das Stipendiatenprogramm angelegt - und das umfasst längst nicht nur klassische Kammermusikkonzerte. So gab es in den 1990er Jahren die Gesprächskonzertreihe "Parlando". Eingeladen wurden dazu Komponisten, aber auch Sänger, erinnert Karl Böhmer:
    "Brigitte Fassbaender, die dann erzählt hat, wie sie Karajan zweimal einen Korb gegeben hat, weil sie einfach nicht von ihrer schönen Terrasse in Bayern wegwollte, um in Salzburg als Eboli einzuspringen. Oder Christa Ludwig, die erzählt hat, wie ihre Mutter sie jeden Halbton nach oben getrieben hat – Halbton um Halbton, damit sie diesen riesigen Umfang gekriegt hat, für den sie dann so berühmt war!"
    Ihren Horizont erweitert haben die Nachwuchs-Kammermusiker auch in Projekten mit zeitgenössischen Komponisten und Jazzmusikern – oder in der Kinderkonzertreihe "Spielplatz Villa Musica".
    30 Jahre Fördergeschichte – das sind auch 30 Jahre Erfolgsgeschichten: Zu den jüngsten Stipendiaten, die sich inzwischen einen Namen erspielt haben, zählt das Aris Quartett. Das Frankfurter Ensemble hat gerade erst den 2. Preis beim renommierten ARD-Musikwettbewerb gewonnen. Auch das Schumann Quartett, das hier gefördert wurde, ist mit Konzerten in der ganzen Welt derzeit auf Erfolgskurs. Die Villa Musica kann also eines der sprichwörtlichen Karriere-Sprungbretter sein: Schöne Aussichten für die nächsten 30 Jahre.
    Musik: Brahms, Klavierquintett, op. 34