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Die Tage vor den Tagen

Vor dem Beginn der Menstruation geht es vielen Frauen nicht besonders gut - körperlich wie seelisch. Nimmt das krankhafte Ausmaße an, sprechen Experten von einer prämenstruellen dysphorischen Störung. Das Problem: Viele der Betroffenen bekommen keine Hilfe. Denn Psychiater sind für diese Störung nicht besonders sensibilisiert.

Von Marieke Degen | 27.11.2012
    Viele Frauen kennen und fürchten sie, die Tage vor den Tagen: sie fühlen sich niedergeschlagen, müde, haben Kopf- oder Bauchschmerzen. Doch für manche Frauen wird diese Zeit zu einem regelrechten Horrortrip.

    "Sie sind entweder sehr gereizt, aggressiv, oder sie weinen ständig, sie können schlecht schlafen, sie streiten sich mit Ehemann, schlagen ihre Kinder, tun Dinge, die sie sonst nicht tun."

    Stephanie Krüger ist Psychiaterin und Chefärztin des Zentrums für seelische Frauengesundheit des Humboldt-Klinikums in Berlin.

    "Sie zeigen darüber hinaus auch Veränderungen im Essverhalten, im Sinne von Essanfällen, wo es auch zu Gewichtszunahme kommt, darüber hinaus kommt es zu Lethargie, sogenannter Fatigue-Symptomatiken mit heftiger körperlicher Erschöpfung."

    Die Probleme fangen ein bis zwei Wochen vor der Menstruation an, und hören auf, sobald die Menstruation eintritt. In dieser Zeit ist das Leben der Patientinnen extrem eingeschränkt, den Alltag können sie kaum noch bewältigen. Wenn die Tage vor den Tagen so aussehen, dann sprechen Experten wie Stephanie Krüger von einer prämenstruellen dysphorischen Störung. Die körperlichen Ursachen sind bekannt: Hormone.

    "Man weiß, vereinfacht gesagt, dass die Geschlechtshormone, die sich mit dem Eisprung im Menstruationszyklus verändern, mit dem Gehirn in enger Kommunikation stehen, und dass diese Kommunikation in den Tagen vor den Tagen verändert ist. Und bei den Frauen mit PMDS ist das gravierend verändert."

    Fast jede 20 Frau im gebärfähigen Alter leidet an einer PMDS, die so schwer ist, das sie eigentlich behandelt werden müsste. Aber: dreiviertel dieser Frauen werden nicht behandelt.

    "Meistens ist die erste Anlaufstelle der Gynäkologe, der kann damit aber auch nichts richtiges anfangen, schickt die Patientin entweder dann wieder nach Hause oder im günstigsten Fall zum Psychiater, und da muss man dann schon sagen, dass die meisten Psychiater das nicht auf ihrem täglichen diagnostischen Schirm haben."

    Für die Frauen kann das schwerwiegende Folgen haben.

    "Also Frauen mit PMDS haben ein höheres Risiko, eine Wochenbettdepression zu bekommen, wenn sie sich für ein Kind entscheiden, es gibt auch Hinweise darauf, dass in den Wechseljahren Depressionen häufiger auftreten, wenn man vorher PMDS gehabt hat, und natürlich kann sich auf ein PMDS auch eine waschechte Seelische Erkrankung im Sinne einer Depression oder Angsterkrankung noch draufsetzen."

    Dabei lässt sich eine PMDS, wenn sie erst einmal erkannt ist, gut in den Griff bekommen. Manche Frauen profitieren schon von Sport oder einer anderen Ernährung. Andere brauchen zusätzlich Medikamente – die Pille zum Beispiel.

    "das müssen Pillenpräparate sein, die bestimmte Hormonzusammensetzungen haben denn so herkömmliche Pillenpräparate, auch ältere Pillenpräparate, können PMDS verschlimmern."

    Eine andere Möglichkeit: spezielle Psychopharmaka, die die Frauen nur während der Tage vor den Tagen einnehmen. Und dann, wenn es ihnen besser geht, wieder absetzen.

    "Das sind sogenannte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, die man bei Depressionen einsetzt und auch bei Angsterkrankungen, aber bei PMDS eben in viel niedrigeren Dosierungen und eben über einen sehr kurzen Zeitraum."

    Die PMDS wird zwar im neuen Diagnose-Handbuch für Psychiater aufgeführt und ist damit als psychiatrische Diagnose anerkannt. Doch sie ist noch nicht sonderlich in das Bewusstsein der Ärzte vorgedrungen. Das Zentrum für seelische Frauengesundheit in Berlin, das Stephanie Krüger leitet, ist das einzige seiner Art in ganz Deutschland. Frauen, die Hilfe suchen und nicht in Berlin wohnen, sollten erstmal ins Internet gehen.

    "Ich würde empfehlen, dass Patientinnen einfach mal in ihrem Wohnort googeln und sehen, wer sich mit der Symptomatik beschäftigt. Das sind dann häufig Psychiater mit einem Zusatzinteresse an geschlechtsspezifischer Medizin."