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Die Tiger sind los

Zum 40. Mal fand das internationale Filmfestival in Rotterdam statt, in dessen Fokus die Verleihung des alljährlichen Tiger-Awards stand. Dieser Preis wird an jungen Filmemachern aus aller Welt verliehen.

Von Josef Schnelle | 06.02.2011
    Rotterdam hat den drittgrößten Hafen der Welt. Es gibt da alles Mögliche, nur Tiger werden wohl kaum durch die Containerhäfen bis hin zum Saftterminal streifen, in dem gigantische Mengen von Orangensaft aus Brasilien jeden Tag in großen Tankschiffen angeliefert werden. Trotzdem ist der Tiger, reichlich stilisiert zum kargen Piktogramm, das Symbol des Filmfestivals von Rotterdam, das in den letzten Tagen zum 40. Mal stattgefunden hat. Das Tigersymbol wird allerdings überlagert von der großen bunten Buchstabenkombination XL, was nicht nur bedeuten soll, dass das Festival mit einem gigantischen Angebot von Reihen und Sonderveranstaltungen - also Extra-Large - aus allen Nähten platzt. XL ist steht auch römische Ziffernkombination für die Zahl 40. Es werden Red Western gezeigt, die sich der John Ford-Verehrer Josef Stalin von seiner Filmindustrie gewünscht hatte und Filmprogramme von Grenzgängern der Filmkunst.

    Der 500-seitige Katalog präsentiert ein gigantisches Programm in dessen Zentrum der Wettbewerb um den renommierten "Tiger-Award" mit seinen 14 Filmen von jungen Filmemachern aus aller Welt ist der kleinste aber dennoch der wichtigste Bestandteil des Festivals. Im Mittelpunkt der diesjährigen Programmauswahl steht eindeutig Asien, wo sich in Japan, Süd-Korea und Sri-Lanka ganz neue Filmtalente auch an neuen Formen erproben. Die Jury würdigte das. Zwei der drei Tiger gingen nach Asien. In "The Journals of Musan" erzählt Regisseur Park Jun-Bum auf anrührende Weise von Flüchtlingen aus Nord-Korea und ihren Schwierigkeiten in der Gesellschaft Süd-Koreas Fuß zu fassen. Der geschlossenste und ästhetisch überzeugendste Film kam aber wie schon der Cannes-Gewinner von Apichatpong Weerasetakul aus Thailand. "Tee Rak" - Ewigkeit von Sivaroij Kongsakul ist eine philosophische Meditation in einfachen Bildern, die Transzendenz atmen. Das Hier-und-Jetzt, die Vergangenheit und das Leben nach dem Leben fließen zusammen. Ein Boot befährt einen See. Die große Liebe für ein ganzes Leben entfaltet sich und ein alter Mann trauert seiner Frau nach. Große Bilder, karge Dialoge und stilistische Strenge zeichnen diesen Film der Neuen Welle aus Thailand aus, von der man noch viel hören wird und die mit dem Tiger-Award wieder einen großen Erfolg feierte.

    "Wie geht's?" ich muss dir was wichtiges erzählen. Und ich wollte nicht auf die Mailbox draufsprechen. Also hab ich gedacht. ich mach n Video und schick's Dir."

    Auch einen Deutschen Beitrag gab es im Tiger-Wettbewerb. "Headshots" - von dem in Berlin lebenden Amerikaner Lawrence Tooley in deutsch gedreht - ist ein Psychodrama um das Leben einiger Mitdreißiger in der Modebranche. Die Geschichte entfaltete sich, als die Hauptfigur Marianne entdeckt, dass sie schwanger ist. Nun gibt es auf einmal eine Alternative zum Wettrennen um die besten Photoshooting-Deals, deren Zynismus, der Film ganz gut auf den Punkt bringt:

    "Frau: "Echt findest du? Also für mich ist das voll der Praktikantenladen."
    Mann: "Fettarsch, Fettarsch, junkie."
    Frau: "Hab ihr sie schon gesehen."
    Mann: "Keine Titten"
    Frau: "Viel zu dürr. Das mit dem dürr da müssen wir echt aufpassen. Das ist zu gefährlich."

    Viel Wirbel gab es um den griechischen Film "Wasted Youth" von Argyris Papadimitropoulos und Jan Vogel, der ein Stimmungsbarometer zur Vorgeschichte der Athener Jugendunruhen vorlegte. Die Geschichte eines ziellosen Jugendlichen, der morgens Skateboard fährt und Nacht mit seinen Freunden bis in Koma-Saufen feiert, wird konfrontiert mit der Story eines Polizisten, den sein Dauerfrust in eine gefährliche Lethargie versetzt. Ganz nah an seinen Figuren gelingt dem Film die Erzeugung einer beklemmenden Atmosphäre, die irgendwann explodieren muss. Seit langem wieder ein vollkommen überzeugender und eindrucksvoller griechischer Film, der auf einer Überwindung der Krise auch im griechischen Autorenfilm, andeuten könnte. Das Rotterdam-Filmfestival besteht nicht nur aus seinen Filmprogrammen.

    Ein ganz wichtiger Bestandteil ist der Cinemart, die Mutter aller Projektmärkte, der zum 28.Mal die obere Etage des Festivalzentrums mit größtenteils europäischen Produzenten bevölkerte. Hier ist die Idee entstanden, gezielt Produzenten mit möglichen Koproduzenten zusammen zu bringen, die in vorweg organisierten Einzelgesprächen ausloten, ob es zu einer Zusammenarbeit kommen kann. Diese gute Idee von Rotterdam hat inzwischen so sehr Schule gemacht, dass fast alle großen Festivals solche Projektmärkte anbieten. Der Cinemart hat also sein Alleinstellungsmerkmal verloren. Noch lebt er ganz gut davon, die erste und älteste Veranstaltung dieser Art zu sein. Doch ein paar Tage später wartet die Berlinale mit ihrem Projektmarkt auf. Da verzichtet so mancher auf den Abstecher nach Rotterdam. Mit diesem Problem wird sich auch die nächste Ausgabe des Festivals beschäftigen müssen, das dann nicht mehr XL nicht mehr 40 und nicht mehr Extra-Large sein wird.