Freitag, 19. April 2024

Archiv


Die Tochter des Bürgermeister

Georges Duby: Mütter, Witwen, Konkubinen Frauen im 12. Jahrhundert Aus dem Französischen von Grete Osterwald S. Fischer Verlag, 1997, 236 Seiten Preis: 34 Mark

Marie-Luise Bott | 21.01.1998
    Steven Ozment. Die Tochter des Bürgermeister Die Rebellion einer jungen Frau im deutschen Mittelalter Deutsch von Petra Post und Andrea von Struve Rowohlt Verlag, Reinbek 1997, 329 Seiten Preis: 45 Mark

    Die neuere historische Forschung ist sich einig darin, daß sich die Geschichte der Frauen einfachen Stereotypen und Erklärungsmustern entzieht. Es ist reizvoll, zwei Neuerscheinungen zu diesem Thema zu vergleichen, deren methodische Ansätze nicht verschiedener sein könnten. Das ist zum einen "Mütter, Witwen, Konkubinen. Frauen im 12. Jahrhundert", denen sich der Großmeister der französischen Geschichtswissenschaft Georges Duby gewidmet hat. Zum anderen handelt es sich um einen dramatischen Rechtsfall aus dem 16. Jahrhundert, den der amerikanische Historiker Steven Ozment vor uns ausbreitet: "Die Tochter des Bürgermeisters. Rebellion einer jungen Frau im deutschen Mittelalter."

    Duby bevorzugt den imaginativen Essay, den er geradezu leichthin und stilsicher beherrscht. Ozment hebt detailreiche Rechtsakten ans Licht und läßt die Fakten weitgehend für sich sprechen. Er nennt die Geschichte der Bürgermeisterstochter Anna "phantastischer als jeden Roman".

    Duby benötigt keine spannungssteigernden Vergleiche, um seine Leser zu fesseln. Mit Nonchalance geht er den Anfängen einer "Emanzipationsentwicklung" der Damen aus flandrischem und normannischem Adel nach, ohne je vorgeprägter Emazipationsrhetorik folgen zu müssen.

    "Mütter, Witwen, Konkubinen" ist der zweite Band der Trilogie "Frauen im zwölften Jahrhundert", die aus Dubys Nachlaß ediert wird. Bezeichnenderweise spricht der französische Originaltitel weniger vordergründig als der deutsche vom "Erinnern der Ahnen": "Le souvenir des aieules".

    Um überhaupt Porträts von "real existierenden" Frauen dieser frühen, absolut von Männern dominierten und wenig verschriftlichten Zeit entwerfen zu können, mußte Duby auf exklusive Quellen zurückgreifen: auf jahrhundertelang als buchkünstlerische Preziosen gehütete Familienchroniken des mittelalterlichen Hochadels der Normandie, von schreibkundigen Mönchen gesammelt und über lange Zeit hin fortgeschrieben. In diesem Spiegel treten neben den überdeutlichen Herrscherfiguren die Frauenqestalten nur blaß und gelegentlich hervor. Aber immerhin doch so, daß ihre Persönlichkeit für einen Duby erahnbar wird.

    Duby schaut mit wechselnder Perspektive in diesen Spiegel. Er nähert sich seinem Gegenstand unter quellenkundlichen und interpretatorischen Aspekten. Er begibt sich in den Blickwinkel dessen, der die Chronik verfaßte, erwägt die Funktion einer solchen Chronik und ergründet die Motive der adligen Auftraggeber, der Grafen von Guines und der Herren von Ardres. Dieser Wechsel der Perspektive bedingt einige Wiederholungen, denen der Leser williger folgt, wenn er sie als literarisches Stilmittel hinnimmt.

    Welche Rolle den Frauen innerhalb des Feudaladels zukam, welchen Platz sie einzunehmen hatten, welche Macht ihnen zugestanden wurde, welchen Einfluß sie erringen konnten, hing im wesentlichen von drei Dingen ab: ihrer genealogischen Herkunft, ihrem materiellen Besitz und ihrem biologischen Lebensalter. Es ist das Verdienst von Duby, nicht nur auf die Abhängigkeiten dieser Statusebenen hingewiesen zu haben, sondern auch auf die Konsolidierung einer immateriellen Machtebene, die den Frauen dieser Zeit zuwuchs: Sie wurden geehrt und wertgehalten als die Ahninnen und Schutzpatroninnen eines Geschlechtes, sie wurden für fähig gehalten, Körper zu heilen und Seelen zu retten, sie wurden gewürdigt und verehrt als die Lebensspendenden.

    350 Jahre später, in der freien Reichsstadt Hall in Schwaben, verteidigt eine junge Frau ihr Recht gegen ihren Vater, ihre Geschwister und die gesamte Bürgerschaft der Stadt. 18 Jahre dauert der erbittert geführte Rechtsstreit. Er endet erst 1552 mit dem Tod der Bürgermeisterstochter Anna Büschler. Der Aufsehen erregende Streit ist gut durch die Rechtsakten dokumentiert. Und auch die Lebensbedingungen der Zeit sind uns ungleich näher als die gesellschaftlichen und spirituellen Gegebenheiten des Hochmittelalters.

    Was war einer Frau am Beginn der Neuzeit möglich, die ihr Recht suchte gegen eine ihr feindlich gesonnene Umwelt? Immerhin gab es im Heiligen Römischen Reich Gerichte, die auch eine "unbotmäßige" Frau, wie Anna Büschler es war, in ihrer Not anrufen konnte.

    Anna Büschler hatte längst das heiratsfähige Alter erreicht, als sie von ihrem jähzornigen Vater, einem der angesehensten Bürger von Schwäbisch Hall, aus dem Haus gejagt wurde. Ihre Liebschaften paßten nicht in seine Lebenspläne. Nach dem Tod seiner Frau ließ er sich von der Tochter den Haushalt führen. Längere Zeit ahnte er nichts von der Liebesbeziehung, die seine Tochter zu einem Adligen derer von Limpurg unterhielt. Doch diese Liebe hatte keine Zukunft, so daß Anna Büschler auch eine Liebschaft mit Daniel Treutwein, einem Angehörigen des niederen Adels, begann.

    Annas Briefwechsel mit den beiden Männern fällt dem Bürgermeister in die Hände, und er verstößt seine Tochter. Sie findet in Rothenburg ob der Tauber bei Verwandten ihrer Mutter Unterkunft und fordert, aus vermeintlich sicherem Abstand, Unterhalt von ihrem Vater. Der aber, von seinem Zorn geblendet, folgt ihr, führt sie gefesselt in sein Haus nach Schwäbisch Hall und kettet sie dort an einen eichenen Tisch. Erst nach einem halben Jahr kann Anna Büschler sich befreien. Sie flieht und findet notdürftig Unterschlupf an verschiedenen Orten. Die grausame Demütigung wird sie nie überwinden. Fassungslos ist sie darüber, daß die Haller Bürgerschaft die Untat ihres Vaters ignorieren konnte und nicht mäßigend eingriff. Sie verklagt ihren Vater und den gesamten Haller Rat beim Reichskammergericht in Eßlingen, der damals höchsten richterlichen Instanz.

    Damit kommt ein Prozeß in Gang, der mehrere Gerichte auf Jahre hinaus beschäftigt und die Geduld aller Beteiligten über Gebühr strapaziert. Um ihre Existenz zu sichern, klagt Anna ihr väterliches und mütterliches Erbteil ein. Auf dem Hintergrund der Kleinstaatlichkeit und der verwirrenden Zuständigkeiten verschiedener Gerichte beginnt ein Kompetenzgerangel, bei dem keine Seite zu einem befriedigenden Ergebnis gelangt. Die verwickelten Rechtsvorgänge werden von Steven Ozment hinreichend transparent gemacht. Er formt aus dem Fall der Anna Büschler eine Erzählung, die sich eng an das hält, was die Rechtsquellen zu bieten haben. Neues Licht auf die Eltern-Kind-Beziehungen oder die Geschlechterverhältnisse zu werfen, gelingt Ozment allerdings nicht. Gleich Duby interpretiert Ozment die Vorgänge aus dem Blickwinkel der jeweils Beteiligten: der Liebhaber, des Vaters, der Geschwister und der Zeugen, die vor Gericht aussagen. Doch im Gegensatz zu Duby formen sich seine Erwägungen nicht zu neuen Erkenntnissen. Daß die hartnäckige, kämpferische Natur Anna Büschlers bei Gericht schließlich dazu führte, daß sie nicht ganz leer ausging und ihre Mitbürger darin bereits ein übertriebenes Entgegenkommen sahen, ist das etwas trockene Fazit, das der Autor in seinem Schlußkapitel zieht. Ehrenwert ist allerdings, wie er eine Lanze für seine Protagonistin bricht: "Schon immer haben sich Menschen bleibende seelische Wunden beigebracht. Das einzig Tröstliche daran ist, daß es Menschen gibt, die eine solche Kränkung nicht wortlos hinnehmen. Wütender Protest, beißender Spott, ein trotziges Aufbegehren zeichnet eine kämpferische Natur aus und unterscheidet sie von jenen, die sich widerstandslos ihrem Schicksal ergeben. Anna gab sich nicht geschlagen und ging stolz und selbstbewußt von dieser Welt".

    Gleich Duby interpretiert Ozment die Vorgänge aus dem Blickwinkel der jeweils Beteiligten: der Liebhaber, des Vaters, der Geschwister und der Zeugen, die vor Gericht aussagen. Doch im Gegensatz zu Duby formen sich seine Erwägungen nicht zu neuen Erkenntnissen. Daß die hartnäckige, kämpferische Natur Anna Büschlers bei Gericht schließlich dazu führte, daß sie nicht ganz leer ausging und ihre Mitbürger darin bereits ein übertriebenes Entgegenkommen sahen, ist das etwas trockene Fazit, das der Autor in seinem Schlußkapitel zieht. Ehrenwert ist allerdings, wie er eine Lanze für seine Protagonistin bricht: "Schon immer haben sich Menschen bleibende seelische Wunden beigebracht. Das einzig Tröstliche daran ist, daß es Menschen gibt, die eine solche Kränkung nicht wortlos hinnehmen. Wütender Protest, beißender Spott, ein trotziges Aufbegehren zeichnet eine kämpferische Natur aus und unterscheidet sie von jenen, die sich widerstandslos ihrem Schicksal ergeben. Anna gab sich nicht geschlagen und ging stolz und selbstbewußt von dieser Welt".