Freitag, 19. April 2024

Archiv


Die Tragik der Komödie

Heinrich von Kleist hat kein einziges seiner Dramen auf der Bühne gesehen. Auch bei der Uraufführung von "Der zerbrochne Krug" am 2. März 1808 am Weimarer Hoftheater war er nicht dabei - als hätte er das Debakel geahnt. Abgeschmackt und langweilig, lautete das Urteil des Publikums über das Stück, das heute zu den meistgespielten deutschen Komödien gehört.

Von Eva Pfister | 02.03.2008
    "In meinem Zimmer hing ein französischer Kupferstich 'la cruche cassée’. In den Figuren desselben glaubten wir ein trauriges Liebespärchen, eine keifende Mutter mit einem zerbrochenen Majolika-Kruge, und einen großnasigen Richter zu erkennen. Für Wieland sollte dies Aufgabe zu einer Satyre, für Kleist zu einem Lustspiele, für mich zu einer Erzählung werden. Kleists 'zerbrochner Krug’ hat den Preis davongetragen",

    so berichtete Heinrich Zschokke von jenem "poetischen Wettkampf" unter Freunden, der Heinrich von Kleist zu seinem bekanntesten Lustspiel anstiftete.

    "Seht ihr den Krug? - Oh ja, wir sehen ihn! – Nichts seht ihr, mit Verlaub. Die Scherben seht ihr. Der Krüge schönster ist entzweigeschlagen!"

    Es war der Dorfrichter Adam, der diesen Krug zerbrach, als er aus Eves Kammer floh, weil deren Verlobter Ruprecht hinter ihm her war. Nun muss er selbst den Fall untersuchen, und das ausgerechnet im Beisein eines Justizrats, der zur Revision angereist war.

    "Sprecht nicht mit den Parteien, Herr Richter Adam, vor der Session. Hier setzt Euch und befragt sie!"

    "Der zerbrochne Krug" ist heute das meistgespielte Stück von Heinrich von Kleist und wird gerne auch als Hörspiel gesendet, wie diese neue Produktion des Mitteldeutschen Rundfunks. Aber zu seinen Lebzeiten hatte Kleist damit ebenso wenig Erfolg wie mit seinen anderen Dramen.

    Die Uraufführung fand am 2. März 1808 am Weimarer Hoftheater statt unter der Leitung von Johann Wolfgang von Goethe. Beste Bedingungen, würde man annehmen, aber Goethe hatte schon nach der ersten Lektüre des Stückes Zweifel geäußert:

    "'Der zerbrochene Krug' hat außerordentliche Verdienste, und die ganze Darstellung dringt sich mit gewaltsamer Gegenwart auf. Nur schade, dass das Stück auch wieder dem unsichtbaren Theater angehört."

    Mit dem "unsichtbaren Theater" meinte Goethe die dramaturgische Form des Enthüllungsdramas, in dem nach und nach ein vergangenes Geschehen ans Licht kommt. Das Vorbild dafür war "König Ödipus" von Sophokles - auch für Kleist, denn nicht zufällig hat sein Dorfrichter einen Klumpfuß wie Ödipus und ermittelt wie dieser gegen sich selbst. Aber im Unterschied zum Helden der antiken Tragödie weiß Adam genau, dass er der Schuldige ist. Seine Versuche, den Hals aus der Schlinge zu ziehen, machen ihn zur komischen Figur:

    "Steht im Gesetzbuch nicht titulo, ist quarto? Oder quinto? Wenn Krüge oder sonst, was weiß ich? Von jungen Bengeln sind zerschlagen worden, So zeugen Töchter ihren Müttern nicht?
    WALTER: In eurem Kopf liegt Wissenschaft und Irrtum, geknetet, innig wie ein Teig, zusammen."


    Heinrich von Kleist war zur Zeit der Uraufführung etwas über 30 Jahre alt und durch vielfaches Scheitern seiner Lebensentwürfe in seinem Selbstvertrauen nachhaltig erschüttert. Als er Goethe Auszüge aus dem neuen Drama "Penthesilea" schickte, begann er seinen Brief mit dem berühmt gewordenen Satz:

    "Es ist auf den 'Knien meines Herzens’, dass ich damit vor Ihnen erscheine."

    Und Kleist versäumte nicht, die Bühnentauglichkeit seiner Stücke gleich selbst in Frage zu stellen:

    "Es ist übrigens ebenso wenig für die Bühne geschrieben als jenes frühere Drama: 'Der Zerbrochne Krug’, und ich kann es nur Eurer Exzellenz gutem Willen zuschreiben, mich aufzumuntern, wenn dies letztere gleichwohl in Weimar gegeben wird."

    Goethe gelang es nicht, Kleist aufzumuntern. Er teilte das Drama in drei Akte auf, kürzte zwar die Dialoge, ließ aber den langen Schluss stehen, in dem Eve das Geschehen ausführlich rekapituliert. Zudem wurde vor dem "Zerbrochnen Krug" noch eine Oper gegeben, so dass der Abend recht lang wurde, wie der Korrespondent der Leipziger "Allgemeinen Deutschen Theater-Zeitung" vom 11. März 1808 genüsslich beklagte:

    "Aus dem scheuen Schweigen der Tochter, der Verlegenheit und den Wunden des kahlköpfigen Dorfrichters errathen wir sogleich, daß nur er am Abend unter irgend einem Vorwande bey Jungfer Even gewesen; aber hilf Himmel, hilf! nun müssen wir noch den zweyten und den eine Stunde währenden, dritten Akt, alles ein einziges Verhör, mit anhören. …Dem Publikum gereicht es zur Ehre, daß es, am Ende des Stückes (was ich nie hier erlebte) wirklich pochte."

    Das höfische Publikum hatte das Stück außerdem als derbes Bauerntheater missverstanden. Erst die Nachwelt begann man den Witz und den tieferen Sinn dieser sozialkritischen Tragikomödie zu schätzen.