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Die Türkei in der NATO
Ein relevanter Bündnispartner

Seitdem sie in Nordsyrien einmarschiert ist, steht die Türkei in der Kritik ihrer NATO-Partner. Ihre Mitgliedschaft wurde mehrmals von Konflikten begleitet – bisher ohne Sanktionen, meint der Journalist Gunnar Köhne, denn die Türkei sei geopolitisch ein wichtiger Partner.

Gunnar Köhne im Gespräch mit Christoph Schäfer | 24.10.2019
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei einem NATO-Treffen in Brüssel im Mai 2017.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bei einem NATO-Treffen in Brüssel im Mai 2017. (AFP/ Thierry Charlier)
Christoph Schäfer: In Brüssel treffen sich die Verteidigungsminister der NATO-Mitglieder und sprechen über die Situation in Nordsyrien. Unter anderem will die deutsche Amtsinhaberin Annegret Kramp-Karrenbauer heute für eine UN-Mission in der Region werben.
Vor zwei Wochen ist das NATO-Mitglied Türkei in den Norden Syriens einmarschiert, um die von ihr als Terrororganisation angesehene Kurdenmiliz YPG zu verdrängen. Diese Militäroffensive ist auch während der anhaltenden Waffenruhe innerhalb der NATO umstritten. Das wirft auch die Frage auf, wie die Türkei überhaupt zum NATO-Mitglied wurde und wie wichtig sie für das Verteidigungsbündnis nach wie vor ist. Darüber spreche ich jetzt mit meinem Kollegen Gunnar Köhne in Berlin, der für uns regelmäßig aus und zur Türkei recherchiert. Herr Köhne, die Türkei steht in der Kritik seiner Bündnispartner. Wie geht das Land damit um?
Gunnar Köhne: Ja, man reagiert empört, aber auch in der Bevölkerung. Wenn man Umfragen glauben soll, dann ist das Verhältnis zwischen der NATO und der Türkei ohnehin ziemlich zerrüttet. Die NATO hat in der türkischen Bevölkerung nur eine Zustimmung von 23 Prozent. Drei Viertel aller Türken halten die USA für den Hauptfeind des Landes. Das sind Umfragewerte aus dem Jahr 2017. Und man kann annehmen, dass die Zahlen heute noch viel schlechter werden. Was die Regierung betrifft, vor allen Dingen den Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, der kokettiert immer mal wieder, wenn es heftige Kritik gibt aus dem Westen, mit einem Austritt aus dem Bündnis. Er fühlt sich sehr oft ungerecht behandelt. Er beklagt, dass sich einzelne NATO-Partner in die inneren Angelegenheiten des Landes einmischen, dass er nicht genug Unterstützung bekommen hat vor drei Jahren, bei der Abwehr des Staatsstreiches, des Putschversuchs, und aktuell natürlich beklagt er, dass es vonseiten der NATO nicht genug Unterstützung in dem Kampf gegen den Terror, namentlich gegen die kurdischen militanten Gruppen, gibt.
Schäfer: Bei all dieser Unzufriedenheit - blicken wir mal zurück -, wie ist die Türkei überhaupt zu einem NATO-Mitglied geworden?
Die Türkei ist strategisch wichtig für die Nato
Köhne: Relativ früh. Schon 1952 ist die Türkei beigetreten. Damals lief der Kalte Krieg ja schon ziemlich heiß. Die USA wollten unbedingt, dass die Türkei dabei ist. Und auch in Ankara hat man relativ schnell erkannt, dass es in diesem Konflikt für die Türkei keine Alternative wäre, neutral zu bleiben. Man hatte 600 Kilometer direkte Landgrenze zur Sowjetunion, und im Schwarzen Meer stand die hochgerüstete Schwarzmeerflotte der UdSSR. Also, der Beitritt war wenig politisch umstritten in Ankara. Hinzu kam, dass die türkische Armee damals in einem jämmerlichen Zustand war. Und vor allem die Generäle haben erkannt, dass sie diese Armee nur aufrüsten und modernisieren konnten mithilfe der NATO, vor allen mithilfe der USA. Das ist dann ja auch gelungen. Und schließlich gab es noch eine innenpolitische Komponente in der Türkei: Es gab auch damals eine antikommunistische Hysterie in der Türkei. Und das traf vor allem linke Studenten und Intellektuelle. Und man wollte mit dem NATO-Beitritt auch den vermeintlichen innenpolitischen Einfluss der Sowjetunion zurückdrängen.
Schäfer: Also, die Türkei hat von ihrem Beitritt in die NATO profitiert. Welche Relevanz hat das Land in dem Verteidigungsbündnis?
Köhne: Die Relevanz ergibt sich aus einem Blick auf die Landkarte: im Norden das Schwarze Meer, gegenüber der Türkei die Krisenregion Ukraine und Krim, im Osten die Grenze zum immer noch relativ unruhigen Kaukasus, zum Iran und zu den kriegerischen arabischen Anrainern Irak und Syrien. Und dann schließlich Ägäis und Mittelmeer. Und da hat das Bündnis ja auch Interessen zu verteidigen. Die Bedeutung der Türkei für die NATO ergibt sich auch aus den zahlreichen NATO-Einrichtungen, die sich inzwischen in der Türkei befinden. Da wäre zum Beispiel die Luftwaffenbasis Incirlik im Südosten des Landes, wo die USA sogar Atomwaffen bunkern. In Izmir ist das Hauptquartier der NATO-Landstreitkräfte. In Istanbul gibt es eine Kommandozentrale und viele andere Einrichtungen mehr.
"Aus dem NATO-Hauptquartier höchstens Ermahnungen"
Schäfer: Also, NATO und die Türkei selbst ziehen einen Nutzen bisher aus der türkischen Mitgliedschaft. Das klingt eigentlich danach, dass die Beziehungen zwischen beiden, zwischen NATO und Türkei, bisher eine gute war.
Köhne: Nein, die waren immer wieder von Krisen begleitet diese Beziehungen. Man erinnere an die Teilbesetzung Zyperns 1974. Dann gibt es die permanenten Reibungen mit dem Nachbarn und NATO-Partner Griechenland. Es gab die Militärputsche 1960 und 1980. Dann gab es den zuletzt gescheiterten Putschversuch vor drei Jahren und die anschließenden Säuberungen auch. Dabei sind ja 30.000 Offiziere und Soldaten aus dem Dienst entfernt worden - darunter auch viele, die in NATO-Einrichtungen gearbeitet hatten. Und zuletzt eben zum Beispiel diese Syrien-Offensive vor wenigen Wochen - das hat alles jedes Mal zwar zu einer starken Kritik einzelner NATO-Partner geführt, aber insgesamt, aus dem NATO-Hauptquartier, gab es immer nur höchstens Ermahnungen. Und das zeigt eben, dass die Türkei geopolitisch und strategisch für das Bündnis unverzichtbar ist.
Schäfer: Sagt mein Kollege Gunnar Köhne. Vielen Dank nach Berlin!