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Die Türken kommen!

Vor einem Jahr erschien Feridun Zaimoglus Roman "Leyla", die Geschichte eines Mädchens aus Ostanatolien, Spielball zwischen väterlicher Gewalt und mütterlicher Zärtlichkeit, materieller Armut und innerem Reichtum, brechender Tradition und schmerzlichem Exil. Nun erlebte "Leyla" auf den Brettern des Potsdamer Hans Otto Theaters eine Uraufführung, in der Regie von Anne-Sylvie König und Yüksel Yolcu. Zeitgleich wurde eine Theaterversion von Fathi Akins Film "Gegen die Wand" auf der Studiobühne des Maxim Gorki-Theaters in Berlin uraufgeführt, inszeniert von Mathias Huhn.

Von Hartmut Krug | 16.02.2007
    Nur mit blütenweißer Unterwäsche bekleidet, liegen ein Mann und eine Frau wie schlafend auf einem Steinhaufen. Aus zwei Boxen dröhnen rhythmische Geräusche auf sie ein. Erst steht der Mann auf, zertrümmert einen Lautsprecher und legt sich wieder nieder, dann macht es ihm die Frau nach, und schließlich bemerken sich die beiden: "Hei", sagt sie, und kommt mit diesem Begrüßungswort auf die Frage "Heiraten, willst Du mich heiraten?" Und dann geht sie los, die schwierige Beziehung zwischen zweien, die nach gescheiterten Selbstmordversuchen eine Schein-Ehe eingehen. Sie will viel ficken, aber nicht mit ihm, er will viel trinken. Schon steckt sie im weißen Hochzeitskleid und er im schwarzen Anzug, eine Ehe als Schutz gegen gesellschaftliche Zwänge beginnt. Drei Schauspieler, ein vierter wurde vor der Premiere krank, und zwei an die Rückwand des kleinen Studios des Berliner Maxim Gorki Theaters gelehnte Spiegel sind alles, was Regisseur Matthias Huhn braucht, um Fatih Akins Film "Gegen die Wand" auf die Bühne zu bringen. Allerdings wird in der Theaterfassung von Armin Petras die Geschichte um ihren Kern gebracht: von der Lebenswelt und den Lebenswünschen zweier türkischer Migranten ist nichts mehr übrig. Stand im Zentrum des Films eine junge Türkin, die gegen den Ehrenkodex ihrer nach Berlin gezogenen anatolischen Familie um ein auch sexuell selbstbestimmtes Leben kämpft, so ist am Maxim Gorki Theater nur noch eine moderne junge Frau irgendwie auf der Suche nach sich und ihren Wünschen. Geschrumpft auf eine zeit- und ortlose amour fou mit einem weder sozial verorteten noch psychologisch begründeten Beziehungskampf um Liebe, Sex und Selbstbestimmung, wird der schauspielerisch brillante Abend zu harmloser Unterhaltung. Man möchte meinen, die Theaterleute setzten voraus, dass die Zuschauer die Filmvorlage kennen, denn nur dann ist die Bühnenversion wirklich zu verstehen. Ein Zuschau-Vergnügen bietet die Aufführung in jedem Fall: wie hier vor allem Anika Baumann, aber auch Peter Moltzen und Anne Ratte-Polle mit sensibler körpersprachlicher und mimisch gestischer Virtuosität drei Menschen auf der Suche nach sich und einander spielen, das ist furios. Meist stehen sie einfach nebeneinander, und dann, aus dem Stand heraus, werden Beziehungen hergestellt und ausgespielt. Eine Stunde Schauspieler-Theater-Theater, menschlich, komisch und existentiell.

    Während "Gegen die Wand" in dieser Bühnenversion um alles "Türkische" gebracht wurde, verfehlt die Potsdamer Bühnenversion von Feridun Zaimoglus Roman "Leyla" das "Türkische" gerade mit einem Übermaß von folkloristischem Kolorit. Die Geschichte von Leyla, die mit ihrer vom gewalttätigen Vater gepeinigten Familie aus einer ostanatolischen Kleinstadt erst nach Istanbul und schließlich nach Deutschland gelangt, schildert bei Zaimoglu den Prozess einer Emanzipation und einer Entwurzelung aus einer archaischen Welt voller Enge und Unterdrückung. Während Zaimoglus fast sechshundertseitiger Roman in tausend Farben und Details schillert, wenn auch der poetisierende Gestaltungswille des Autors zuweilen nur schwer zu ertragen ist, hat die Bühnenfassung von Dramaturgin Anne-Sylvie König und Regisseur Yüksel Yolcu die mehrschichtige Vorlage so komprimiert, dass es zwar bunt bleibt, aber nur immer eindimensional und klischiert wirkt. Der Vater Leylas tobt und brüllt, der Vater eines Bräutigams strahlt als Gegenbild in stiller und vernünftiger Güte, die jungen Mädchen kichern und albern wie im Heimatfilm der fünfziger Jahre, und die vielen Gruppenszenen wirken, als habe sich der Regisseur Anregungen von Chorszenen aus Operninszenierungen der sechziger Jahre geholt. Anatolisches Türkenland erscheint hier als Märchenland, in der die Menschen so unwirklich wie folkloristisch scheinen. Im eigentlich schönen Bühnenbild der ersten Szenen von Gabriella Ausonio, in dem die Menschen in zauberischer Baumszenerie von Licht und Schatten choreographiert werden, zeigt Regisseur Yüksel Yolcu nur aufgekratztes, derb-lautes Bauerntheater. Alles ist hier bunt, bewegt, grob und veräußerlicht. Während der Roman die Figuren facettenreicher erscheinen lässt, weil sie im mäandernden Erzählstrom nicht immer sofort auf eine Haltung oder eine Wirkung festgelegt werden, wirken die Figuren auf der Bühne nur mehr wie Klischees. Da schreitet ein weiser Irrer im langen Mantel umher und sagt mit viel seelischer Emphase und poetischer Bedeutsamkeit philosophierende Märchen- und Merksätze auf. Und dass eine Lehrerin ihre Schüler mit soldatischer Zucht und einem Lineal drangsaliert, um dann in einer Kurzszene ihre sexuelle Leidenschaft mit einem Schüler heftig zu befriedigen, wirkt in der bieder realistischen Darstellungsweise dieser Inszenierung wie vieles nur peinlich. Der Spielstil der Potsdamer Inszenierung macht uns die Geschichte von Leyla nicht so fremd, dass wir im Fremden das Fremde und unser Verhältnis und Verhalten zu ihm deutlicher sehen, sondern es versimpelt Zaimoglus Geschichte zu einem krachend eindeutigen Folklorespektakel. Dass uns fremd bleibt, weil es letztlich nichts von einer fremden sozialen Wirklichkeit erzählt.

    "Gegen die Wand" im Berliner Maxim Gorki Theater und "Leyla" im Hans Otto Theater Potsdam: zwei aus unterschiedlichen Gründen scheiternde Versuche, Geschichte und Geschichten von türkischen Migranten auf der Bühne zu erzählen.