Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Die türkische Band BaBa ZuLa
Furchtlos in dunklen Zeiten

Das Ensemble BaBa ZuLa um den Psychdelic-Visionär Murat Ertel spielt eine Mischung aus traditionellem anatolischen Folk, Psychedelic Rock, Reggae und Dub. Auf ihrem neuen Album "Derin Derin" zeigt sich die Band von ihrer bislang experimentellsten Seite.

Am Mikrofon: Anke Behlert | 01.11.2019
    Vier Männer stehen mit ihren türkischen Musikinstrumenten auf einem Steinhügel.
    Baba Zula wurden durch den Film "Crossing The Bridge - The Sound of Istanbul" international bekannt. (Emir Sivaci)
    Musik: "Bir Sana Bir De Bana"
    Istanbul - die 15 Millionen-Metropole am Bosporus - ist die Heimat der Band Baba Zula. In dieser lauten, chaotischen und faszinierenden Stadt spürt man an jeder Ecke die lange Geschichte, die vielen Kulturen, die diese Stadt geprägt haben. Die Lage an der Nahtstelle zwischen Ost und West, Asien und Europa und das intensive Aufeinandertreffen von Tradition und Moderne prägen den Charakter Istanbuls. Und sie prägen auch die Musik von Baba Zula, erzählt Bandgründer Murat Ertel.
    Murat Ertel: Das kam bei uns ganz natürlich, wir haben nie darüber gesprochen. Deswegen ist Istanbul so wichtig für uns, dort fließen diese unterschiedlichen Kulturen einfach zusammen. Nur Musik aus einer Kultur, Osten oder Westen, das reicht mir nicht, aber die Kombination mag ich sehr.
    Musik: "Özgür Ruh"
    Baba Zula - das sind neben Murat Ertel noch Perkussionist Ümit Adakale, Oudspieler Periklis Tsoukalas und Levent Akman, der für die elektronischen Sounds zuständig ist. Gegründet haben sie die Band 1996, als Ertel von einem Freund gebeten wurde, Musik für einen Film zu schreiben.
    Ich hatte damals eine Band namens ZeN, mit der haben wir hauptsächlich improvisiert. Mein Freund hat uns seinen Film gezeigt und einige der Bandmitglieder mochten ihn nicht. Mir hat er aber gefallen und ein paar anderen meiner Kollegen auch. Wir haben also die Filmmusik gemacht, aber nicht als ZeN, sondern als Baba Zula. Der Film war ein Erfolg und wir haben danach immer mehr Anfragen für Theater- und Filmmusiken bekommen. Schließlich haben wir auch angefangen, Konzerte zu spielen. Das war der Anfang von Baba Zula.
    Die Musik für den Film mit dem Titel "Tabutta Rövaşata" erscheint 1996 als erstes Baba Zula-Album. Bis heute sind Filmsoundtracks ein wichtiger Teil ihrer Arbeit.
    Musik: "Rövaşata"
    Offenes Elternhaus
    Murat Ertels Begeisterung für Theater, Film und Musik beginnt schon im Kindesalter. Mit fünf Jahren bastelt er selbst Figuren und Puppen und führt damit kleine Theaterstücke auf. Was nicht verwunderlich ist, denn er stammt aus einer Künstlerfamilie. Sein Vater war Grafikdesigner, seine Onkel Comiczeichner und Karikaturisten. Im Haus der Ertels waren Schauspieler, Musiker und Dichter ständige Gäste, darunter zum Beispiel der bekannte Romancier Yaşar Kemal.
    Mein Elternhaus war immer sehr offen. Im Gegensatz zur Politik des Landes. Künstler sind ins Gefängnis gekommen oder wurden umgebracht. Ich war zwar noch klein, aber das habe ich verstanden. Manchmal musste ich wache halten und schauen, ob die Polizei kommt. Währenddessen hat meine Familie Bücher und Briefe verbrannt oder vergraben.
    Musik: "Prom of the fatherless daughters"
    Die Musik von Baba Zula ist einerseits stark vom anatolischen Psychedelic-Rock der 60er und 70er Jahre inspiriert, zum Beispiel von Musikern wie Erkin Koray oder Barış Manço. Türkische Volksmusik ist die andere Säule, auf die sich die Songs stützen. Die Sängerin Selda Bağcan zum Beispiel hat Murat Ertel schon als Kind bewundert. Die populäre Musikerin und Aktivistin ist schon seit den 70er Jahren aktiv. Sie wurde mehrmals festgenommen, hat sich aber nie korrumpieren lassen. Als einige seiner Familienmitglieder im Gefängnis saßen, hat Ertel ihnen Selda Bağcan-Musik geschickt, zur moralischen Unterstützung.
    Musik: "Adaletin Bumu Dünya" Selda Bağcan
    Murat Ertel spürt eine starke Verbindung zu traditionellen Liedern und den alten Meistern seines Instruments - der Saz.
    Die Wurzeln der türkischen Folkmusik gehen viele Jahrhunderte zurück. In dieser Zeit der Schamanen waren die Menschen eins mit der Natur, sie wussten über bestimmte Dinge mehr als wir heute. Das ist eine wichtige Verbindung für mich: musikalisch, kulturell und philosophisch. Und die Saz hat von damals bis heute überlebt. Sie hat die Islamisierung überstanden und wird heute immer noch gespielt. Leute wie Âşık Veysel und Âşık Mahzuni sind meine musikalischen Helden.
    Musik: "Işte gidiyorum çeşmi siyahım" Aşık Mahzuni
    Bei ihren eigenen Stücken brechen Baba Zula mit jeglichen Konventionen - erlaubt ist was gefällt, so kurz oder lang wie man Spaß daran hat. Zwischen fünf Sekunden und 20 Minuten ist alles möglich.
    Musik: " Yavas Orman"
    Spätestens mit dem Film "Crossing the Bridge - The Sound of Istanbul" von Fatih Akin aus dem Jahr 2005 sind Baba Zula auch in Deutschland bekannt geworden. Im Film jammen sie auf einem Segelboot zusammen mit Einstürzende Neubauten-Bassist Alexander Hacke. Aber auch sonst arbeiten Baba Zula mit Musikern aus allen Teilen der Welt zusammen. Regelmäßiger Gast ist zum Beispiel die kanadische Sängerin Brenna Mac Crimmon, außerdem ist die Band unter anderem mit dem einflussreichen Musikproduzenten Mad Professor und dem 2017 verstorbenen Can-Schlagzeuger Jaki Liebezeit aufgetreten.
    Mit Jaki Liebezeit zu spielen war eines der schönsten Erlebnisse für mich. Nach seinem Tod ist diese Erfahrung noch wertvoller für mich geworden und ich habe verstanden wie stark er mich beeinflusst hat. Er war so ein wegweisender Musiker, wusste unfassbar viel über Musiktheorie und Rhythmus und er kannte sich auch sehr gut mit türkischer Musik aus.
    Im letzten Jahr sind Baba Zula mit der Gruppe Drums Of Chaos bei einem Jaki Liebezeit-Tributekonzert aufgetreten.
    Über Nacht hingestellt
    Das Album "Gecekondu" aus dem Jahr 2010 haben Baba Zula nach den illegal entstandenen Vierteln benannt, die aus dem Stadtbild Istanbuls nicht mehr wegzudenken sind. Millionen von Menschen leben dort mehr geduldet als legal am Rande der Metropole. Der Titel "Gecekondu" bedeutet übersetzt etwa "über Nacht hingestellt".
    In Großstädten werden die Häuser immer höher und höher gebaut, die Menschen leben quasi übereinander gestapelt. Diese illegalen "Gecekondus" sind meiner Meinung nach besser für Menschen, Tiere und Pflanzen. Mit dem Album wollten wir das dokumentieren und die Schönheit dieser Art zu leben herausstellen. Wir mögen das sehr.
    Musik: "Kelebekler Kuşlar"
    Das zunehmend restriktiver werdende gesellschaftliche Klima in der Türkei ist natürlich auch an Baba Zula nicht vorbeigegangen. Nichts könnte diesen weltoffenen Freigeistern ferner liegen als Kontrollwahn und breitbeiniger Nationalismus. Wie arbeitet man unter diesen schwieriger werdenden Bedingungen, ohne sich anzupassen? Das Album "XX", das 2016 erschien, wurde nicht von einem türkischen, sondern vom deutschen Label Glitterbeat veröffentlicht. Der Titel ihres gerade erschienenen neuen Albums "Derin Derin" spielt mit ihrem Image als Underground-Band.
    "Derin Derin" bedeutet so etwas wie "tief tief". Denn wir sind schon immer eine Underground-Band gewesen, nur so konnten wir uns überhaupt so lange halten. Aber der Titel hat auch etwas mit der Kunst meines Vaters zu tun. Ich arbeite gerade sein Archiv auf und dabei habe ich ein Bild gefunden von einem türkischen Sänger, der tief unter der Erde liegt. Darüber steht ein Baum. Der steht für mich für die Fruchtbarkeit der Erde, Natur, den Kreislauf von Leben und Tod. Dieses Bild ist das Cover des Albums.
    Musik: "Kervan Yolda"
    Turkish Gothic
    Inspiration haben die vier dieses Mal auch bei Bands wie The Sisters of Mercy gefunden, lacht Murat Ertel. Gothic Rock und türkische Volksmusik sind gar nicht so unvereinbar, wie es zunächst scheint.
    Wir nennen das Turkish Gothic. Gothic Music ist ein bisschen düster aber auch romantisch. Das verbinden wir mit traditioneller türkischer Musik. Klingt ein wenig verrückt, es funktioniert aber ganz gut finde ich.
    Musik: "Kızıl gözlüm"
    Musik: "İtaat Etme"
    Laut und bunt sind die Live-Auftritte von Baba Zula. Dabei dienen die Stücke auf den Alben nur als grobe Orientierung, hauptsächlich improvisiert die Band zwei Stunden lang. Diesem hypnotischen Strom von Rhythmen, Melodien und gelegentlich ins Mikro gerufenen Textschnipseln kann man sich schwer entziehen.
    Oftmals verbinden sie dabei ihre Musik mit anderen Kunstformen wie Bauchtanz, Dichtung oder Theaterelementen und schaffen so ein umfassendes Sinnesspektakel. Doch neben jeder Menge Spaß und positiver Energie wollen Baba Zula hauptsächlich eine Botschaft verbreiten.
    Wenn es eine Message gibt, dann wohl diese: Das Leben ist sehr kostbar. Man sollte andere respektieren, aber auch sich selbst. Wir sind nur eine kurze Zeit auf der Welt und diese Zeit sollte man nutzen und so verbringen, wie man das möchte.
    Musik: "Gerekli Seyler"