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Die Unantastbarkeit demokratischer Werte

Historienfilme verraten stets mehr über die Zeit, in der sie gedreht worden sind, als über die Zeit, die sie beschreiben. Das beweist auch Robert Redford mit seinem Film "Lincoln Verschwörung", bei dem die Ermordung des Präsidenten nur scheinbar im Vordergrund steht.

Von Josef Schnelle | 29.09.2011
    "'Dieses Vorhaben, Zivilisten vor ein Militärgericht zu stellen ist eine Gräueltat.' – 'Nein, was sie getan hat, war eine Gräueltat.' – 'Die Unschuldsvermutung wird ignoriert. Es gibt keine Beweispflicht, kein Recht auf Berufung und keine Geschworenen.' – 'Sie waren selbst einer von Lincolns Sargträgern. Wie können Sie sie vertreten.' – 'Sie hat ein Recht auf Verteidigung, Freddy. Also werd ich sie verteidigen.'"

    Das klingt ziemlich aktuell. Man denkt an Guantanamo. So etwas hat Robert Redford sicher beabsichtigt, der seine Popularität als Schauspieler schon längere Zeit dazu nutzt, als Regisseur politische Filme zu drehen wie zuletzt das Wertedrama "Von Löwen und Lämmern", in dem er die amerikanische Militärpolitik aufs Korn nahm und demgegenüber die Unantastbarkeit demokratischer Werte betonte.

    Gewissermaßen hat Redford nun mit "Die Lincoln Verschwörung" eine Art Fortsetzung oder die Vorgeschichte realisiert. Aus heutigem Rückblick wirkt die Story wie eine Fußnote der Geschichte: Es geht um Mary Surratt, die Mutter eines Mitverschworenen von John Wilkes Booth, der 1865 den amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln im Fords Theatre in Washington erschossen hatte. Es ist ungeklärt, wieweit Mary Surratt in die mörderische Verschwörung der Gruppe von Südstaatlern um Booth gegen die Sieger des amerikanischen Bürgerkriegs eingeweiht war. Auch Redford schlägt sich nicht ausschließlich auf die Seite der Besitzerin einer Pension, in der sich ihr Sohn und die anderen Verschwörer zu den Vorbereitungen der Tat getroffen hatten. Doch er weckt Zweifel. Vor allem am abgekarteten Militärverfahren gegen die Zivilistin.

    Kriegsminister Edwin Stanton wollte die Sache schnell hinter sich bringen und stellte rasch ein willfähriges Gericht aus militärischen Funktionsträgern zusammen, um Mary Surratt zum Tod durch den Strang zu verurteilen. Ein junger Anwalt, selbst ein Kriegsheld und glühender Verehrer Lincolns, übernahm ihre Verteidigung zunächst nur widerwillig. Doch dann wurde er zu einem glühenden Verteidiger der Prinzipien des Rechtsstaates. Das ist das eigentliche Drama des Films – eine Lehrstunde in Sachen Demokratie. Doch was leicht steif und oberlehrerhaft hätte werden können, versteht Redford gekonnt mit sehr viel Stimmung der Zeit aufzuladen. Im Internet kursieren zwar schon Listen der kleinen Ungenauigkeiten der Dekors und der Handlungsdetails und Orte. Doch im Großen und Ganzen hat Redford sich an die Fakten gehalten - bis zum letzten Uniformknopf. Vor allem aber hat er eine Zeit lebendig werden lassen, in der Amerika am Scheideweg stand. Man spürt noch den lodernden Hass und die Wunden des Krieges an den Körpern und den Seelen. Redford betreibt locker und klug aktive filmische Zeitgeistforschung:

    "Was mich an dieser Zeit interessierte, war die Macht, die die Angst ausübte. Selbst wenn die Menschen feierten mit 'Hip Hip Hooray'. Dann war dahinter die Furcht. Der Frieden war noch so fragil. Die Leute fragten sich: Wird das halten oder wieder auseinanderbrechen?"

    Man muss nur ein paar Historienfilme anschauen, um zu begreifen: Sie verraten stets mehr über die Zeit, in der sie gedreht worden sind, als über die Zeit, die sie beschreiben. Amerika ist auch im Augenblick tief gespalten und manchmal könnte man denken, die Auseinandersetzungen zwischen Republikanern und Demokraten trügen schon jetzt alle Züge einer fortschreitenden Sezessionsbewegung. Redford betont demgegenüber geschmacks- und stilsicher, was Amerika die Welt einst lehrte: Über allem stehen Demokratie und unteilbare Rechtsprinzipien. Ein bisschen Demokratiepathos darf ja wohl sein in solchen Zeiten, in denen die Finanzmärkte die Regeln des politischen Handelns diktieren. Ein Film wie eine Schulstunde. Aber eine, die wir wahrscheinlich gut gebrauchen können. Gerade jetzt.

    "Wenn unsere Vorväter gewollt hätten, dass einst die Tyrannei obsiegt, wären der Präsident und sein Kriegsminister mit solchen Instrumenten der Willkür ausgestattet worden. Aber stattdessen entwarfen sie eine Verfassung und Gesetze, um genau dem vorzubeugen. Und das taten sie eben gerade für Zeiten wie diese."