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Die unbekannte Gefahr

Seit ein paar Monaten treibt die neue Vogelgrippe-Variante H7N9 in China ihr Unwesen. Was Virologen und Behörden so schnell wie möglich rausfinden wollen: Ist sie nur von Tier zu Mensch übertragbar oder könnte sie auch von Mensch zu Mensch überspringen? Fest steht: H7N9 bringt Eigenschaften mit, die äußerst ungewöhnlich sind.

Von Marieke Degen | 16.04.2013
    Von dem H7N9-Ausbruch in China erfuhr Ron Fouchier wie die meisten Virologen: über Promed, eine Online-Datenbank, auf der alle neuen und ungewöhnlichen Krankheitsfälle gemeldet werden.

    "Glücklicherweise haben die Chinesen nur zwei Tage später die ersten Gensequenzen von H7N9 veröffentlicht, so dass wir gleich damit anfangen konnten, das Erbgut zu analysieren."

    Nach den ersten Untersuchungen war klar:

    "Dieses Virus sieht definitiv nicht aus wie ein normales Vogelgrippevirus."

    Ron Fouchier von der Erasmus Uniklinik in Rotterdam ist vor eineinhalb Jahren selbst in die Schlagzeilen geraten, wegen Experimenten mit einem anderen Vogelgrippevirus, mit H5N1. Die Rotterdamer hatten H5N1 so verändert, dass sich Frettchen, also Säugetiere, gegenseitig damit anstecken konnten - per Tröpfcheninfektion. Damit haben sie gezeigt, dass die Vogelgrippe H5N1 theoretisch das Zeug dazu hat, eine Pandemie beim Menschen auszulösen. Fouchiers Arbeit war umstritten, er musste sie sogar für ein Jahr unterbrechen. Jetzt zeige sich, wie wichtig solche Experimente sind, sagt er.

    "Die Frage, die sich im Moment alle stellen, ist: Können sich Menschen irgendwann gegenseitig mit H7N9 anstecken? Und im Moment kann das keiner beantworten – genau wie damals bei H5N1. Deshalb muss man solche Studien machen, nicht nur mit H5N1, sondern auch mit anderen Grippeviren. Damit wir, vielleicht in 20 Jahren, bei so einem Ausbruch vorhersagen können, ob das Virus ansteckend ist – oder jemals ansteckend werden wird."

    Bei H5N1 waren gerade mal eine Handvoll Mutationen nötig, um das Virus von Frettchen zu Frettchen springen zu lassen. Und einige dieser Mutationen haben die Forscher jetzt schon bei H7N9 gefunden.

    "Deshalb nimmt jeder den Ausbruch mit H7N9 sehr ernst – weil sie sehen, dass H7N9 vielleicht schon dabei ist, sich an Säugetiere anzupassen."

    H7N9 könnte – darauf deutet zumindest sein Erbgut hin – sich leichter an Säugetierzellen binden als normale Vogelgrippeviren und sich bei einer niedrigeren Körpertemperatur vermehren- zwei entscheidende Anpassungsschritte. Bei H5N1 mussten die Forscher diese Mutationen noch künstlich im Virenerbgut erzeugen. Danach haben sie die Frettchen mit den veränderten Viren infiziert, immer wieder, bis sich die Viren im Frettchenkörper so weiterentwickelt hatten, dass sie von Tier zu Tier springen konnten.

    "Dieses H7N9-Virus weist bereits die ersten beiden Veränderungen auf. Das zeigt, dass solche Veränderungen in der Natur längst passieren. Vielleicht könnte dieses H7N9 auch irgendwann hochansteckend für Säugetiere werden – genau wie H5N1."

    Ron Fouchier bleibt aber vorsichtig: Im Moment könne keiner sagen, ob sich die Ergebnisse der H5N1-Experimente direkt auf H7N9 übertragen lassen. Und wie sich H7N9 weiter entwickeln wird, weiß sowieso niemand. Vielleicht braucht es nur eine einzige weitere Mutation, um von Mensch zu Mensch zu springen. Vielleicht noch viel mehr. Vielleicht wird H7N9 aber auch niemals dazu in der Lage sein.

    "Bislang sind alle Grippe-Pandemien von H1, H2 oder H3-Viren ausgelöst worden. Dass H5-Viren das theoretisch auch können, war überraschend – auf der anderen Seite ist H5 eng verwandt mit H2- und H3-Viren. H7-Viren sind nur sehr entfernt verwandt, und es ist gut möglich, dass sie es nie schaffen werden, sich über Tröpfcheninfektion zu verbreiten."

    Eigentlich wäre es ein leichtes, das herauszufinden, sagt der Forscher: Man müsste nur dieses H7N9-Virus nehmen, immer wieder Frettchen damit infizieren, und abwarten, was passiert - genau wie bei H5N1. Ron Fouchier würde solche Experimente auch machen, vorausgesetzt, dass er die Genehmigungen dafür bekommt. Die echten H7N9-Viren, die er für die Tierversuche bräuchte, haben die Rotterdamer längst bei der Weltgesundheitsorganisation angefordert.

    "Aber ich schätze, dass solche Experimente in China ohnehin schon längst im Gange sind."