Freitag, 19. April 2024

Archiv

"Die unendliche Geschichte"
40 Jahre Phantásien

Michael Endes phantastischer Roman über die Kraft und Wichtigkeit der Phantasie feiert in diesem Jahr Geburtstag, ebenso der Autor. Freund und langjähriger Lektor Roman Hocke und der Berliner Künstler Sebastian Meschenmoser, der das Werk erstmalig bebildert hat, erzählen über Inspirationsquellen.

Roman Hocke und Sebastian Meschenmoser im Gespräch im Ute Wegmann | 26.10.2019
Der Künstler Sebastian Meschenmoser (l.) und der Literaturagenten Roman Hocke (r.) auf der Buchmesse in Frankfurt
Roman Hocke und Sebastian Meschenmoser auf der Frankfurter Buchmesse 2019 (David Kohlruss)
Ute Wegmann: Und im Mittelpunkt unseres heutigen Büchermarktes für junge Leser, aufgezeichnet auf der Frankfurter Buchmesse, steht ein Buch, das seinen 40. Geburtstag feiert. Am 1. September 1979 erschien Michael Endes Roman "Die unendliche Geschichte". Heute ein Klassiker, damals ein Bestseller. 113 Wochen Spiegel-Bestsellerliste - ganz zu schweigen von den Preisen und Auszeichnungen. Etwa 10 Millionen Mal verkauft und als Übersetzung in 41 Ländern erschienen.
Aber nicht nur der Roman feiert ein Jubiläum, sondern wir feiern auch den Autor, der Mitte November 90 Jahre alt geworden wäre. Das machen wir gemeinsam mit seinem langjährigen Lektor, Freund und Nachlassverwalter dem Literaturagenten Roman Hocke und mit dem Künstler Sebastian Meschenmoser, der zum Jubiläum den Roman bebildert hat.
Roman Hocke, Sie waren Lektor und Verlagsleiter, machten sich als Literaturagent selbstständig, gingen dann 2002 mit der Literaturagentur AVA zusammen. Seit 2014 mit neuem Partner. Neben Michael Ende sind Sie Literaturagent von: Utta Danella, Sebastian Fitzek, Heinz Konsalik, Max Kruse, Ursula Poznanski. Sie leben ein bisschen in München, manchmal in Berlin, aber vor allem in der Nähe Roms, wo Sie als Jugendlicher Michael Ende kennenlernten. Wie kam es dazu?
Erste Begegnung in Rom
Roman Hocke: Michael Ende beschloss damals, Deutschland zu verlassen, weil er sehr viele Vorwürfe bekam, dass seine Bücher nicht politisch genug seien, dass sie Weltflucht betreiben würden und den Kindern nicht beibrächten, die Probleme der Welt zu lösen. Und deswegen zog er fort, nach Rom, was er sehr kannte und schätzte, und suchte dort in der Nähe etwas zum Wohnen. So kam er damals mit Luise Rinser zu meinen Eltern, und meine Eltern sagten, es sei etwas frei in der Nähe, sie verliebten sich und wurden so unsere Nachbarn.
Wegmann: Und Ihr Vater war damals Journalist?
Hocke: Mein Vater war Auslandskorrespondent für die Süddeutsche Zeitung und ich besuchte die deutsche Schule dort.
Literatur als Vorlage
Wegmann: Sebastian Meschenmoser, der Künstler, geb. 1980 in Frankfurt am Main. Studium der Freien Bildenden Kunst an der Akademie in Mainz, dann Studium in Dijon. Erste Bilderbücher. Stipendien. Ausstellungen. Nominierungen für den DJLP 2015 und 2018. Ihre ersten Bilderbücher galten einem "Herrn Eichhorn" und seinen Alltagsgeschichten, die letzten setzen sich mit Märchen auseinander. Betrachtet man Ihre Webseite entdeckt man den Maler. Ihre Motive: Räume, Natur, wilde Tiere in Menschen-Häusern, wilde Menschen in Wäldern. Anthropomorphisierte Tiere. Eine spektakuläre Mischung aus gedeckten, oft dunklen und knalligen Farben. Wir würden Sie das Thema, das Ihr Werk durchzieht, umschreiben?
Sebastian Meschenmoser: Vom malerischen Werk würde ich sagen, dass ein immer wieder auftauchendes Thema die Bühne ist. Ich hab in den frühen Serien Literatur als Vorlage gehabt, Jules Verne, und dann Bilder gemalt, die so eine Art Setting waren, wo ich Momente aus den Büchern verwendet habe, aber auch Freiausgedachtes. Literatur hat immer schon eine Rolle gespielt, aber auch die Bühne, ein Set und da etwas passieren zu lassen. In dem Kontext hat das mit Michael Ende ganz gut gepasst, weil er ja vom Theater, von der Bühne kam, und Phantásien ja auch eine Plattform, eine Bühne ist, auf der ein Thema verhandelt wird, die sich aber immer wieder neu formiert.
Wegmann: Roman Hocke, Michael Ende war ein erklärter Freund der Romantik. Kam daher die Neigung zum Kinderbuch?
Hocke: Sicherlich einmal über die Romantik, die er sehr schätzte, sehr gut kannte, auch in den Theorien der Romantiker. Aber sicherlich auch über den Strang der sogenannten phantastischen Kunst, die er sehr genau verfolgt hatte, ein Strang, der sich seit der Antike immer durchgeflochten hat bis in unsere heutige Zeit. Das hatte er sehr studiert und kannte das gut. Und fand dort auch moderne Ausdrucksweisen, um Gedanken und Emotionen auf eine originelle Weise zu erzählen.
"Der rasende Roland" als Inspirationsquelle
Wegmann: Sebastian Meschenmoser, Sie haben sich intensiv mit Ende beschäftigt. Was hat Sie nachhaltig beeindruckt?
Meschenmoser: Am meisten hat mich beeindruckt, dass die Beschäftigung mit Michael Ende selbst zu einer Art unendlichen Geschichte geführt hat. Herr Hocke war ja in Berlin im Atelier zu Besuch und hat uns nach Italien eingeladen, um die Orte einmal anzuschauen, weil es ja diverse Sachen aus der "Unendlichen Geschichte" wirklich gibt. Es gibt die uralte Morla, es gibt den Säuresee und die kleinen Pferdchen von Artax. Und als wir dort waren, hat Herr Hocke angefangen zu erzählen und uns Orte zu zeigen, und wenn er anfängt – und er kann sehr toll erzählen – hört er auch nicht mehr auf. Ich hatte nur eine Woche Zeit zum Forschen vor Ort. Ich hätte Monate in Italien verbringen können. Ein anderes wichtiges Element war das Buch "Orlando furioso", "Der rasende Roland" von Ariost, das Herr Hocke in einer von Doré bebilderten Ausgabe besaß. Das hab ich mir antiquarisch besorgt und da Doré Sammler war, und mit dem Buch aufgewachsen ist, hab ich in dem Buch wahnsinnig viele Momente gefunden, die Michael Endes Werk, aber auch andere phantastische Werke wie "Herr der Ringe" oder Lewis oder "Harry Potter" inspiriert haben. In diese Welt einzutauchen, in die Phantastik, wo alles herkommt, das war wirklich faszinierend.
Wegmann: War der "Rasende Roland" von Ariost eine Inspirationsquelle für Michael Ende?
Hocke: Es war, wie er sagte, eins der schönsten Bücher, die es gab. Und diese Mischung zwischen Text und Bebilderung fand er immer, auch sein Vater Edgar Ende, der ja auch visionärer Maler war, beide fanden es eins der schönsten Bücher, die es gegeben hat und orientierten sich daran.
Meschenmoser: Das Schöne war, als ich den "Rasenden Roland" gelesen hatte, oder durchgeblättert habe, hab ich einen Kopffüßler gefunden, eine Figur, die aus einem Kopf und verschiedenen Armen und Beinen bestand. Dieser Kopffüßler taucht bei Edgar Ende auf und in der "Unendlichen Geschichte". Also verschiedene Wesen, die Doré gezeichnet hat, tauchen bei Ende wieder auf und werden Bestandteil von Phantásien. Ende hat sich wahnsinnig viel selber ausgedacht, aber ein paar Wesen kamen so dazu, und so hab ich auch gearbeitet: Ich hab mir Figuren selbst ausgedacht, hab mich aber auch an Hieronymus Bosch und anderen Künstlern orientiert.
Mit einem Satz fing alles an
Wegmann: Darüber sprechen wir gleich noch. Zuerst noch ein paar Worte zu Michael Ende. Michael Ende, geboren 1929 in Garmisch, Sohn des surrealistischen Malers Edgar Ende, besuchte die Walldorfschule, wollte Schauspieler werden, studierte an der renommierten Otto-Falckenberg-Schule in München, wurde Filmkritiker und schrieb Theaterstücke und 1960 schließlich "Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer". Weitere Kinderromane folgten, u.a. "Momo" und Kinderlyrik. Und auf Drängen seines Verlegers schließlich "Die unendliche Geschichte". Basierend auf dem Satz: "Ein Junge findet beim Lesen eines Buches buchstäblich in die Geschichte hinein und nur schwer wieder hinaus". Aber niemand kennt die Hintergründe der Entstehung so gut, wie sein langjähriger Lektor Roman Hocke. War das tatsächlich so?
Hocke: Ja, genau. Hans Jörg Weitbrecht, der damalige Verleger, fuhr nach Rom, wollte ein Buch von Michael Ende. Viele Jahre waren vergangen ohne ein großes Buch. Michael Ende nahm den Zettelkasten. Aber kein normaler Zettelkasten, sondern es waren Kuverts mit Adressen, Einkaufszettel, abgerissene Blätter, Zeitungsseiten, auf denen er etwas notiert hatte, alle Formate durcheinander, und überall stand ein Einfall. Es war so, dass er diesen Einfall vorlas und beide befanden, das könnte ein Buch werden. Michael Ende meinte, dass es nicht dick würde. Der Verleger meinte: Wunderbar, dann schreibst du mal ein nicht so umfangreiches Buch wie die anderen Bücher. Und war ganz glücklich und fuhr ab.
Die totale Freiheit der Phantasie
Wegmann: Sie haben es eben schon angedeutet, Michael Ende war ein Freund des Phantastischen, er schuf das Reich Phantásien in der "unendlichen Geschichte", ein Plädoyer für die Kraft und Wichtigkeit der Phantasie. Was war für Michael Ende der Unterschied zwischen phantastischer Literatur und Fantasy-Literatur?
Hocke: Ich würde sagen, er benutzte sehr stark Elemente der Fantasy um seine ganz eigene Kunst zu schaffen. Und was ihn ausgemacht hat, dass er immer Bilder und Gedanken und Bedeutungen sehr eng verwoben hat, und zwar ohne erhobenen Zeigefinger, dass das immer wie selbstverständlich eine Einheit wurde. Ich kenne Wenige, die diese Begabung hatten, die hatte er übrigens auch beim Reden. Wenn er erzählte, war das immer sehr bildreich und immer bedeutungsmäßig. Seine Bilder hatten eine philosophische Dimension. Das liegt allen seinen Büchern zugrunde. Also er schätzte die Phantastik, weil sie die totale Freiheit der Phantasie darstellte. Man konnte erfinden, was man wollte. Man konnte Unterschiedlichstes miteinander verbinden. Und so neue Bedeutungen zum Klingen bringen. So hat man neue Formen gefunden, das reizte ihn, darin sah er auch die Aufgabe von Kunst.
"Qualitätsvolle Literatur verändert den Menschen"
Wegmann: Michael Ende hat sich ganz deutlich gegen die realitätsnahe Literatur von Peter Härtling und Christine Nöstlinger ausgesprochen. Er schrieb dem Verleger Hans-Joachim Gelberg damals sogar einen Brief, er sei auf einem Irrweg. Ende selber war der Romantik sehr verbunden. Er musste sich damals, in einer politisch bewegten Zeit, stark gegen den Eskapismus-Vorwurf wehren. Es ging aber nicht um Eskapismus, sondern: Ende glaubte ja daran, dass Literatur den Menschen verändern kann!
Hocke: Ja, qualitätsvolle Literatur verändert den Menschen, weil wir neue Erlebnisse haben, weil wir neue Gedanken miterleben, weil wir sehen, dass die Welt viel größer ist, als das, was wir uns bis dahin vorgestellt haben – und so entlässt sie uns immer in einem positiven Fall verändert zurück. Das war für ihn wichtig. Ein Satz, den er sagte, wurde für mich sehr wichtig in meinem Leben, er sagte: Es gibt in der Natur gar keine Werte, sondern Natur gibt es nur in den Innenwelten der Menschen, und die Kunst bringt sie zum Ausdruck und vermittelt in Form von Geschichten, als Angebot an Menschen, ob es nicht sinnvoll ist, danach zu leben. Der ganze Eskapismusvorwurf kam für ihn völlig quer, weil er das nicht erwartet hat. Und den Brief an Gelberg schrieb er, nach den ganzen Angriffen, um seinen Kunstbegriff deutlich zu machen, dass nicht das Abbilden von Wirklichkeiten wichtig ist, sondern um durch neue Wirklichkeiten Sinn zu transportieren.
Wegmann: Sebastian Meschenmoser, Sie haben ja die Geschichte wahrscheinlich mehr als einmal gelesen. Wie war das denn jetzt unter dem Aspekt, dass Sie sie bebildern müssen?
Meschenmoser: Das war gar nicht so einfach, weil man ja merkt, dass Michael Ende der Sohn eines Malers war. Er konnte unglaublich dicht beschreiben. Sobald er anfängt, ploppen in meinem Kopf wahnsinnig viele Bilder hoch, die auch sehr präzise gefasst sind. Immer wenn jetzt Leute auf mich zukommen, sagen sie: Genauso hab ich es mir vorgestellt. Weil ich versucht habe, mich möglichst genau an die Beschreibung zu halten, die aber auch sehr präzise ist.
"Platte fegen – Atemzug nehmen – Pause machen ..."
Wegmann: Sie hatten nicht viel Zeit. Etwa ein Jahr. In dem Zeitraum haben Sie 100 Bleistiftzeichnungen und 50 ganz- oder doppelseitige Ölbilder geschaffen. Was hat Sie beflügelt? Hatten Sie einen Glücksdrachen? Wie haben Sie das geschafft, das ist ein immenses Pensum?
Meschenmoser: Ich hatte zum Teil einen Glücksdrachen, aber ich hatte auch vor allen Dingen Momo, was wichtig war. Es waren sogar über 160 Zeichnungen, wir mussten ein paar aussortieren. Anfangs hatte ich krasses Magengrimmen, weil ich dachte, was hab ich mir da aufgehalst. Dann hab ich ein Storybord angelegt, und sobald meine Aufgabe eine physische Form hatte, war das für mich zu bewältigen. Dann hab ich als nächstes das Beppo-Straßenfeger-Prinzip angewendet, das man aus "Momo" kennt, wo er erzählt, wie er eine lange Straße fegt: Nämlich eine Platte fegen – Atemzug nehmen – Pause machen – nächste Platte fegen. Irgendwann ist die Straße gefegt. So hab ich gearbeitet, ohne mir Gedanken zu machen, was für ein riesiger Berg das ist. So hab ich das verrückterweise geschafft, ich weiß selbst gar nicht genau wie. Das waren dreizehn Monate und es war sehr eng, aber ich hab es durchgehalten.
"Phantásien ist eigentlich nichts anderes als unsere Innenwelt"
Wegmann: Heute zu Gast im Büchermarkt der Literaturagent Roman Hocke und der Maler Sebastian Meschenmoser. Wir sprechen über den 40. Geburtstag von Michael Endes Roman "Die unendliche Geschichte". Roman Hocke, hatte Michael Ende eine Vorlage für dieses vielfältige, mit Tieren, Fabel-Wesen, Menschen aller Nationen angereicherte Land Phantásien?
Hocke: Ja, wie Sebastian Meschenmoser schon sagte, Phantásien ist eigentlich nichts anderes als unsere Innenwelt. Und unsere Innenwelt ist geformt von allen Geschichten, von Musik, von Erzählungen, Theaterstücken, von allem, was wir gehört haben. Ende hat eben sehr viel davon aufgezeigt, auch Shakespeare kommt vor, so geschrieben, wie Bastian es versteht, und dann versehen mit eigenen Erfindungen.
Buchcover: Michael Ende und Sebastian Meschenmoser (Bilder): „Die unendliche Geschichte“
Bastian, Atréju, die kindliche Kaiserin und Fuchur: die Figuren aus Michael Endes „Die unendliche Geschichte“ sind seit 40 Jahren in den Köpfen der Leser. (Thienemann Verlag)
Rom und Bomarzo
Wegmann: Welche Rolle spielte denn Rom?
Hocke: Rom war die Welt, wo er die Vielschichtigkeit von Geschichten erlebt hat. Wenn Sie dort einen Stein in die Hand nehmen, können Sie eine Geschichte erzählen, was der Stein in der Renaissance bedeutete oder in der Antike oder in der späteren Zeit. Da haben sich in 3000 Jahren so viele Geschichten abgelagert, dass für ihn das ein riesen Erlebnis war. Und vielleicht hat das auch die Vorstellung von Phantásien bedingt.
Meschenmoser: Für mich war vor Ort auch interessant zu sehen, was Geschichten ausgelöst haben könnte. Es gibt im Norden Roms den Skulpturenpark von Bomarzo, eine Art Disneyland aus dem Mittelalter, da stehen zwei Sphinxskulpturen, die sich anschauen. Was passiert dabei? Sie stellen sich alle Rätsel der Welt. So ist das Rätseltor entstanden. Ende ging also durch die Welt, sah etwas, und dann war eine Idee da, die zu Phantásien beitrug. Es war spannend, diese Reise visuell viele Jahre später nachzuvollziehen und zu sehen, wie er auf die Ideen kam. Und Rom ist voll davon.
Wegmann: Ich glaube, dieser Park, der Parco di Mostri in Bomarzo, der war für Sie ganz wichtig, Sie haben ja noch andere Motive aus dem Park übernommen.
Meschenmoser: Es gibt noch das Riesenmaul, durch das Bastian läuft, im Palast der Tausendtüren. Das wird im Buch nur ganz kurz erwähnt. Aber auch diese Bilder wollte ich festhalten, denn das macht die Geschichte am Ende spannend oder was man leicht vergisst. Es gibt auch dort noch eine Kapelle, das ist genau die Kapelle, aus der Bastian heraustritt, nachdem er im Palast der Tausendtüren war. Für Michael Ende war das das Phantásien, Italien, das Bastian danach geschaffen hat. Danach kommt er zum Säuresee, der eigentlich der Spiegelsee von Nemi ist.
Wegmann: Wer hat Sie noch beeinflusst? Wenn man Ihre Bilder betrachtet, kann man Bezüge zu De Chirico und Arcimboldo herstellen?
Meschenmoser: Im Prinzip hab ich mich, genau wie Michael Ende, von der literarischen Welt der Geschichten inspirieren lassen. Einfach auch von der Kunstgeschichtswelt. Wenn man sich da ein bisschen auskennt, erkennt man bei Ende die Zitate und Querverweise. Ich hab natürlich meine eigene Welt dort einfließen lassen, aber auch geschaut, was haben die Surrealisten gemalt, welche Stimmung haben sie erzeugt, hab versucht, die Farbigkeit in den Bildern festzuhalten und natürlich Italien um Rom herum vom Licht her, dort hinein zu transportieren.
Die Verfilmung - eine "Vergewaltigung seiner Geschichte"
Wegmann: War es schwer, sich von den Filmbildern zu lösen oder kannten Sie den Film gar nicht?
Meschenmoser: Das war einfach. Der Film war ein klassischer 1980er Jahre Fantasyfilm, der so funktioniert, aber nichts mit der "Unendlichen Geschichte" zu tun hat. Wenn man sich das Buch durchliest, merkt man, wie armselig das Bilderrepertoire des Filmes ist. Eigentlich war es einfach, sich davon zu lösen. Der Felsenbeißer war schwierig, weil der ist wirklich gut gelungen im Film. Der Rest war einfach, denn der Film behandelt ja nur ein Drittel des Buches und die andere Welt ist noch nicht visualisiert worden.
Wegmann: Roman Hocke, der Film war für Michael Ende kein erfreuliches Erlebnis. Er hat sich davon distanziert. Was war das Dramatischste an der Verfilmung für Ende selber?
Hocke: Die Verfilmung hat nur die unterhaltende Oberfläche genommen und hat alles abgeschnitten, was an Bedeutungen da hin spielte, das war völlig uninteressant und dann wurde der Sinn verkehrt: Wenn dann Fuchur mit Bastian in unsere Welt fliegt, das geht nicht, denn Fuchur ist ein Wesen, das gibt es nur in Phantásien. Ich jedenfalls hab hier noch keinen Drachen gesehen. Er nannte das eine "Vergewaltigung" seiner Geschichte, das war sehr dramatisch, wie er das empfunden hatte, weil er eigentlich ja einen positiven Sinn mit der Geschichte verbreiten wollte und letztlich war der Film nur ein Racheakt an den Freunden von Bastian: Das alles stimmte nicht in Endes Weltbild, in seiner Philosophie. Er hat sehr gekämpft dagegen, aber leider hat ihm das Gericht zwar Recht gegeben, dass es eine schwere Verunstaltung seiner Geschichte sei, aber in Anbetracht der vielen Kosten, die ein Film habe und der vielen Leute, die dadurch beschäftigt würden, habe sein Recht zurückzutreten vor dem des Geldes, sag ich mal.
Kein Eskapismus
Meschenmoser: Im Prinzip sieht man, wie plump die Filmemacher vorgegangen sind, da Michael Ende das Buch ja sehr klug aufgebaut hat. Er lockt uns in das Buch hinein, indem er sich den Mitteln der Fantasy bedient. Und auf einmal kippt die Geschichte und es fängt etwas ganz anderes an, nämlich ein philosophisches Buch. Und viele Leser, die mit der Erwartung eines Fantasybuches angefangen haben, bekommen genau an der Stelle Probleme, sagen: Da ist das Tempo raus, da hatte ich keine Lust mehr weiterzulesen. Weil es zu einem anderen Buch wird. Es ist sehr klug aufgebaut. Und Bastian muss alleine in seine Welt zurückkehren und nicht mit einem Drachen, der ihm den Rücken deckt. Er soll zu sich selber finden und eine Stärke aus sich herausfinden. Eben kein Eskapismus! Und das hat der Film komplett zerstört.
Hocke: Bastian hat sich verändert durch seine große Reise durch Phantásien. Er verliert sich kurzfristig, weil er jede Erinnerung vergessen hat, also die Gefahr der Flucht wird thematisiert, aber letztendlich kommt er verändert wieder und gestaltet sein Leben anders als vorher.
Wegmann: Nun war das Buch auch für viele Ältere interessant, nicht nur für Kinder und Jugendliche. Viele waren davon völlig begeistert, auch gerade Anfang Zwanzigjährige. Was hat denn "Die unendliche Geschichte" mit Michael Ende gemacht?
Hocke: Man muss sagen: Michael Ende war selber sehr erstaunt über das Buch, und was alles drinsteckt. Das hat er beim Schreiben nicht alles bewusst dort eingewoben, wie man meinen könnte. Sondern bei seinen Lesungen und in den Folgejahren entdeckte er selber Schicht für Schicht, was er an Bedeutung da hineingelegt hatte, und zwar absichtslos, weil es ging ihm ja um die Geschichte. All das entdeckte er. Und er war bestimmt zwei Jahre lange beschäftigt, sein Buch überhaupt zu verstehen.
Es geht um die Gemeinschaft
Wegmann: Der Roman ist auch eine Vater-Sohn-Geschichte. Sebastian Meschenmoser, Sie haben das wunderbar in der letzten Zeichnung aufgefangen dem Schlussbild, eine Umarmung Vater-Sohn. Kann man es als Vater-Sohn-Geschichte lesen?
Meschenmoser: Was ich schön finde, ist, dass nicht nur der Vater an der Entfremdung Schuld ist, sondern auch Bastian und er auch an sich selber arbeiten muss, um das zu durchbrechen.
Hocke: Oder gehen wir noch einen Schritt weiter: Es geht einmal um das Gebundensein eines Menschen in einer Gemeinschaft und dass er diese Beziehung pflegt und gestaltet, sehr bewusst, nach Werten und Kriterien. Und diese Reise war notwendig, damit die Werte wie Freundschaft, Achtung, er überhaupt aktivieren konnte. Ich glaube, es geht um die Gemeinschaft. Und stellvertretend war das die Familie, Vater- Sohn.
Meschenmoser: Es ist eine Reise, die wir alle mal durchschritten haben oder auch permanent durchschreiten. Bastian versucht sich Attribute anzueignen: Er will stark, sein, mutig, weise. Er will ein Wohltäter sein. Das sind alles Sachen, mit denen wir uns auch auseinandersetzen, wollen wir das oder wollen wir das nicht. Wir haben alle noch dieselben Probleme wie vor 40 Jahren und das macht das Buch immer noch total aktuell.
Wegmann: Die Geschichte dieses Miteinanders sehr unterschiedlicher Wesen, sehr unterschiedlicher Charaktere haben Sie in Bleistiftzeichnungen und Ölgemälden festgehalten. Da muss man hineinblättern, das muss man sich anschauen, das kann man nicht gut beschreiben.
Das war der Büchermarkt mit dem Literaturagenten Roman Hocke und dem Maler Sebastian Meschenmoser über die Neuausgabe der "Unendlichen Geschichte" und ihre Entstehungsgeschichte im Jahr 1979. Vielen Dank für das Gespräch. Alle Angaben entnehmen Sie wie immer unserer Webseite: Deutschlandfunk. de. Nachhören können Sie die Sendung auch über die Deutschlandfunk Audio APP. Hier folgt jetzt Forschung aktuell. Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen Ute Wegmann.
Michael Ende und Sebastian Meschenmoser (Illustration): "Die unendliche Geschichte"
Thienemann Verlag, Stuttgart. 416 Seiten, 35 Euro.