Samstag, 20. April 2024

Archiv


Die unendliche Geschichte

Der Rumäne Mircea Eliade gilt als einer der bedeutendsten Religionswissenschaftler des 20. Jahrhunderts und gleichzeitig als ein politisch umstrittener Intellektueller. Er hat rund 50 Jahre an Universitäten gelehrt, wurde für den Nobelpreis nominiert und schrieb, neben zahlreichen Büchern über das Wesen der Religion, Romane und Erzählungen. Der "Verlag der Weltreligionen" hat ein besonderes Werk Mircea Eliades neu verlegt: "Kosmos und Geschichte. Der Mythos der ewigen Wiederkehr".

Von Annette Brüggemann | 11.01.2008
    "Die Regeneration ist, wie schon der Name besagt, eine Geburt. Die jährliche Austreibung der Sünden, Krankheiten und Dämonen stellen im Grunde den Versuch dar, wenn auch nur vorübergehend, die mythische und primordiale Zeit wiederherzustellen, die ‚reine’ Zeit, die Zeit, die im ‚Augenblick’ der Schöpfung war. Jedes neue Jahr ist eine Wiederaufnahme der Zeit an ihrem Beginn, also eine Wiederholung der Kosmogonie."

    Das alte Jahr ist vergangen, das neue Jahr hat begonnen. Wir alle haben den Neubeginn gefeiert und auch wenn wir es längst vergessen haben: Es ist ein altes Ritual. Darauf und auf viele weitere archaische Praktiken, die in unserer Gegenwart schlummern, macht uns Mircea Eliade in seinem Buch "Kosmos und Geschichte" aufmerksam. Kurzum: Auf das Mysterium menschlichen Seins.
    Allen noch nicht mit seinem Werk vertrauten Lesern empfahl Mircea Eliade mit diesem Buch zu beginnen, das Ende der 40er Jahre im Pariser Exil entstand. Ein früher Studienaufenthalt in Indien hatte Eliade die existentielle Bedeutung und Macht von archaischen Symbolen auf lebendige Weise erfahren lassen. Mit einer Arbeit über Yoga hatte er 1936 seinen Ruf als Religionswissenschaftler begründet. Für ihn war Yoga ein Weg, aus der profanen Zeit auszuscheiden und in eine heilige einzutreten. Im Heiligen sieht er ein magisches Reich, das das Profane wie ein unsichtbares Gewebe durchzieht. Wer dessen Gesetze kenne, könne Unsterblichkeit und Freiheit erlangen. Ein absoluter Gedanke, der ihn - zurück in Rumänien - in die Hände der christlich-faschistischen Gruppierung "Eiserne Garde" treibt. Wie so viele Intellektuelle dieser Zeit verfällt er dem Mythos eines neuen nationalen Reiches.

    Die Schrecken des Krieges schließlich vor Augen wendet er sich in "Kosmos und Geschichte" noch einmal den archaischen Kulturen zu - abgeklärter als zuvor.

    "Wenn man das Verhalten des archaischen Menschen im Allgemeinen betrachtet, fällt einem Folgendes auf: die Gegenstände der Außenwelt besitzen, nicht anders als die menschlichen Handlungen im eigentlichen Sinn, keinen selbständigen inneren Wert. Gegenstände oder Handlungen gewinnen einen Wert und werden damit wirklich, weil sie auf die eine oder andere Weise einer Wirklichkeit teilhaftig sind, die über die Grenzen hinausgreift. Ein Fels offenbart sich als heilig, weil seine Existenz selbst eine Hierophanie ist: in seiner Unverwundbarkeit und Unerschütterlichkeit ist er, was der Mensch nicht ist. Auch die Hochzeitsriten haben ein göttliches Vorbild, und die menschliche Hochzeit reproduziert die Götterhochzeit, genauer gesagt, die Vereinigung zwischen Himmel und Erde."

    Wir, sagt Mircea Eliade, haben eine Sehnsucht nach Ritualen, die in ihrer Wiederkehr die Geschichte auslöschen und auf etwas Universelles, Unendliches verweisen. Die Ursprünge dafür seien so alt wie die Schöpfung. Der archaische Mensch habe sich damit aufgelehnt gegen die konkrete historische Zeit.
    Der moderne Mensch sehe sich hingegen als Schöpfer der Geschichte. Unüberhörbar wird da Mircea Eliades Kritik zwischen den Zeilen: Die europäischen Geschichtsphilosophen des Marxismus, Historismus und Existenzialismus erklärten den Menschen zum Herrn der Geschichte und die Geschichte zum Produkt des Menschen - Deportationen, kollektive Massaker, Atombomben seien die Folge. Und da könne man sich nur noch der Geschichte entgegenstemmen und zwischen Selbstmord und Deportation wählen oder in eine menschenunwürdige Existenz oder in die Emigration flüchten. Dagegen hätten uns archaische Kulturen die Unabhängigkeit von Geschichte gelehrt.

    "In jedem Fall ist die Beobachtung lohnend, dass sich durch das ganze Werk von zwei der bedeutendsten Schriftsteller unserer Zeit – T.S. Eliot und James Joyce – in seiner Tiefe das Verlangen nach dem Mythos der ewigen Wiederholung und, letztlich, der Vernichtung der Zeit hindurchzieht. Und heute, da die Geschichte in der Lage zu sein scheint, die ganze Menschengattung auf einmal zu vernichten – was weder der Kosmos noch der Mensch oder auch nur der Zufall bisher fertiggebracht hat - , in diesem Augenblick könnten wir auch einen verzweifelten Versuch erleben, die Geschehnisse der Geschichte zu verhindern, und zwar durch die Reintegration der menschlichen Gemeinschaften in die Welt der Archetypen und ihrer Wiederholung."

    Wie können wir Leid und Katastrophen seelisch überwinden? Wodurch geben wir unserem Leben einen Sinn? Mircea Eliade gibt in seinem schmalen Büchlein überraschende Einsichten. In vielen poetischen Bildern kündet er von einem Rückzug aus der profanen Welt, von Kontemplation und Magie. Allerdings nicht ohne die Existenz der Historie zu verleugnen.
    Walter Benjamins "Engel der Geschichte" kommt einem da in den Sinn, einem Bild Paul Klees entlehnt. Seine aufgerissenen Augen blicken zurück. Der Engel möchte, so Benjamin, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradies her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat, die weit ausgebreitet sind und ihn nach vorne treiben. Was Walter Benjamin damit ausdrückt, ist ein Fortschrittsgedanke, den Mircea Eliade verabschiedet hat. Seine Nüchternheit berührt ebenso wie die Tatsache, dass er Konzeptionen und Praktiken der Religionsgeschichte - einem ideologischen Missbrauch zum Trotz - im Dröhnen des zweiten Weltkriegs zum Leuchten gebracht hat.


    Mircea Eliade: Kosmos und Geschichte. Der Mythos der ewigen Wiederkehr
    Verlag der Weltreligionen
    190 Seiten, 9 Euro