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Die ungeliebte Hauptstadt

Inzwischen löst das Wort "Washington" bei vielen Amerikanern Wutgefühle aus. Die Hauptstadt ist gespaltener denn je. Im Wahlkampf hatte Barack Obama versprochen, das System in Washington zu verändern. Nach anderthalb Jahren im Amt scheint es eher, als habe die Stadt ihn verändert.

Von Gregor Peter Schmitz | 06.08.2010
    Wer sagt denn, Washington sei heillos zerstritten? Bei Tommy Jacomo treffen sie sich doch alle, die Demokraten von links, die Republikaner von rechts. Sein Restaurant "Palm" liegt einen Steinwurf entfernt vom Capitol - wo sich die Parteien der US-Hauptstadt sonst so gerne gegenseitig in die Mangel nehmen. Doch wenn sie an der markanten Palme neben dem Eingang vorbei laufen, muss aller Zoff draußen bleiben. Denn an seinen Tischen soll Platz für jedermann sein, erklärt Jacomo:
    "Das Palm Restaurant in Washington ist ein bekannter Treffpunkt für Politiker, Sportler, Präsidentschaftskandidaten und Lobbyisten aus dem ganzen Land – für alle, die etwas zu sagen haben. Ich bin nun seit 26 Jahren hier und habe fünf Regierungen erlebt, republikanische und demokratische. Wir müssen die Balance wahren, wir kümmern uns um Republikaner und Demokraten. Wir sind wirklich ein überparteiliches Restaurant."
    Genug Kleingeld ist die einzige Bedingung, das Prime Steak New York á la Stone serviert Jacomo für fast 50 Dollar, der Hummer für zwei kostet 89,95 Dollar. Zu stören scheinen die Preise niemand, das Geschäft brummt.
    Genauso wie im Restaurant Tosca, noch näher am Weißen Haus. Dort ist Tisch 60 stets reserviert für das "Power Couple" Heather und Tony Podesta. Der Toplobbyist vertritt die Interessen von Rüstungsfirmen, seine Frau berät vor allem Pharmariesen. Im ersten halben Jahr nach Obamas Amtsantritt legte Tonys Geschäft um 57 Prozent zu. Heather war noch tüchtiger, sie verdiente 62 Prozent mehr.
    Von ihren Plätzen können sie Tisch 26 sehen, da thront meist Tom Daschle, ehemaliger Mehrheitsführer der Demokraten im Senat. In Toscas Küche hat er Anfang 2007 den jungen Senatskollegen Barack Obama überzeugt, doch schon als Präsidentschaftskandidat anzutreten. Obamas Gesundheitsminister konnte Daschle nicht werden, weil er bei der Steuererklärung geschummelt hatte. Also verlegte er sich auf die Lobbyarbeit – oder vielmehr die "strategische Beratung", wie er es selber nennt.
    Von Krise ist in Washington nämlich herzlich wenig zu spüren. Den Eliten der Hauptstadt geht es besser denn je, sie sind die wahren Krisengewinnler. Mittlerweile schmiegen sich die drei Landkreise der USA mit dem höchsten Durchschnittseinkommen direkt um die Regierungszentrale.
    Für deren prominentesten Bewohner, Barack Obama, wird das zum echten Problem. Gerade mal rund achtzehn Monate ist es her, dass er zu Fuß in Richtung Weißes Haus marschierte – und Wandel in Washington versprach:
    "Wir wissen, warum sich viele Bürger frustriert abgewendet haben. All die Zyniker, die Lobbyisten, die Sonderinteressen – die unsere Regierung in ein Spiel verwandelt haben, dessen Regeln nur sie kennen. Sie schreiben die Schecks und Ihr bekommt die Rechnung präsentiert. Sie erhalten Zugang, während Ihr höchstens einen Brief schreiben könnt. Sie denken, ihnen gehört die Regierung – aber wir sind heute hier, um sie uns zurück zu holen. Die Zeit für so eine Art von Politik ist vorbei. Es ist Zeit für einen neuen Anfang."
    Doch die Washingtoner Lobbyisten, denen Obama den Kampf angesagt hatte, klappern weiter mit dem Silberbesteck. Dieser Zwiespalt ist ein wichtiger Grund, warum Obama ein sehr unpopulärer Präsident geworden ist.
    Ironie der Krise: Obamas ehrgeizige Reformpläne machen die Interessenvertreter unverzichtbarer denn je. Wandel ist gut für ihr Geschäft – ob die große Gesundheitsreform oder die Vorschläge zur Wall Street-Regulierung.
    Mehr als eine Million Dollar gibt die Finanzindustrie jeden Tag dafür aus, über 1000 Lobbyisten arbeiten für sie. Sie lassen 25mal so viele Interessenvertreter aufmarschieren wie die Befürworter von mehr Wall Street-Regulierung.
    Rund 300.000 Dollar verdient ein gut vernetzter Lobbyist – der oft zuvor im Parlament tätig war und dort noch viele Freunde hat. Doch solche Gehälter können sich rasch rentieren. Als Hedgefonds-Könige, die wegen eines US-Steuerschlupflochs nur 15 Prozent Abgaben auf ihre Milliardeneinkünfte zahlen müssen, endlich mehr Steuern berappen sollten, ließen sie ihre hoch bezahlten Interessenvertreter binnen Wochen Millionen Lobbygelder in Washington verteilen.
    Das wirkte: Nun dürfen die Anlagebosse weiter im Schnitt weniger Steuern entrichten als ihre Sekretärinnen. Ein tolles Investment.
    Derlei Deals befeuern Kritiker der Hauptstadtkultur wie Chris Hayes vom linken Magazin NATION – der Politiker als Gefangene des Kapitals sieht. Schließlich finanzierte auch Obama seine fast eine Milliarde Dollar teure Wahlkampagne mit viel Geld aus Finanzfirmen. Vor der Wiederwahlkampagne 2012 muss er dort wieder vorstellig werden. Das vergessen Politiker bei möglichen Reformen nicht so leicht, glaubt Hayes:

    "Die Kultur in Washington ist absolut korrupt. Das Land – und ich weiß, das klingt radikal, aber es ist wahr – wird von einer Finanz-Oligarchie regiert, die beide Parteien in der Tasche hat. Ich will die Bedeutung der Finanzmarktreform gar nicht herunter spielen. Einige der Maßnahmen darin sind ziemlich hart nach der ganzen öffentlichen Empörung. Aber es ist müßig zu unterscheiden, wer auf der Seite von Wall Street steht und wer nicht – jedes Mitglied des US-Kongress spricht jeden Tag mit Vertretern von der Wall Street und sammelt Geld von ihnen oder lässt sich von ihnen ins Ohr flüstern. In den vergangenen Jahren hat sich der Finanzsektor immer weiter ausgedehnt und stellt nun 40-50 Prozent der Unternehmensgewinne – womit der Aufstieg von Politikern finanziert werden kann, die uns diese Krise eingebrockt haben. Also können wir taktische Nachbesserungen bei der Regulierung vornehmen, aber eigentlich müssten wir den finanziellen Einfluss der Banken brechen. Doch das wird nicht passieren."
    So wird Washington nicht mehr nur als politische Welthauptstadt gesehen, sondern auch als globale Zentrale des Großkapitals. Das lässt es dem Rest des Landes noch unheimlicher werden.
    Dabei ist Hass auf Washington nichts Neues in der US-Geschichte. Die junge Hauptstadt wurde 1790 zwar nach dem beliebten ersten Präsidenten benannt. Doch sie sollte auch nicht zu mächtig sein – deswegen erhielten ihre Einwohner noch nicht einmal das Recht, eigene Vertreter in den Kongress zu wählen.
    Schon lange gehört Skepsis gegenüber Washington in Amerika zum guten Ton. Hollywoodlegende James Stewart hat im Filmhit "Mr. Smith goes to Washington" den kleinen Helden aus der Provinz verewigt, der es den korrupten Großkopferten in der fernen Hauptstadt mal richtig zeigen will.
    Spätestens seit Ronald Reagan den Satz prägte, "the government" sei das Problem, nicht die Lösung, will fast jeder politische Bewerber in den USA ein kleiner Mr. Smith sein. Also klingen sie meist wie der republikanische Bewerber Mitt Romney, der sich schon auf eine Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2012 vorbereitet:
    "Washington ist wirklich im Eimer – und die Menschen im Land wollen Wandel in Washington. Doch den wird nicht jemand einläuten, der bislang dort gewesen ist und sich mit der Kultur in Washington identifiziert."
    Obama gelobte den Ton in Washington zu ändern. Kurz nach Amtsantritt aß er mit rechten Kolumnisten zu Abend, wichtige Abgeordnete der Opposition lud er ins Weiße Haus. Wieder und wieder beschwor er, dass Einigkeit in der Hauptstadt doch auch im nationalen Interesse liege:
    "Amerika braucht Versöhnung….Dieser Dialog ist der wichtigste Aspekt meines Wahlkampfes gewesen. Wir werden uns nicht zu jedem Thema einigen können – aber wir müssen eine Atmosphäre schaffen, in der wir verschiedener Meinung sein können, ohne gleich unangenehm zu werden. So können wir uns auf die Themen konzentrieren, die uns als Amerikaner verbinden."
    Doch schon bei der ersten wirklich wichtigen Kongress-Abstimmung mochte so gut wie kein Gegner mit dem Präsidenten stimmen - die Republikaner avancierten rasch zur "Party of No". Und sie bedienten sich des Filibuster, der berüchtigten Endlosdiskussion, mit der sich Abstimmungen schier unendlich blockieren lassen.
    Früher kam der nur zum Einsatz, wenn Großentscheidungen etwa über mehr Bürgerrechte für Minderheiten anstanden. Die Abgeordneten mussten dafür auch dableiben, sie übernachteten oft im Parlament. Heute sind die Regeln gelockert und das Drohen mit der Totalblockade viel häufiger. Zu rund 80 Prozent der Gesetzesinitiativen in Obamas Amtszeit versuchten die Republikaner einen Filibuster.
    Also fragen Amerikaner immer lauter, ob ihr politisches System überhaupt noch funktionieren kann. Moderate Stimmen wie Demokrat Evan Bayh – vor zwei Jahren noch als Obamas Vizepräsidentschaftskandidat im Gespräch – geben auf. Bayh kündigte im Februar an, nicht mehr zur fast sicheren Wiederwahl antreten zu wollen:
    "Ich glaube einfach nicht, dass der Kongress derzeit gut funktioniert. Wir brauchen unbedingt eine Reform, weil die Anliegen der Öffentlichkeit einfach kein Gehör finden. Wir haben viele gute Leute im Kongress – aber sie sind in einem System gefangen, das nicht funktioniert."
    Bayhs bitterer Abschied sagt viel über den Umgang der Washingtoner Politiker miteinander aus. Früher waren diese oft auch Freunde, gerade im Senat – der sich mit seinen 100 Mitgliedern als vornehmster Club der Welt versteht.
    Heute sind die US-Wahlkreise nun als Bastionen für eine Seite zugeschnitten, das begünstigt die Ideologen. Die Abgeordneten sind politische Unternehmer geworden – aber nur noch in eigener Sache. Sie leben meist nicht mehr in der Hauptstadt, sie verbringen so wenig Zeit wie möglich dort. Sie müssen ständig Geld sammeln, weil die Wahlkämpfe so teuer geworden sind und dauernd Wahlkampf herrscht.
    Es ist eine frustrierende Erfahrung für die US-Bürger, klagt John Podesta - als ehemaliger Stabschef von Bill Clinton mit harten politischen Auseinandersetzungen vertraut:
    "Diese Entwicklung hat für mich verschiedene Aspekte: Teilweise kommt sie sicher von der Verteilung unserer Wahlkreise in den USA – wodurch die besonders ideologischen Politiker die meisten Sitze gewinnen, gerade im Repräsentantenhaus. Auch die Art unserer Wahlkämpfe spielt eine Rolle, genau wie der Einfluss von Geld in der Politik. Die Polarisierung der Medien ist ebenfalls ein wichtiger Punkt. Ich glaube, dass die moderaten Wähler das alles einfach nicht mehr verstehen. Sie suchen verzweifelt nach jemandem, der das System reformiert. Deshalb schwanken sie von einem politischen Lager zum anderen – sie sind einfach so frustriert."
    Das lässt Raum für neue Bewegungen wie die rechte Tea Party Bewegung - die sich den Hass auf Washington auf ihre Fahnen geschrieben haben, weil die Politiker dort das Geld der Bürger verantwortungslos ausgäben, das Staatsdefizit außer Kontrolle geriete und die Verfassung nichts mehr zähle. Deren Heldin, die ehemalige Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin, ruft unverhohlen zum Marsch auf die Hauptstadt auf:
    "Aus tiefstem Herzen möchte ich im Namen von Millionen und Abermillionen Amerikanern diese Bewegung unterstützen. Diese Bewegung dreht sich um die Bürger. Wer kann gegen eine Initiative sein, die um die Bürger kreist und für die Bürger ist? Denkt daran, dass alle politische Macht von den Bürgern ausgeht und die Regierung für die Bürger zu arbeiten hat – darum geht es bei dieser Bewegung."
    Politiker wie Palin hören auf Meinungsforscher wie Frank Luntz, der Politikersprache sorgsam auf Wählerreaktionen testet. Bei Wählern löst das Wort "Washington" Wutgefühle aus, hat Luntz ermittelt. Also empfiehlt er seinen Kunden möglichst viel Washington-Schelte.
    Obama behauptet noch immer, er könne solche Stereotypen auflösen. "Wir sollten mit den Kindereien aufhören", sagt er.
    Doch David Remnick - Chef der Intellektuellenfibel New Yorker und Autor einer Obama-Biographie – hält den Einfluss des Präsidenten für begrenzt:
    "Ich glaube, zu Obamas Erfolg hat ein Charakterzug wesentlich beigetragen – dass er anderen Menschen den Eindruck vermittelt, ihnen wirklich zuzuhören. Das kann nicht jeder. Ohne ein Psychoanalytiker sein zu wollen, glaube ich sagen zu können, dass Obama daher eine gute Gelegenheit sieht, den politischen Diskurs zu ändern. Aber er täuscht sich, das ist das Problem. Obama kann das nicht schaffen. Selbst ein Präsident kann nicht mit einem Mal die Medien- und Politikkultur, die er vorfindet, verändern."
    Denn in der Hauptstadt gilt nicht mehr der 24-Stunden-Medienzyklus – sondern eher der 24-Minuten-Zyklus.
    Erfolgreiche neue Internet-Portale wie "Politico" konzentrieren sich nonstop auf die Blase Washington – und sind damit so erfolgreich, dass es schon als Zukunft des Journalismus gilt. Ein Heer blutjunger Reporter schaufelt fast in Echtzeit Nachrichten auf die "Politico"-Seite und beschattet Regierungsmitarbeiter wie Hollywood-Starlets. Wenn der junge Redenschreiber Obamas beim Biertrinken im Sommer sein T-Shirt auszieht, ist das Foto kurz darauf bei "Politico" anzuklicken.
    Das Weiße Haus tut gerne, als verabscheue es solche Berichterstattung – doch mischt selbst kräftigt mit. Der Journalist mit dem besten Zugang in Washington ist kein Print-Veteran mehr, sondern "Politico"-Kolumnist Mike Allen. Sein "Playbook", eine Art Online-Sammlung der wichtigsten Themen des Tages, hat jeden Morgen zwar nur rund 30.000 Leser. Doch darunter sind die einflussreichsten Menschen in der Hauptstadt.
    Obamas Kommunikationsdirektor hält per E-Mail laufend Kontakt mit Allen – und muss gleichzeitig mit einem Auge das Stakkato-Störfeuer rechter Sender wie Fox News verfolgen:
    "Er wird keinen Erfolg haben…Sozialismus ist gescheitert… Unser Land ist heute weniger sicher…Obama hat den Krieg gegen den Terror für beendet erklärt…Man kann nicht alle Wahlkampfversprechen brechen."
    So herrscht die permanent campaign, der ständige Wahlkampf. Längst sind auch die intellektuellen Vordenker in Washington oft Dauerwahlkämpfer geworden. Statt sich auf Studien und Analysen zu beschränken, fahren die Denkfabriken aufwändige Kampagnen – die linken Think Tanks rufen laut nach mehr Staat, die Rechten ebenso lautstark nach weniger.
    So ist die Hauptstadt gespaltener denn je – noch weit stärker als in den Skandalzeiten eines Bill Clinton. Dabei klagte der schon, Washington sei einfach besessen mit dem Spiel, wer gerade "in" sei und wer "out".
    Das gilt sogar für das Nachtleben. Manche hatten gedacht, Obama schaffe ein neues Camelot wie in der glamourösen Kennedy-Ära – gerade nach den langweiligen Jahren mit Partymuffel George W. Bush, der meist schon um neun Uhr abends im Bett lag.
    Obama, seit Kennedy der erste Präsident aus einer Großstadt, fing auch gut an: Er besuchte Basketballspiele, er führte Gattin Michelle in angesagte Lokale aus.
    Doch als Obamas Kultur- und Partybeauftragte Desirée Rogers das Weiße Haus für coole Künstler und Artisten öffnen wollte, bekam sie die spitzen Ellenbogen der eingesessenen Gesellschaft in Washington zu spüren – die lieber hinter hohen Mauern im Nobel-Stadtteil Georgetown unter sich bleibt.
    Die schicke Afro-Amerikanerin Rogers stehle der First Lady die Show, raunten sie. Als sich dann noch beim ersten Staatsbankett Neureiche ohne Einladung unter die Ehrengäste mischten, war die neue Camelot-Ära im Weißen Haus schon wieder vorbei. Frustriert zog Rogers zurück nach Chicago.
    Also ist auch das Weiße Haus wieder langweilig geworden. Zwar hat Obamas Wahl die einst reichlich spröde Beamtenstadt durchaus sexier werden lassen. Gerade bei jungen Leuten ist Washington wieder richtig angesagt.
    Einstige Problemviertel wie der "Black Broadway" U Street, auf dem Anfang des 20. Jahrhunderts Jazzgrößen wie Duke Ellington ihren Durchbruch schafften, pulsieren wieder mit Leben. Wo vor zehn Jahren noch Drogengangs kämpften, sprießen nun teure Apartmentgebäude und hippe Weinbars aus der Erde.
    Doch selbst dort muss Obama seine Grenzen einsehen. Nur sechs Kilometer von der hippen U Street liegt der Stadtteil Anacostia, wo viele der schwarzen Einwohner Washingtons leben, die 56 Prozent der Gesamtbevölkerung stellen.
    99 Prozent der Wähler im Problemviertel haben für den Präsidenten gestimmt – aber der Wandel lässt für sie auf sich warten. 40 Prozent der Schüler in Anacostia verlassen die Schule ohne Abschluss, ein Drittel der Einwohner kann nicht einmal lesen und schreiben. Die Aids-Infektionsrate ist höher als in irgendeiner anderen amerikanischen Stadt.
    In dieser Gegend erinnert nichts an die mächtige Welthauptstadt – sondern eher an tiefstes Mississippi.
    Obama muss also nicht weit blicken, um den Zwiespalt seiner Präsidentschaft zu erkennen. Vielleicht auch deshalb verlässt er derzeit das Weiße Haus besonders oft, um bei Auftritten im ganzen Land für seine Agenda zu werben. Es wirkt beinahe, als fliehe er aus der ungeliebten Hauptstadt.
    Vor dem Spott von Kritikern wie Sarah Palin ist er freilich dort auch nicht sicher:
    "Das war alles Teil dieser Botschaft von Hoffnung, Wandel und Transparenz. Und nun ein Jahr später muss ich die Unterstützer von all dem mal fragen: Wie gut klappt diese ganze Hoffnungs- und Wandel-Sache eigentlich für Euch?"
    Doch im kommenden Wahlkampf könnte es noch viel schlimmer für den Präsidenten kommen. Der Slogan, den seine Gegner vorbereiten, lautet: Nicht Obama hat Washington verändert. Die Stadt hat ihn verändert.
    Man kann es noch verheerender formulieren: Obama ist jetzt einer aus Washington.