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Die unglaublichen Abenteuer von Kavalier & Clay

1939 war ein amerikanisches Comic-Heft, wie die Biber und Kakerlaken der Urzeit, größer und auf eine klobige Art prächtiger als sein moderner Abkömmling. Es hatte das Format eines Hochglanzmagazins und die Dicke eines Billigromans und bot (inklusive Einband) 64 grelle Seiten für den perfekten Preis von einem schmalen Zehncentstück. Während die Qualität der Illustrationen im Innenteil im Allgemeinen bestenfalls schauerlich war, gaukelte das Deckblatt die Ausstattung und Gestaltung eines Hochglanzmagazins und den Pfeffer eines Schundromans vor. Die Deckblätter waren nicht einfach gedruckt und koloriert, sondern wurden häufig von Männern handgemalt, die einen zuverlässigen Ruf in der Branche genossen, routinierte Illustratoren, die in null Komma nichts täuschend echte Laborhelferinnen in Ketten, träge, detailgetreue Dschungelkatzen und anatomisch glaubwürdige Männerkörper produzierten, deren Füße das Gewicht tatsächlich tragen konnten.

Florian Felix Weyh | 06.10.2002
    In Europa gehen die Lichter aus, die Bürger der Vereinigten Staaten genießen die Früchte eines Wirtschaftsaufschwungs. Konsum und Kultur, diese in Amerika verblüffenderweise als Zwillinge auftretenden Antagonisten, stehen in voller Blüte. Bigband-Jazz und Hollywoodmelodramen erreichen ein Millionenpublikum und machen deren Stars zu Millionären. Ein drittes massenkulturelles Phänomen beginnt sich von der Basis her zu verbreiten. Meist sind es pubertierende Jungen, die die grobschlächtig gezeichneten und simpel getexteten Bildergeschichten eines Superman allwöchentlich verschlingen. Ursprünglich auf wenige Sequenzen in Tageszeitungen beschränkt (daher der Comic-Strip, nämlich ein Streifen von drei bis sechs Bildern), entwickelt sich aus den kindlich anmutenden Bildprodukten Ende der dreißiger Jahre ein expandierender Industriezweig. Beileibe nicht nur Minderjährige schätzen und lieben diese Misch- und Schrumpfform der alphabetischen Kultur. Auch erwachsene Einwanderer werden eher durch Comics sozialisiert als durch staatskundliche Broschüren, ganz zu schweigen von hoher Literatur. Nie sind Europa und Amerika weiter voneinander entfernt als in dieser Zeit. Bis zum Kriegseintritt der USA im Jahre 1941 verspricht der amerikanische Sonderweg Frieden und Wohlstand, solange man sich nicht von der europäischen Krankheit anstecken läßt. Was sich dort an Rassenwahn und militärischem Imperialismus Bahn bricht, geht nur diejenigen an, deren Verbindung in die Alte Welt noch nicht abgerissen ist. Doch das betrifft mehr Menschen, als es das isolationistisch gestimmte Polit-Establishment erwartet. So bleibt es nicht aus, daß die Schrecken der deutschen Terrorherrschaft Eingang ins unpolitische Unterhaltungsgenre finden. Zum Beispiel in Gestalt Adolf Hitlers. Auf einem Comic-Heft wird er - was sonst? - vom Superhelden nach Kräften vermöbelt:

    Nichts, das Joe je gemalt hatte, hatte ihn größerer Befriedigung erfüllt. Der Bildaufbau war realistisch, schlicht und modern: die beiden Figuren, das runde Podium, der blau und weiß angedeutete Himmel. Die Figuren besaßen Präsenz und Fülle; die perspektivisch verkürzte Darstellung von Hitlers fliegendem Körper war gewagt und ein wenig schief, jedoch auf eine Art, die irgendwie überzeugend war. Der Faltenwurf der Kleidung stimmte; die Uniform des Eskapists sah wie eine Uniform aus, wie ein an manchen Stellen gebauschter, aber eng anliegender Jerseystoff und nicht einfach wie blau bemalte Haut. Doch vor allem war die Freude, die Joe über die brutale Abreibung empfunden hatte, intensiv, dauerhaft und sonderbar erlösend gewesen. Dann und wann hatte er sich in den vergangenen Tagen mit dem Gedanken getröstet, dass eine Ausgabe dieses Comic-Hefts irgendwie bis nach Berlin gelangen und auf den Schreibtisch von Hitler persönlich flattern würde, dass dieser das Gemälde, in das Joe all seinen angestauten Zorn hatte fließen lassen, betrachten und mit der Zunge nach einem ausgefallenen Zahn tasten würde.

    Längst sind solche Bildergeschichten als Vorboten der visuellen Gesellschaft des 21. Jahrhunderts kunstverdächtig geworden, und je länger die "Schmutz-und-Schund"-Kampagnen vergangener Zeiten zurückliegen, desto stärker wächst die Aura der einst verfemten Produkte. Eine hoch ambitionierte Mischung aus Roman und narrativ verpackter Kulturgeschichte tritt einem mit Michael Chabons "Unglaublichen Abenteuern von Kavalier & Clay" entgegen. Wer allerdings beim genretypischen Bandwurmtitel an zwei gezeichnete Mäusemännchen im Stile Walt Disneys denkt - was anderes können Kavalier & Clay sein? - unterliegt einem deutschen Irrtum. Denn amerikanische Comic-Kultur bedeutet etwas gänzlich anderes als das, was nach dem zweiten Weltkrieg die hiesigen Kioske dominierte:

    Bei Tiercomics war für Sammy Schluss. Der Erfolg dieser knopfaugigen, dreifingrigen Importwesen aus der Welt der Zeichentrickfilme mit ihren hohlen Gags und kindischen Streichen war eines von tausend kleinen Dingen, die Sammy Clay das Herz gebrochen hatten.

    Samuel Claymann - nom de guerre Sam Clay - produziert zusammen mit seinem Cousin Joseph Kavalier echte Comics: Zerrbilder von Menschen und ihrer Gesellschaft, in denen das Böse allen apokalyptischen Schrecken übersteigt, das Gute jedoch Kräfte besitzt, die es nach 64 Seiten stets siegen lassen. Mit Micky Maus, Fix und Foxi oder Asterix hat das so wenig zu tun wie ein Kriegsfilm mit französischen Komödien. Natürlich werden Superhelden dieser Provenienz nicht zufällig geboren, sie entstehen als Reflex auf historische Figuren. Wer 1939 beinahe täglich von den realen Schurkereien Hitlers und Stalins im Radio hört, braucht - zumal als Jugendlicher - die Imagination einer starken, reinen Gegenkraft. Im Roman nennt sie sich nicht "Superman", sondern "der Eskapist":

    Im Verlauf der letzten Woche war Joe in Gestalt des Eskapists, Meister des Entkommens, nach Europa geflogen (...) war gefangen genommen und nach Berlin verschleppt worden, wo er an eine groteske Multi-Guillotine gefesselt worden war, die ihn unter dem selbstzufriedenen Blick des Führers wie ein hartgekochtes Ei zerhacken sollte. Selbstverständlich hatte er sich geduldig und unbezwingbar aus seinen genieteten Stahlfesseln herausgearbeitet und war dem Diktator an die Gurgel gesprungen. An dieser Stelle - zwanzig Seiten vor der Anzeige des Bodybuilders Charles Atlas auf der Innenseite des hinteren Umschlags - hatte sich eine komplette Division der Wehrmacht zwischen die Hände Eskapists und den von ihm begehrten Kehlkopf gedrängt. Auf den nächsten achtzehn Seiten hatte ein Kampf zwischen Wehrmacht, Luftwaffe und dem Eskapist auf Bildern stattgefunden, die sich zusammendrängten, -schoben, übereinander türmten und die Ränder der Seiten zu sprengen drohten. (...) Auf der allerletzten Seite hatte der Eskapist, ein transzendentaler Augenblick in der Geschichte von Wunschvorstellungen, Adolf Hitler gefangen genommen und vor ein Weltgericht gestellt. Den Kopf vor Schmach und Scham endlich gesenkt, war Hitler wegen seiner Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt worden. Der Krieg war vorbei; eine weltweite Ära des Friedens wurde ausgerufen, die gefangenen und verfolgten Völker Europas - darunter unausgesprochen und inbrünstig die Familie Kavalier aus Prag - waren frei.

    Joseph - "Joe" - Kavalier ist selbst ein Entkommener. Den Nazischergen in Prag entronnen, schlägt er sich quer über Rußland und Japan nach Nordamerika durch. Dort findet er bei seiner Tante Ethel und ihrem Sohn Samuel Unterschlupf. Samuel arbeitet als Werbe-Illustrator bei einem drittklassigen Scherzartikelversand und kennt nur den bohrenden Wunsch nach einem eigenen Comic-Helden. Seine zeichnerische Begabung reicht indes nicht aus, er ist ein phantasievoller Geschichtenerfinder und guter Texter, aber kein Genie an der Tuschfeder. Joe Kavalier hingegen bringt nicht nur eine Kunsthochschulausbildung und sein persönliches Rachebedürfnis mit nach Amerika, er ist selber das, was seine Comic-Held bald sein wird: ein Entfesselungskünstler, ein Eskapist. In Prag hat er Unterricht beim Zauberkünstler Kornblum genommen, der seinerseits dem großen Houdini nahestand. Als er in maßloser Überschätzung der eigenen Künste dem jüngeren Bruder zeigen will, daß er sich in jeder Lage von Ketten und Fesseln befreien kann, entkommt Joseph nur mit Mühe einer Kiste auf dem Grunde der Moldau. Danach ist Schluß mit der Entfesselungskunst, doch das Motiv verfolgt ihn weiter. Schon seine Flucht aus dem besetzten Prag findet in einem Sarg statt, einem besonderen freilich: Er transportiert den sagenumwobenen Golem aus einem Hinterhausversteck ins noch unbesetzte Vilnius:

    Sein kalter Lehmkörper schien unter dem Druck der Fingerspitzen ein wenig nachzugeben, und ein minimaler Bewegungsspielraum (...) war dem Ellenbogen des rechten Armes zu eigen, jenes Armes, den er, wie die Legende berichtet, ausgestreckt haben musste, um bei der allabendlichen Heimkehr von seinem Tagewerk die Mesusa auf der Türschwelle seines Erschaffers zu berühren und anschließend seine von der Heiligen Schrift geküssten Finger an die Lippen zu führen. Knie und Knöchel des Golems indes waren mehr oder weniger versteinert. Darüber hinaus waren Hände und Füße schlecht gestaltet und, wie es bei der Arbeit laienhafter Künstler oft der Fall ist, viel zu groß für seinen Körper.

    Schon die ersten Kapitel des 800 Seiten langen Romans geben den Rahmen der surrealen Phantastik vor, den Michael Chabon nach Belieben ausmißt. Zwischen den Grenzpfeilern jüdischer Mystik und trivialer Jahrmarktskultur - Samuels unsteter Vater arbeitet beim Varieté - läßt sich jede Erfindung, jeder Zufall motivieren. Das Wort "Groteske" ist beinahe zu schwach für das, was den beiden Helden ständig widerfährt. Genauer: einem von beiden, denn das Schwergewicht liegt eindeutig auf Joseph Kavalier, der dem realen Comiczeichner Will Eisner nachgebildet ist (Bei dessen Figur "The Spirit" nimmt der "Eskapist" deutliche Anleihen.) Dagegen bleibt sein Kompagnon Samuel bis auf ein homosexuelles Coming-Out reichlich blaß. Joseph ermöglicht den Erfolg des Duos, aber ihn treffen die Schicksalsschläge auch ungleich härter. Binnen Jahresfrist werden beide wohlhabend, denn außer dem "Eskapist" erfindet der tschechische Flüchtling ein halbes Dutzend weiterer Erfolgsfiguren. Getrieben vom Willen, in Gestalt der Comics den Kampf gegen Hitler aufzunehmen, rastet und ruht der Zwanzigjährige kaum. Zumindest bei einer Splittergruppe von US-Nazis hat er damit Erfolg. Deren Drahtzieher legt eine Bombe, die ihn allerdings selbst stärker verwundet als den jüdischen Zeichner. Weder dieses glückliche Überleben, noch sein wirtschaftlicher Erfolg erhöhen Joseph Kavaliers Zufriedenheit. Seine Eltern sind in Theresienstadt interniert (und kommen dort mutmaßlich um), sein kleiner Bruder wartet in Portugal auf eine Transatlantikpassage. Als er sich endlich auf dem Schiff befindet, wird es von einem deutschen U-Boot torpediert. Hunderte schon als gerettet geltenden Flüchtlingskinder finden den Tod. Nicht einmal die tiefe Liebe zu einer Frau, die inzwischen Teil seines Lebens geworden ist, verhindert den Absturz Joe Kavaliers ins Bodenlose. Bei Nacht und Nebel verläßt er Frau und - wie er erst später erfährt - sein ungeborenes Kind. Eine ganze Dekade ohne Lebenszeichen vergeht. Dann taucht der Verschollene wieder im Leben von Rosa Saks und ihrem Sohn auf:

    Secretman lebte in einem Zwei-Zimmer-Büro mit vier Fenstern, die auf Bloomtown und Greenland zeigten. Er besaß einen Schreibtisch, einen Stuhl, einen Zeichentisch, einen Hocker, einen Sessel, eine Stehlampe, ein kompliziertes Multiband-Funksystem, das mit Metern wuchernder Antennen behängt war, dazu ein spezielles kleines Schränkchen, dessen zahlreiche flache Schubladen mit Stiften, Bleistiften, zerquetschten Farbtuben und Radierern gefüllt waren. Ein Telefon gab es nicht; ebenso wenig eine Heizung, einen Kühlschrank oder ein ordentliches Bett.

    Im Empire State Building - seiner alten Wirkungsstätte - wird Joseph Kavalier 1954 von seinem mittlerweile zwölfjährigen Sohn aufgestöbert. Das Kind lebt in einer scheinbar intakten Familie, denn der homosexuelle Cousin Samuel hat sich der schwangeren Rosa angenommen und sie geheiratet - für beide eine von den Zeitumständen erzwungene Notlösung. Der Sohn führt den Vater nach Hause, die alte Liebe zwischen Rosa und Joseph flammt erneut auf, und Samuel räumt diskret seinen Platz. Doch wo um alles in der Welt hat Joseph Kavalier den Krieg verbracht?

    Die Funkverbindung von Marinestation SD-A2(R) zur Außenwelt war siebzehn Stunden nach der Waldorf-Katastrophe wiederhergestellt worden. Während des gesamten Zeitraums hatte Joe nicht geschlafen, sondern alle zehn Minuten einen neuen Versuch gemacht, bis er das Oberkommando in Guantánamo Bay schließlich um 0700 GMT erreichte und berichten konnte (...), dass die gesamte Besatzung von Kelvinator außer Kavalier und Shannenhouse sowie alle Hunde bis auf einen am 10. April an einer Kohlenmonoxydvergiftung infolge schlechter Belüftung der Schlafquartiere gestorben seien. Die Antwort vom Oberkommando war knapp, spiegelte jedoch ein gewisses Maß an Bestürzung und Verwirrung. Es wurde eine Reihe paradoxer, unpraktischer Befehle ausgegeben und widerrufen. Das Oberkommando brauchte länger als Joe und Shannenhouse, um einzusehen, dass vor September nichts zu machen war. Die toten Männer und Hunde würden sich bis dahin hervorragend halten; Verwesung war hier ein unbekanntes Phänomen. Die Walbucht war zugefroren und unpassierbar, und das würde sie noch mindestens drei Monate lang bleiben. In der Drakestraße wimmelte es jedenfalls von U-Booten, wie die von Joe abgefangenen Kurzmeldungen an den Befehlshaber der deutschen U-Boote bestätigt hatten. (...) Schließlich gab das Oberkommando fünf Tage nach Joes erster Nachricht den ziemlich überflüssigen Befehl aus, dort zu bleiben und den Frühling abzuwarten.

    In der Antarktis schiebt G.I. Kavalier seinen sinnlosen Dienst. Fernab der Schlachtfelder, die er doch so gerne mit seinem Blut benetzt hätte, bleibt er als letzter Außenposten übrig, nachdem Pilot Shannenhouse einem geplatzten Blinddarm erlag. Allerdings unterhalten die Deutschen ebenfalls eine Südpolarstation, und das gibt Kavalier die Möglichkeit, endlich Rache für Bruder und Eltern zu nehmen. Er tötet einen vereinsamten deutschen Wissenschaftler und kehrt - psychisch zerrüttet - als einziger Überlebender dieses bizarren Polarfeldzugs in die Zivilisation zurück.

    "Es gibt nur ein zuverlässiges Mittel im Leben", sagte Deasy, "wenn man sicherstellen will, dass man nicht von Enttäuschung, Sinnlosigkeit und Desillusion zerrieben wird. Und das ist, immer nach allerbesten Kräften sicherzustellen, dass man es allein wegen des Geldes tut."

    Dieses Zitat - ziemlich genau in der Mitte des Buches einem zynischen Redakteur in den Mund gelegt - markiert die einzige realistische Stelle des 800-Seiten-Werks. Ein Credo, das den Autor sicher nicht ganz unberührt gelassen hat: Über eine halbe Million mal wurden die "Unglaublichen Abenteuer von Kavalier & Clay" in Amerika verkauft. Wohl kein Zufall, denn dieses zwischen "Indiana Jones", Jules Verne und "Time-Life"-Epochendarstellungen angesiedelte Epos ist von vorn bis hinten messerscharf durchkalkuliert und auf amerikanische Lesebedürfnisse ausgerichtet. Es bedient alle Muster des gelungenen Aufstiegs kleiner Leute, weiß sich moralisch auf der richtigen Seite und ist an jenen Stellen mutig, an denen eine abweichende Meinung heute nichts mehr kostet. Vor dem Hintergrund europäischen Erzähltraditionen liest sich der Roman freilich ganz anders: Sein synthetisches Strickmuster geht so gut auf, daß es eben nicht mehr aufgeht - man kennt das Phänomen aus Hollywood, wo mechanisch perfekte Drehbücher schale Filme erzeugen. Literatur ohne eine einzige Sackgasse, ohne Rätsel und Geheimnisse ruft stetig wachsenden Verdruß hervor, der auch vom Informationsgehalt essayistisch angehauchter Passagen kaum gemildert wird. Doch halt! Handelt es sich nicht um die kunstvolle Überführung einer schnittbetonten, bildgeprägten und darum notgedrungen oberflächlichen Gattung in eine sprachgeprägte, kontinuierliche Erzählweise? An seiner Sympathie für Comic-Ästhetik läßt Michael Chabon keinen Zweifel:

    Joe liebte seine Comics: wegen ihrer billigen Farbseparation, des minderwertigen Papiers, der Anzeigen für Luftgewehre, Tanzkurse und Anti-Pickel-Cremes (...). Am meisten liebte er sie wegen ihrer Bilder und Geschichten, wegen der Eingebungen und nächtlichen Maloche von fünfhundert älter gewordenen Kollegen, die, so gut sie konnten, fünfzehn Jahre lang Märchen erträumt hatten, die ihre Unsicherheit und Enttäuschung, ihre Wünsche und Zweifel, ihre staatliche Erziehung und sexuelle Perversion in etwas verwandelt hatten, dem nur die kurzsichtigste aller Gesellschaften den Kunststatus verweigern konnte.

    Detailreichtum, schier überbordende Einfallsfülle und sprachliche Verschwendungswut lassen sich dem Roman nicht absprechen. Er ist bienenfleißig recherchiert (allein die Danksagungen füllen drei eng beschriebene Seiten) und von einer erdrückenden Anspruchshaltung: die Epoche zwischen 1939 und 1954 atmosphärisch widerzuspiegeln. Das verleitete Kritiker zu Vergleichen, die besser unterblieben wären: ein Thomas Pynchon, ein Don DeLillo wird Michael Chabon nie werden. Er kennt den Unterschied zwischen Menge und Substanz nicht, auch der zwischen dem Willen zum Witz und leichtfüßiger Unterhaltsamkeit ist ihm wesensfremd. Dem auf dem Zeichenbrett ausgetüftelten Handlungskorsett fehlt jegliche innere Ökonomie. Ein Comic-Roman eben: Alles kann zu jeder Zeit passieren, also passiert es auch. Chabons Welt ist die adjektivisch-bunte Beschreibung unwahrscheinlicher Szenen, seine Dialoge bleiben dagegen unpointiert und fad - und das, obwohl Comics eigentlich von Sprechblasen leben! Tröstlich allemal: Es gibt noch kulturelle Differenzen zwischen Amerika und der Alten Welt. Um dies festzustellen, genügt allerdings eine Stichprobe von drei Dutzend Seiten, dann weiß man, welchem kulturellen Kontinent man selbst angehört.