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Die Unmöglichkeit der Liebe

Mit viel Humor und brillanten Schauspielern bringt Regisseurin Karin Neuhäuser "Minna von Barnhelm" im Theater an der Ruhr in Mülheim auf die Bühne. Mit der Inszenierung gelingt ihr gute Unterhaltung und gleichzeitig ein Blick auf eine orientierungslose Nachkriegsgesellschaft und die Unmöglichkeit der Liebe.

Von Dorothea Marcus |
    Sind wir hier wirklich im richtigen Stück? In einer Textilfabrik werden Kisten gestapelt, lieblich schön singt die Belegschaft ein schwebendes "Lili Marleen" während der Akkord-Arbeit. Bis die Fabriksirene dröhnt, die Tupperdosen verteilt werden und statt eines Pausenbrotes ein Reclam-Heft herausfällt. Fesselnde Lektüre für Fabrikarbeiter. Bald beugen sich die jungen Frauen und Herren in geblümten Hausfrauenkitteln eifrig über die Lektüre von "Minna von Barnhelm", das bekannteste deutsche Lustspiel der Literaturgeschichte, als sei es ein Groschenroman. Bis, man ahnt es, alle anfangen, die Geschichte nachzuspielen.

    Die Fabrik-Rahmenhandlung, in die Karin Neuhäuser Lessings "Minna von Barnhelm" gesetzt hat, ist eher die ironische Replik auf ein 50er-Jahre-Märchen als eine moderne Lesart. Sie zeigt höchstens, wie sehr man im Alltag gefangen ist, während man doch so gerne von Majoren und Gräfinnen träumt. Passend zum Gefühl des Gefangenseins ist das Bühnenbild ein grüner Käfig, an dem reihenweise Kleider hängen, die je nach Rolle ausgewählt werden. Die Requisiten kommen dagegen aus den rund 30 Kartons. Praktischerweise spielt auch der Requisiteur mit, falls mal die Orientierung verloren geht. Nach einem siebenjährigen Krieg ist das Leben eben nur noch ein Provisorium. Der Wirt zieht sich einen Hausmeisterkittel an, der Diener Just ist ein kriegsversehrter Rambo, und auch Major Tellheim sieht ziemlich ramponiert-soldatisch aus. Weit entfernt jedenfalls ist er von dem Bild, das sich Simone Thomas Fräulein Minna von Barnhelm macht, während sie sich mit ihrer Kammerzofe im Himmelbett wälzt und weltfremd von ihrem fernen Soldaten fantasiert.

    "Wenn die Soldaten durch die Stadt marschieren, öffnen die Mädchen die Fenster und die Türen."

    Ihr Riesenteddy trägt Preußenuniform, doch Klaus Herzogs traumatisierter, verklemmter Soldat Tellheim ist eher ein Brummbär, der sich nicht recht in das geplante Happy-End einpassen will.

    "Sie suchten einen Glücklichen, einen Ihrer Liebe würdigen Mann, und finden einen Elenden.
    Der hat Sie nie geliebt, der eine andere nach Ihnen lieben kann.
    Sie lieben mich nicht mehr…
    Mein Fräulein … der Unglückliche muss gar nichts lieben."

    Nachdem ihnen das resolut sächselnde Kammermädchen Franziska den Tisch auf dem Bett gedeckt hat, wird das Ausmaß der Entfremdung erst so richtig klar: Herzog ist ganz verknöcherter, altväterlicher Ehrbegriff, der die Hacken beim Wiedersehen zusammenschlägt und von inneren Zwängen gepeinigt ist, von denen Minna keine Ahnung hat. Sie dagegen ist ein weltfernes, verwöhntes Audrey-Hepburn-It-Girl, eine Mischung aus unbedarftem Mädchen und bevormundender ältlicher Tante, die ihm so fürsorglich wie übergriffig die Kartoffeln zerteilt. Das kann nichts werden mit den beiden.
    Die Schauspieler in Karin Neuhäusers "Minna" laufen zu komödiantischer Höchstform auf. Ein Ereignis etwa ist Dagmar Geppert als bodenständige Kammerzofe Franziska mit pinken Spangen und rosa Ballett-Rock, die gerne mal einen Schluck trinkt und kein Hehl aus ihrer Herkunft macht:
    "Fräulein von Barnhelm kommen von Ihren Gütern nebst ihrer Kammerfrau …
    Kammerfrau, das soll ich wohl sein? Es möchte ein Missverständnis sein! Ich bin wirklich Jungfrau und ich heiß Franziska und ich bin aus Thüringen …"

    Dagmar Gepperts rustikale Mädchenhaftigkeit ist ein toller Gegenentwurf zum blasiert-blassem Adelsfräulein von Simone Thoma. Und auch Steffen Reuber als spitzelnder Gutmensch-Wirt mit Uralt-Kassettenrecorder und haarigem Mikrofon regt zu mancher Slapstick-Szene an. Aber trotz des virtuosen Klamauks wird eben auch von der Unmöglichkeit der Liebe erzählt, wenn man sich Bilder voneinander macht: Zum Schluss sitzen der Major und Minna apathisch Händchen haltend auf dem Bett. Verliebt sieht anders aus.

    Zwar amüsiert man sich an diesem Abend prächtig. Doch Regisseurin Karin Neuhäuser erzählt letztlich mit leichter Hand und feinem Humor von der Orientierungslosigkeit einer Gesellschaft nach einem Krieg, von der Unmöglichkeit der Liebe und von der vergeblichen Sehnsucht, dass alles doch so wäre wie im Groschenroman.