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Die Väter des Grundgesetzes

Heute vor 60 Jahren konstituierte sich in Bonn der Parlamentarische Rat. Er bildete, auf Initiative der westalliierten Siegermächte, die parlamentarisch legitimierte Versammlung für die Verfassung eines westdeutschen Teilstaats. Nach nur acht Monaten wurde das Grundgesetz vom Parlamentarischen Rat mit großer Mehrheit angenommen.

Von Bernd Ulrich | 01.09.2008
    " Gleich neben mir sind vielleicht vier bis fünf Herren damit beschäftigt, eine vier Meter fünfzig lange Giraffe hinter einem großen Holzverschlag verschwinden zu lassen. Wie ja überhaupt die Zoologen in diesen Tagen mit einem weinenden Auge ihre großen Schaukästen in die Ecke stellen müssen. Die erlauchte Versammlung wird hier - umrahmt von indischen Elefanten und allen möglich Skeletten aus der ganzen Welt - ihre Versammlungen abhalten können."

    Die erlauchte Versammlung, von deren Vorbereitung der Reporter Hans Jesse berichtete, war der Parlamentarische Rat, der sich am 1. September 1948 in Bonn konstituierte. In Ermangelung eines intakten Gebäudes musste auf das alte zoologische Museum Alexander Koenig in Bonn zurückgegriffen werden. So provisorisch wie die Eröffnungsfeier war in der Wahrnehmung vieler Teilnehmer auch das, was der Rat zu erarbeiten hatte: Eine Bundesverfassung für einen deutschen Staat auf dem Gebiet der drei Westzonen. Und das in einer, wie es der frisch gewählte Präsident des Rates, Konrad Adenauer, in seiner Antrittsrede ausführte, völlig ungewissen Zeit:

    " Der parlamentarische Rat beginnt seine Tätigkeit - wir habens heute morjen bei der Feier im Museum Koenig gehört und wir wissens ja alle - in einer völlig ungewissen Zeit, in einer Zeit der Ungewissheit über Deutschlands Zukunft, ja, auch die Zukunft Europas und der Welt ist dunkel und unsicher. Und Deutschland selbst ist politisch ohnmächtig."

    Das besiegte und für manche auch befreite Deutschland war, so der Historiker Manfred Görtemaker,

    Innerhalb weniger Monate vom Modellfall alliierter Kooperationsfähigkeit zum Testfall für den sich anbahnenden Ost-West-Konflikt geworden.

    Angesichts dieses Konflikts nahmen vor allem auf amerikanischer Seite die Pläne für einen Weststaat konkrete Züge an. Bereits am 1. Juli 1948 hatten die westalliierten Militärgouverneure die so genannten Frankfurter Dokumente an die Ministerpräsidenten der wieder gegründeten Länder übergeben. Sie waren darin aufgefordert worden, eine Versammlung einzuberufen, die eine demokratische Verfassung mit einer Grundrechtsgarantie und einem föderalen Staatsaufbau ausarbeiten sollte.

    Aber bedeutete die Schaffung eines westdeutschen Teilstaats nicht die Zementierung der deutschen Teilung? Das war ein Vorbehalt, der auch im schließlich gefundenen Begriff "Grundgesetz" für die zu schaffende Verfassung seinen Niederschlag fand. Er sei, wie es der Ministerpräsident von Württemberg-Baden, Reinhold Maier, beschrieb,

    Wie vom Himmel gefallen und bemächtigte sich unserer Köpfe und Sinne, gewiss nicht der Herzen.

    Doch trotz aller Bedenken und Vorbehalte entstand in über acht Monaten der Beratungen und Ausschüsse ein bedeutendes Verfassungswerk. Die 65 von den Landtagen nominierten, stimmberechtigten Parlamentarier hatten ab Mitte September 1948 daran gearbeitet. Dabei kam es zu harten Kontroversen, etwa als es um die Kompetenzen des Bundespräsidenten ging, um die Rolle des Bundesrats und insbesondere um den vorläufigen Sitz der Bundeshauptstadt. Am Ende mussten sich der Rat für Bonn oder Frankfurt am Main entscheiden. Am 10. Mai 1949 verkündete Konrad Adenauer das Ergebnis in einer öffentlichen Sitzung:

    " Ich bitte, dass die Zuhörer jedes Zeichen des Missfalls und Beifalls unterlassen. Das Ergebnis der Abstimmung ist folgendes: Es haben erhalten - Bonn 33, Frankfurt 29. "

    Nach der Genehmigung durch die Militärbefehlshaber der Westzonen erfolgte die Verkündung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949. Einen Tag später trat es in Kraft.

    Was heißt aber eine Verfassung?

    So fragte einer der Grundgesetzväter, der Sozialdemokrat Carlo Schmid, auf der 2. Sitzung des Parlamentarischen Rates am 8. September 1948:

    Eine Verfassung ist die Gesamtentscheidung eines freien Volkes über die Formen und die Inhalte seiner politischen Existenz. Nichts steht über ihr, niemand kann sie außer Kraft setzen, niemand kann sie ignorieren. Eine Verfassung ist nichts anderes als die in Rechtsform gebrachte Selbstverwirklichung der Freiheit eines Volkes. Darin liegt ihr Pathos und dafür sind die Völker auf die Barrikaden gegangen.

    Auf die Barrikaden gegangen sind die Deutschen nicht für ihr Grundgesetz. Dessen Ausstrahlungskraft für den Aufbau und den Erhalt der Bundesrepublik hat dies jedoch keinen Abbruch getan.

    Der Parlamentarische Rat löste sich nach getaner Arbeit auf. Am 14. August 1949 erfolgte die Wahl zum ersten Bundestag. Die Bundesrepublik hatte die politische Bühne betreten.