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Die Vereinigten Staaten von China

Lange Zeit funktionierte das Verhältnis zwischen den USA und China nach einem recht einfachen System: China produziert günstig und in Massen, Amerika konsumiert. Doch damit ist es nun vorbei.

Von Frank Hohlmann | 01.08.2009
    Amerika leidet unter einer Rekordverschuldung von 1,8 Billionen Dollar, das schränkt natürlich die Kaufkraft ein, aber das allein belastet die Beziehung zwischen den Länder nicht. Chinas sorgt sich vielmehr um sein Geld, um seine Staatsanleihen zum Beispiel, denn China ist der größte Gläubiger der USA: Amerika steht bei keiner anderen Nation so tief in der Kreide. US-Staatsanleihen im Wert von rund 800 Milliarden Dollar sind in chinesischem Besitz. Und damit ist die amerikanische Rekordverschuldung nicht nur ein amerikanisches, sondern auch ein chinesisches Problem. Unter diesen Voraussetzungen trafen sich in dieser Woche China und die Vereinigten Staaten zu einem Gipfeltreffen in Washington. In seiner Grundsatzrede definierte Barack Obama das Verhältnis der beiden Länder neu:

    "Die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und China werden das 21. Jahrhundert prägen, es wird eine der wichtigsten bilateralen Beziehungen in der Welt","

    … so Obama beim Strategie- und Wirtschaftsforum diese Woche in Washington, und das sind wahrlich andere Töne, als sie noch sein Vorgänger anschlug; unter Bush war China ein strategischer Konkurrent, Obama spricht dagegen von Partnerschaft.

    Doch auch wenn sich die geopolitischen Kräfteverhältnisse offensichtlich ändern und China längst zum weltpolitischen Schwergewicht geworden ist, ist die innenpolitische Situation in China noch lange nicht stabil. Blutige Konflikte sind in China an der Tagesordnung. Der rasante wirtschaftliche Umbruch in dem Land, das vor Beginn der Öffnung 1978 kommunistische Massenbewegungen gewohnt war, sorgt für Angst und Ausschreitungen. Zehntausende blutige Proteste gibt es jedes Jahr, wenn die Arbeiter in den maroden Staatsbetrieben um ihre Arbeit und die Rente bangen. Wie weit sie dabei gehen, schildert Frank Hohlmann:



    Zunächst demonstrierten die Arbeiter des Stahlwerks in Tonghua nur, sie hielten Transparente, auf denen stand: Wir wollen leben, unsere Kinder wollen zur Schule gehen. 30 Euro im Monat verdienten die Arbeiter – selbst in China ein Hungerlohn. Nun aber sollte der Staatsbetrieb privatisiert werden, aus dem wie noch in der tiefsten Mao-Ära geführten Betrieb ein, modernes wirtschaftliches Unternehmen werden, ein Unternehmen, in dem die Mitarbeiter auch als Kostenfaktor eingestuft werden.

    Chen Guojun, der neue Manager, hatte angekündigt, 25.000 zu entlassen. Gewalt brach aus. Die Arbeiter prügelten Chen zu Tode und versperrten Polizei und Ärzten den Weg zu dem Sterbenden. Die Arbeiter ließen die Mediziner erst durch, als ihnen versprochen wurde, die Privatisierung des Stahlwerks werde gestoppt. Wang Xidong von der Regierung der Provinz Jilin erklärte:

    ""Einige pensionierte Arbeiter hatten negative Gefühle über die Übernahme. Sie verbreiteten Gerüchte. Die meisten Leute hatten keine Ahnung, was die Übernahme bedeuten würde. Und dass die Reform viel Kapital erfordert. Die Leute ließen sich aufwiegeln und ließen sich nur von ihren Gefühlen leiten."

    Eine typische Erklärung der Regierenden, wenn in China Gewalt ausbricht. In den späten 90er-Jahren haben bis zu 40 Millionen Arbeiter von Staatsbetrieben ihre Jobs verloren und ihre Pensionen. Denn wie in anderen kommunistischen Staaten auch, zahlten die Staatsbetriebe auch die Altersbezüge, der kommunistische Werktätige blieb quasi ein Leben lang auf der Lohnliste. Doch wird der Staatsbetrieb aufgelöst oder geht pleite, zahlt auch niemand mehr eine Rente. Die Folge: Die Alten sind bislang die großen Verlierer der von Deng Xiaoping vor 30 Jahren eingeleiteten Wirtschaftsreformen.

    Die sah unter anderem vor, Staatsbetriebe zu privatisieren und in Aktiengesellschaften zu verwandeln. Über die freilich behält der Staat nach wie vor die Kontrolle, da er der mit Abstand größte Aktionär bleibt.
    Doch diese Art der Reform hält Hu Xingdou, Professor an der Pekinger Universität für Wissenschaft und Technologie, für gescheitert:

    "Eigentlich gibt es nur noch zwei Formen dieser reformierten Staatsbetriebe. Das eine sind die großen Monopolisten, Konzerne wie China Oil, Petro China oder China Telecom. Sie beherrschen den Markt, private Investoren haben da keinen Platz. Die Finanzkrise und das Stimulusprogramm der Regierung verschärfen die Lage noch. Die Großbetriebe werden noch mächtiger und die kleinen und mittleren Unternehmen schrumpfen. Das ist nicht gut für die chinesische Marktwirtschaft."

    "Der zweite Typ der Staatsbetriebe ließ viele Gelder einfach verschwinden. Die Reform ist ohne Kontrolle oder Gesetz durchgezogen worden. Das meiste passierte hinter verschlossenen Türen. Viele Leute macht das wütend. Frühere Beschäftigte von Staatsbetrieben sind besonders wütend. Solche Gefühle mussten irgendwann ausbrechen."

    Und das besonders im Nordosten Chinas, etwa in der Provinz Jilin, wo das Stahlwerk von Tonghua steht. Der Nordosten ist traditionell die Heimat der Schwerindustrie, hier wollte Mao im großen Sprung ab 1958 mit der Industrialisierung der Volksrepublik beginnen.

    Und während im Süden aus bankrotten Staatskonzernen eine starke Privatindustrie entstand, ist der Strukturwandel im Norden noch nicht zu Ende. Ein schmerzhafter Prozess für Abertausende, die plötzlich ohne soziale Absicherung dastehen. Wie die Stahlarbeiter von Tonghua, deren Existenz an 30 Euro hängt. Professor Hu fordert:

    " Ich hoffe, dass künftig solche Reformen den Gesetzen folgen. Sie müssen offen und demokratisch sein. Die Reform selbst ist unvermeidlich. Die chinesische Marktwirtschaft hat nur mit starken privaten Firmen eine Chance. Sonst wird die chinesische Marktwirtschaft immer eine korrupte Marktwirtschaft sein. Ordentliche Verhandlungen mit den Arbeitern sind nötig. Sie brauchen Vertreter, Gewerkschaften und man muss sie anhören, bevor entschieden wird."

    Die chinesischen Medien haben über den Mord in Tonghua breit berichtet. Im Internet gibt es kaum Stimmen, die den Tod von Manager Chen bedauern. Kaum jemand glaubt auch an die Version der Provinzregierung von einer Gruppe Aufrührer. Viele schreiben: Wir unterstützen Arbeiter, die um ihre Rechte kämpfen. Arbeiter verlieren ihren Job, Manager werden fett. Und immer wieder kommt die Frage: Wäre die Gewalt auch ausgebrochen, wenn die Regierung mit den Arbeitern gesprochen hätte?