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Die vermeintlich graue Maus der Literatendynastie

Von den sechs Kindern Thomas Manns stand Monika Mann stets im Schatten ihrer Geschwister ... des übermächtigen Vaters sowieso, in dessen Dunstkreis niemandem die Selbstentfaltung erlaubt gewesen wäre. Dennoch gewinnt man aus den jetzt edierten, teilweise unveröffentlichten Schriften Monikas den Eindruck, hier hätte womöglich der Meister seine Meisterin finden können.

Von Florian Felix Weyh | 21.09.2007
    "Ließ meiner Erbitterung über ihre Existenz die Zügel schießen", schreibt der Vater, entnervt von seiner traumatisierten Tochter, die eben mit knapper Müh und Not ein Schiffsunglück überlebte, und schließt seine Tagebuchnotiz mit den Worten: "Drang auf ihre Entfernung." Jahrzehnte später legt der Herausgeber der Tagebücher jenen hartherzigen Eintrag der Tochter vor: Ob eine Veröffentlichung sie sehr verletzten würde? "Mir völlig wurscht", antwortet die Tochter postwendend, ja schlägt die nachträgliche Verschärfung des Verdikts vor: "Liquidierung. Noch schöner!"

    Von den sechs Kindern Thomas Manns stand Monika Mann stets im Schatten ihrer Geschwister ... des übermächtigen Vaters sowieso, in dessen Dunstkreis niemandem die Selbstentfaltung erlaubt gewesen wäre. Dennoch gewinnt man aus den jetzt edierten, teilweise unveröffentlichten Schriften Monikas den Eindruck, hier hätte womöglich der Meister seine Meisterin finden können, weswegen zeitlebens Harmonie zwischen Vater und Tochter ausgeschlossen bleiben musste. In ihrer labilen Verschrobenheit - "Ich bin sonderbar", schreibt sie über sich selbst -, war Monika Mann dem egozentrischen Großdichter vielleicht als einziges Familienmitglied gewachsen. Das freilich ließ sie der Clan bitter entgelten, allen voran die ältere Schwester Erika, die mit schweren Repressionen versuchte, die unkontrollierbare kleine Schwester zum Verstummen zu bringen. Zumindest öffentlich: Nichts sollte sie aus ihrer Sicht über den Vater publizieren, da doch Erika dem Interpretationskartell vorstand, und das Bild des "Zauberers" (so der familieninterne Jargon) nicht von fremden Interventionen getrübt werden durfte. Gewiss, Monika Mann ließ sich einschüchtern, verzichtete auf manches publizistische Projekt über das Mann-Universum, doch in ihren Notaten, die wir nun lesen können, beweist sie psychologischen Scharfsinn. "Das Unerfüllte macht dich böse", attestiert sie Erika in einem nie abgesandten Brief und trifft damit exakt die Lebensnot der älteren Schwester. Über ihre Mutter Katja - auch sie kein Rückhalt im Kampf gegen die gesamtfamiliäre Verachtung - schreibt sie ebenso treffend wie sarkastisch: "Pflichterfüllung, Mittelpunkt der sittlichen Wertordnung - sie hätte Immanuel Kant heiraten müssen."

    Wenn sich Zeitungsredaktionen mit Bitten um Beiträge an Monika Mann wandten, hatten sie natürlich immer die Verwandtschaftsverhältnisse im Blick. Schon aus wirtschaftlichen Gründen wäre eine Lossagung von diesem Dauerthema für Monika unklug gewesen. Dennoch schrieb sie in ihrem Leben weitaus mehr Texte anderer Natur, Feuilletons, Aphorismen, Kritiken, manchmal ein Gedicht, hin und wieder ein novellistischer Versuch. "Eine zusammenfassende Beurteilung fällt schwer", vermerkt die Herausgeberin Karin Andert im Nachwort des akribisch edierten und kommentierten Taschenbuchs, aber vielleicht muss man es gar nicht zusammenfassend beurteilen, sondern darf sich dem Steinbruch mit fragmentiertem Blick nähern: Wer Literatur auch als Suchvorgang begreift, bei dem man Edelsteine aus einem Berg von Kieseln klaubt, der kann sich über das "Fahrende Haus" von Monika Mann freuen. Immer wieder gelingen ihr sprachlich-bildliche Überraschungsmomente, aphoristische Verdichtungen von hoher Kunstfertigkeit, und im Umfeld ihrer Lebensthemen - der Musik und der biographisch bedingten Rastlosigkeit - hinterließ sie eindrückliche Texte. Für sie persönlich endete das "Unwohnen", wie sie es in einem wunderbaren Feuilleton beschreibt, erst Mitte vierzig, als sie sich auf Capri niederließ und die Bindung zu einem Nichtintellektuellen einging, einem heimischen Fischer. Dreißig Jahre währte dieses abgeschiedene Glück, das ganz unerwartet kam, hatte sie doch kurz zuvor noch flehende Briefe an einen Münchner Kurzzeitbekannten geschrieben, er möge sie in seine Nähe holen, sie brauche einen Fixpunkt. Die Antwort jenes Umworbenen ist nicht erhalten, wohl aber der ergreifende Liebes-, nein Begehrensbrief Monika Manns. Er schließt mit einem hellsichtigen, beinahe selbstanalytischen Postskriptum: "Und ich sage noch - ich will nichts von Ihnen, ich will etwas, das mit Ihnen im Zusammenhang steht."

    Darum - das hat Mann'sche Familie stets verkannt - ging es Monika in Wirklichkeit: nicht um den Vater, nicht die Mutter und die Geschwister als solche, sondern um etwas, das mit ihnen im Zusammenhang stand: Monikas eigene, schwankende Identität. Spät tauchte das Schreiben als rettender Anker am Horizont auf, doch dann erwies sich die vermeintlich graue Maus der Literatendynastie als durchaus ambitioniert: "Mein Ehrgeiz ist der natürliche Drang mich auszuwerten", bekannte die Sechzigjährige selbstbewusst. Ein Glück für uns, dass sie sich diesen Ehrgeiz nicht ausreden ließ.

    Monika Mann: "Das fahrende Haus"
    Herausgegeben von Karin Andert
    Rowohlt, 364 Seiten, 9,90 Euro