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Die Verschiebung der Macht

Nach der Niedersachsenwahl haben sich die Machtverhältnisse im Bundesrat maßgeblich geändert. Schwarz-Gelb hat dort keine Mehrheit mehr. Die Opposition kann damit neue Gesetze blockieren.

Von Katharina Hamberger | 24.01.2013
    Ja doch, sie ist durchaus zu spüren - die Angst. Die Angst vorm Machtverlust. Die Angst vorm Stillstand. Die Angst vorm Showdown zwischen linker Opposition und bürgerlicher Koalition, zwischen SPD, Grünen und Linken auf der einen Seite und CDU, CSU und FDP auf der anderen Seite. Und alles hängt an dieser einen Frage: Wer macht hier eigentlich noch die Gesetze in diesem Land? Sprich: Wer sitzt am längeren Hebel. Bislang die Regierung. Doch dann kam: Niedersachsen.

    "Ich will da auch gar nicht drum herum rum reden, nach so einem Wechselbad der Gefühle schmerzt eine solche Niederlage natürlich um so mehr, und von daher waren wir heute alle ein Stück weit traurig."

    "Traurig", wie es Bundeskanzlerin Angela Merkel beschreibt, trifft wahrscheinlich auf den Wahlabend selbst zu, dürfte aber für die tatsächlichen Gefühle in der Union, was ihre zukünftige Regierungsarbeit betrifft, reichlich untertrieben sein. Denn ein rot-grüner Sieg in Niedersachsen bedeutet nicht nur eine einfache schwarz-gelbe Niederlage: Nur noch in drei Bundesländern gibt es eine schwarz-gelbe Regierung, das heißt: Mit 15 Stimmen keine Mehrheit mehr im Bundesrat, keine Mehrheit mehr im Vermittlungsausschuss. Das heißt: Bis zur Bundestagswahl kann Schwarz-Gelb selbst keine Gesetze mehr auf den Weg bringen. Denn mit ihrer Mehrheit im Bundesrat kann die Opposition über die Länder auch bei nicht zustimmungspflichtigen Gesetzen - also bei solchen, die der Länderkammer bis dato gar nicht vorgelegt werden mussten – die Handbremse ziehen. Sprich: den Vermittlungsausschuss anrufen. In dem wiederum haben SPD, Grüne und Linke zusammen auch die absolute Mehrheit und können damit jede Entscheidung bis zur Wahl im September hinauszögern, ergo ein Gesetz verhindern. Ist der Vermittlungsausschuss nun also eine Art Neben-Regierung?

    "Das kann er gar nicht, denn die Regierung hat natürlich noch die Gestaltungsmöglichkeiten, die eine Regierung mitbringt, aber Rot-Rot-Grün hat jetzt eine Verhinderungsmehrheit. Und die Frage ist, wird sie sie nutzen – schau’n wir mal."

    "Mal schauen" also - Überzeugung klingt anders. Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU Bundestagsfraktion, Michael Grosse-Brömer, muss qua Amt misstrauisch sein gegenüber der Opposition. Er ist selbst auch Mitglied im Vermittlungsausschuss. Ganz real sieht seine Befürchtung so aus:

    "Der Bundesrat und der Vermittlungsausschuss insbesondere sind sicherlich nicht gedacht, um parteipolitisch Politik zu machen, sozusagen über Ländergrenzen und Interessen hinweg gemeinsam mit der Opposition im Bundestag, die Gefahr besteht zurzeit."

    Was der CDU-Politiker Gefahr nennt, erfreut die Opposition.

    "Ein schönes Gefühl, das ist nämlich Gestaltungskraft."

    Sagt Renate Künast, Fraktionsvorsitzende der Grünen. Sie gehört ebenfalls dem Vermittlungsausschuss an. Blockadepolitik, Verhinderungsmehrheit – Künast kennt die Begriffe aus dem schwarz-gelben Lager. Sie hat dafür so gar kein Verständnis .

    "Also, Blockadepolitik ist ja ne Unverschämtheit seitens Schwarz-Gelb. Das ist so richtig Wahlkampfgeklingel. Warum: Dann wäre ja jede Mehrheit, die irgendwo besteht, oder jede Minderheit immer mit Blockade zu versehen. Nein, das ist demokratisch so gewollt. Es drückt die Mehrheit der Landesregierungen aus im Bundesrat, weil das ihre Kammer ist, in der sie ihre Interessen vertreten. Und es ist nun mal ein Fakt, dass Schwarz-Gelb nur noch in ganz, ganz wenigen Bundesländern vorhanden ist."

    Nämlich nur noch in Bayern, Hessen und Sachsen. Und genau hier sitzt er: der Stachel im Fleisch der Koalition. Einer, der nicht so leicht zu ziehen ist – schließlich lässt sich das Dilemma nicht einfach lösen. Schwarz-Gelb nun zu beruhigen – nichts läge der Grünen-Fraktionschefin ferner:

    "Merkel muss wissen, die Niedersachsenwahl hat die Machtkonstellation endgültig massiv verändert, und sie wird nicht drum herumkommen, sich mit dem Bundesrat irgendwie zu einigen – wir werden den Finger in diese Wunde legen."

    Aber welche Themen werden es konkret sein, die Kanzlerin und Koalition spüren lassen, dass sie nun offensichtlich Macht verloren haben? Da fallen sowohl Künast als auch Grosse-Brömer einige Beispiele ein:

    Grosse-Brömer: "Verschiedene Regelungen auch im Bereich der Finanzmärkte."

    Künast:"Das Thema Mindestlohn."

    Grosse-Brömer: "Meldegesetz."

    Künast: "Betreuungsgeld."

    Denn der Fakt, dass Schwarz-Gelb für das Betreuungsgeld ein nicht-zustimmungspflichtiges Gesetz zimmerte - indem die Zusatzgesetze wie die Bildungskomponente – eine Ländersache – entkoppelt wurden, ärgert die Mehrheit im Bundesrat bis heute. Nun will nicht nur die grüne Fraktionschefin das Thema wieder auf dem Tisch haben – und sei es nur der Diskussion wegen.

    Ob nun also:
    "Verhinderungsmehrheit." (Grosse-Brömer)

    Oder auch: "Gestaltungskraft." (Künast)

    Die Niedersachsen-Wahl hat für eine Verschiebung der Machtverhältnisse gesorgt – Worst Case für die Merkel-Regierung, für die Opposition die Chance, noch ein bisschen mitzumischen. Viel erreichen werden beide Seiten bis September jedoch wohl nicht mehr. Nur die Arbeit im Vermittlungsausschuss wird vielleicht mehr werden. Nur in diesem 32-köpfigen Gremium werden beide Seiten noch etwas bewegen können: Das heißt: Nachtsitzungen, Verhandlungsmarathon, Geschäft und Gegengeschäft, Kompromisse – wir werden uns wohl an den Vermittlungsausschuss gewöhnen müssen - bis zur Bundestagswahl.

    Die Angst vorm Machtverlust, die Angst vorm Stillstand. Die Angst vorm Showdown zwischen linker Opposition und bürgerlicher Koalition - nur der Wähler kann sie den Politikern nehmen. Wenn er sich bei der Bundestagswahl für die Große Koalition oder für Rot-Grün im Bund entscheidet.

    Denn auch wenn Schwarz-Gelb im September gewinnen sollte – es bleibt bei der Allparteienallianz in Berlin. Und zwar solange bis die ersten rot-grünen oder grün-roten Landesregierungen abgewählt werden.