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Die Verschmelzung von Kunst und Design

Ein zentrales Merkmal der Pop-Art war der Dialog von Design und Kunst. Das Vitra Design Museum in Weil am Rhein widmet sich in einer Ausstellung diesem Zusammenspiel. Gezeigt werden Werke von Andy Warhol, Roy Lichtenstein und anderen Künstlern der Pop-Art.

Von Christian Gampert | 13.10.2012
    Vor dem Vitra Design Museum tanzen große, heliumgefüllte silberne Kissen in einem Pavillon aus Plexiglas, ein seltsames Ballett der Alltagsdinge, das von mehreren Ventilatoren auf Trab gehalten wird. Andy Warhol hat sich das 1966 ausgedacht. Alles wirkt leicht und luftig, wie nebenbei in Szene gesetzt – und in der Mitte steht in Weil am Rhein nun der aufblasbare Plastiksessel einer italienischen Designergruppe.

    Auf einen Sessel darf man sich setzen, die Kunst aber entschwebt angeblich in andere Sphären, das ist die Botschaft. Und das ist – scheinbar – auch die Schwierigkeit dieser Ausstellung; sie muss bei jedem Exponat extra darauf hinweisen: Achtung, liebe Leute – dies hier ist ein Gebrauchsgegenstand, jenes hier aber ist Kunst. Beides bitte nicht anfassen, wir sind im Museum! Obgleich die Pop-Art ja sehr gern High and Low durcheinander mixte und von der Suppendose bis zur amerikanischen Nationalflagge alles eingemeindete ...

    Natürlich ist Richard Hamiltons 1956 entstandene Collage eines Wohnzimmers auch hier Ausgangspunkt aller Überlegungen: dieses Urbild der Pop-Art stellt zwar Bodybuilder und Pin-up ins bürgerliche Heim, aber gleichberechtigt steht schön designter Alltag herum, Sofa, Tonband, Staubsauger. Hamilton hat immer darauf bestanden, dass man auch Haushaltsgeräte porträtieren könne. Andererseits wirkt George Nelsons schwarz-gelbes Marshmallow-Sofa (ebenfalls von 1956), das heute aussieht wie ein Fanartikel von Borussia Dortmund, in seiner coolen Reduktion - Stahlrohr und seriell herstellbare kreisrunde Vinylkissen als Sitzfläche - weitaus avantgardistischer als Hamiltons vollgestopfte Bildmontage.

    Was also hat denn nun was beeinflusst, am Anfang, in den 1950er-, 60er-Jahren: das Design die Kunst oder umgekehrt? Die Ausstellung des Vitra Museums gibt erwartungsgemäß eine salomonische Antwort: Zuerst war das Ei da und dann die Henne, oder auch vice versa. Warhol und Rosenquist kamen aus der Werbung, sie kannten sich aus, und wenn man im Anfangskapitel der Ausstellung sieht, wie der geschrägte Coca-Cola-Schriftzug auf signalrotem Grund zur Stilikone wird, die von der Kunst dann nach Belieben verwurstet wird, dann bekommt man eine Ahnung davon, wie sich das, zum Beispiel, vom weltabgewandten grauen Ostblock aus angesehen haben muss. Konsumobjekte werden zum Fetisch – ebenso wie Kunstwerke. Während der westliche Sammler vor seinem Warhol oder Oldenburg kniet, träumt man in Moskau von den Leuchtreklamen am Piccadilly Circus und den Heckflossen amerikanischer Straßenkreuzer. Die (amerikanisierte) Globalisierung beginnt mit dem Nachkrieg.

    Der Kurator Mathias Schwartz-Clauss betont konsequent den Warencharakter des Designs, die schöne Form, die Originalitätssucht, das "Kauf mich" und stellt, als zentrale Installation, einige Prototypen in ein Schaufenster: den spartanischen Malatesta-Stuhl von Ettore Sottsass von 1970, eine konische Sitzschale von Pierre Paulin von 1959, einen roten Drehsessel in Herzchenform von Verner Panton. Dahinter hängt er, riesig und bunt, ein Acrylbild von Valerio Adami, gemalt im magischen Jahr 1968, auf dem aus einer gestapelten Stadtlandschaft, schweinchenfarben verfremdet, die Rundungen des New Yorker Guggenheim aufleuchten.

    Das Design war also schon damals museumswürdig, und heute erst recht. Und der Zusammenhang, die gegenseitige Anziehung von Kunst und Innenarchitektur, die Gemeinsamkeit in Thematik und Formensprache sind so augenfällig, dass man sich bisweilen fragt, wieso man dazu überhaupt eine Ausstellung machen muss. Man muss aber doch, denn selten lassen sich so schöne Korrespondenzen herstellen: die kreisrunden Scheiben von Nelsons Marshmallow-Sofa tauchen als Funkbildpixel bei Roy Lichtenstein wieder auf, die cleane Ikonisierung einer Waschmaschine bei dem Maler Peter Stämpfli entspricht dem funktionalen Design eines strengen Braun-Fernsehers der 60er-Jahre.

    Und dann der Sex: Während Tom Wesselman flächige rote Frauenlippen reklamehaft-obszön mit einer Zigarette bestückt, entwirft Studio 65 gleich ein ganzes knallrotes Sofa in Lippenform. Bitte setzen! Oder auch nicht: Allen Jones bietet 1969 eine Frauenskulptur mit hochgeklappten Beinen als Sitzmöbel.

    Ironie und Affirmation gehen hier wild durcheinander, im Kosmos der Zitate, der Kunststoffe, der Oberflächen. Und Kitsch und Kritik liegen dicht beieinander in dieser Ausstellung, die dann doch beweist: Die Pop-Art blühte auf einem Feld, das das Design längst bestellt hatte. Sie war ein Sekundärphänomen.

    Weitere Informationen zur Ausstellung:
    Vitra Design Museum