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Die Versicherten sollen "entscheiden, welche Krankenkasse gut ist"

Er hat mit Rücktritt gedroht und hart um eine Reform gekämpft - das Resultat begeistert nicht alle: Philipp Rösler hält das Gesundheitspaket trotz Beitragserhöhungen für gerecht, ausgewogen - und wettbewerbsfördernd.

07.07.2010
    Gerwald Herter: Den Krankenkassen droht ein Defizit von 11 Milliarden Euro. Die Koalition hat dieses Loch jetzt gestopft. Der Beitragssatz soll im kommenden Jahr von 14,9 auf 15,5 Prozent steigen. Außerdem fällt der Deckel für die Zusatzbeiträge der Krankenkassen. Bisher konnten sie Zusatzbeiträge von bis zu einem Prozent erheben, diese Grenze wird gekippt. Einkommensschwache Versicherte sollen einen Ausgleich bekommen. – Ich bin nun mit dem Vater dieser Lösung verbunden, mit Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP). Guten Morgen, Herr Rösler!

    Philipp Rösler: Guten Morgen, moin und hallo!

    Herter: Herr Rösler, Sie hatten zumindest andeutungsweise vor einiger Zeit mit Ihrem Rücktritt gedroht. Das war eben zu hören. Sie haben in Ihrem Büro im Feldbett übernachtet, um noch mehr zu arbeiten. Ja, Sie sind sogar nach Bayern gefahren, um bei der CSU für Ihr Modell der Kopfpauschale zu werben. Jetzt ist statt einer Reform, statt eines Systemwechsels eine etwas kompliziertere Form der Beitragserhöhung herausgekommen. Hat sich der Aufwand gelohnt?

    Rösler: Der Aufwand hat sich gelohnt, vor allem für die Versicherten in Deutschland, denn das Modell, was wir diskutiert haben, ist auch genau das Modell, was wir gestern in der Koalition vereinbart haben. Die kurzfristigen Probleme für das Jahr 2011 sind gelöst, aber wir haben auch den Einstieg in eine langfristige Reform gewagt, die sicherstellt, dass die Menschen auch morgen noch gut versichert sein können.

    Herter: Diesen Einstieg muss man allerdings mit der Lupe suchen, oder sogar mit dem Mikroskop.

    Rösler: Es ist ein sehr komplexes System, das deutsche Gesundheitssystem. Ich glaube, das würde niemand infrage stellen. Man kann nicht einfach mit dem Finger schnippen und sagen, so, jetzt haben wir plötzlich ein völlig neues, gut funktionierendes, aber man muss die ersten Schritte in die richtige Richtung gehen. Genau das haben wir getan. Wir wollen schließlich niemanden überfordern, weder die sozialen Sicherungssysteme und schon gar nicht die Menschen in Deutschland.

    Herter: Aber die werden doch überfordert. Es wird doch kräftig teuerer für die Beitragszahler.

    Rösler: Das gerade nicht. Wir haben für nächstes Jahr ein 11-Milliarden-Euro-Defizit zu erwarten. Drei Milliarden Euro werden die Arbeitnehmer insgesamt bezahlen über die Beiträge, aber drei Milliarden werden ebenso die Arbeitgeber bezahlen, drei Milliarden Euro müssen die Leistungserbringer im System ersparen – das ist ein sehr hartes Sparpaket -, zwei Milliarden werden die Steuerzahler aufbringen. Also ich glaube, das zeigt, dass die Lasten für das kommende Jahr gerecht verteilt sind, und wir können sicherstellen, dass dadurch eben keine Zusatzbeiträge im nächsten Jahr notwendig werden.

    Herter: Was bleibt denn vom hehren liberalen Grundsatz "mehr Netto vom Brutto"?

    Rösler: Mehr Netto vom Brutto bezieht sich zunächst einmal auf das Steuersystem, bedeutet aber, dass wir die Mitte in unserer Gesellschaft entlasten müssen, und dazu gehört auch, dass wir stabile Sicherungssysteme auf den Weg bringen, denn ohne stabile soziale Sicherungssysteme kann eine Gesellschaft nicht funktionieren, und wer die Mitte stärken will, der muss den Menschen genau solch ein stabiles System bieten, und das haben wir gestern noch stabiler gemacht und auf den Weg gebracht.

    Herter: Ob Mitte oder oben und unten, wenn Sie die Menschen steuerlich entlasten, ihnen aber höhere Krankenkassenbeiträge abziehen, dann ist das nicht mehr Netto vom Brutto.

    Rösler: Das Ziel ist es ja jetzt, zu einer weitgehenden Koppelung mit Krankenversicherungskosten und den Lohnzusatzkosten zu kommen, damit der Faktor Arbeit künftig eben nicht mehr belastet wird durch die steigenden Ausgaben im Gesundheitswesen. Das ist ja gerade dafür, damit die Menschen wieder Wachstum und Beschäftigung bekommen. Also das passt durchaus zusammen.

    Herter: Aber die Arbeitgeber sagen, das sei Gift für neue Arbeitsplätze.

    Rösler: Wie gesagt, wir werden bei dem 11-Milliarden-Euro-Defizit jeden mit heranziehen müssen, auch die Arbeitgeber, und wir dürfen nicht vergessen, dass die Senkung des Krankenversicherungsbeitrages im Jahre 2009 eine krisenbedingte Maßnahme gewesen ist. Die Krise, die läuft nun langsam aus, und deswegen ist es gerechtfertigt, dass auch diese finanzierte, steuerfinanzierte Senkung des Krankenversicherungsbeitrages ebenso ausläuft. Das ist nun gerechtfertigt und damit hat der Krankenversicherungsbeitrag das Niveau von vor den Konjunkturpaketen im Jahre 2009.

    Herter: Sie sagen, alle leisten ihren Beitrag. Hätten Sie nicht härtere Einsparungen durchsetzen können?

    Rösler: Wichtig ist, dass die Einsparungen im Gesundheitswesen eben gerade nicht die Patientinnen und Patienten treffen, sondern dass die Leistungserbringer hier an dieser Stelle ihren Teil mit erbringen müssen, also Krankenhäuser, dann auch der ambulante Bereich, vor allem aber auch die Pharmaindustrie. Ich halte das für gerechtfertigt, weil hier eben auch die Richtigen dann auch an den Kosten mit beteiligt werden, aber die Patienten selber werden nicht belastet, denn die müssen ja schon höhere Beiträge bezahlen. Wie gesagt, ein ausgewogenes und gerechtes Paket.

    Herter: Also werden sie doch belastet, die Patienten. – Die Apotheken kommen ungeschoren davon. Kanzleramtsminister Pofalla soll das in letzter Sekunde verhindert haben. Ist das richtig?

    Rösler: Nein, die Patienten werden in dem Sparpaket nicht belastet. Da möchte ich noch mal drauf hinweisen.

    Herter: Durch Beitragserhöhungen!

    Rösler: Allerdings durch die Beitragserhöhungen, nicht dass das falsch verstanden wird, und das ist ja gerade die Aufteilung. Beitragserhöhung für Arbeitgeber, Arbeitnehmer, aber eben auch Sparpaket für die Leistungserbringer, und die Steuerzahler zahlen ebenfalls. Anders lässt sich das nicht realisieren. 11 Milliarden Euro, da muss man schon die Frage beantworten, wer das bezahlen kann, und die Apotheken werden ebenso wie andere Leistungserbringer ihren Beitrag leisten. Das taucht in der Liste unter dem Bereich Großhandelsmarge auf. Also wir lassen da im Prinzip niemanden aus.

    Herter: Vier Milliarden wollten Sie zumindest einsparen, 3,5 Milliarden werden es sein. Hat Ihnen der Mut gefehlt für die letzte halbe Milliarde?

    Rösler: Es sind dieses Jahr 3,5 Milliarden Euro, im nächsten Jahr 4 Milliarden Euro, weil manche Sparmaßnahmen müssen erst aufwachsen. Sie können kurzfristig nicht aus einem solchen großen Bereich einfach mal Einschnitte machen. Es gibt viele Gelder, die gebunden sind. Insofern sind 3,5 Milliarden Euro ein gutes Ergebnis, mit dem alle zufrieden sein können. Wie gesagt, wir wollten eben gerade nicht Patientinnen und Patienten noch zusätzlich durch dieses Sparpaket belasten.

    Herter: Wollten Sie die Apotheker noch stärker belasten?

    Rösler: Wir haben sie ja jetzt belastet, übrigens auch den gesamten Pharmabereich, die Industrie, den Großhandel und die Apotheken, wenn Sie so wollen die gesamte Wertschöpfungskette, und das gehört eben auch mit zu einem solchen Sparpaket dazu.

    Herter: Und ich wiederhole meine Frage: Stimmt es, dass Kanzleramtsminister Pofalla (CDU) verhindert hat, dass Apotheker einen stärkeren Beitrag leisten müssen?

    Rösler: Die Apotheken zahlen ja einen Beitrag und wir haben viele verschiedene Vorschläge gemeinsam miteinander diskutiert und da gab es Für und Wider, das haben wir dann verworfen. Aber noch mals: die Apotheken müssen genauso ihren Beitrag leisten wie alle anderen Leistungserbringer auch.

    Herter: Angesichts dieser Änderungen spricht die Opposition von einem Wortbruch, weil ja von der Kopfpauschale etwas übrig geblieben ist, aber nicht sehr viel. Wie reagieren Sie darauf?

    Rösler: Da bin ich ganz gelassen, dass die Opposition mit der Regierung nicht zufrieden ist, ist jetzt keine ganz große Überraschung. Aber entscheidend ist ja, dass wir gerade den bisherigen Zusatzbeitrag so ausgebaut haben, dass er der Einstieg in ein neues System ist, weil künftige Kostensteigerungen jetzt von diesen Zusatzbeiträgen aufgefangen werden können, aber gerade mit dem Sozialausgleich, der neu ist, den die Sozialdemokraten nicht haben einführen können – dafür hatten sie nicht die Kraft -, wird jetzt dafür gesorgt, dass wir zu einer sozialen Balance kommen. Ich halte das für gerechtfertigt und für ein gutes System für die Menschen in Deutschland.

    Herter: Höhere Beiträge für Krankenkassen, das heißt auch, dass Privatkassen attraktiver werden, oder nicht?

    Rösler: Da ja auch die privaten Krankenversicherungen ähnliche Probleme haben wie die gesetzlichen Krankenversicherungen, nämlich dass aufgrund der demografischen Entwicklung und des medizinischen Fortschrittes auch die Ausgaben steigen, ist das, glaube ich, auch keine echte Alternative, zumal auch hier gerade in diesem Jahr die Beiträge oder Prämien sind es dort durchaus gestiegen sind.

    Herter: Allerdings nicht staatlich verordnet. – Wollen Sie, dass Krankenkassen Pleite gehen? Haben wir zu viele Krankenkassen in Deutschland?

    Rösler: Es steht dem Bundesgesundheitsminister gar nicht zu, zu entscheiden, wie viele Krankenkassen wir haben, sondern meine Aufgabe ist es, einen Wettbewerbsrahmen so zu gestalten, dass ein fairer Wettbewerb der Krankenkassen wieder untereinander möglich ist und wenn die Menschen selber entscheiden können, wann wie viele und welche Kassen dann auf dem Markt noch sich befinden. Die gute Nachricht ist: Durch den Einstieg, den wir gestern beschlossen haben, haben wir wieder Finanzautonomie für die Krankenkassen, und das ist ja die Grundlage für einen fairen Wettbewerb der Kassen untereinander.

    Herter: Sie haben aber den Wettbewerbsfaktor gestärkt. Richtig?

    Rösler: Wir haben den Wettbewerbsfaktor der Krankenkassen untereinander gestärkt. Ich halte das für richtig, denn am Ende sollen die Versicherten entscheiden, welche Krankenkasse gut ist und welche nicht, und nicht der Bundesminister für Gesundheit.

    Herter: Und das heißt, der Wettbewerbsdruck auf die Kassen wird sich erhöhen und wir müssen damit rechnen, dass Kassen Pleite gehen. Richtig?

    Rösler: Wir haben auch das Insolvenzrecht für die Krankenkassen, aber der Druck, dem sie jetzt ausgesetzt sind, kommt immer den Versicherten zugute. Das ist in vielen anderen Bereichen auch so, dass der Wettbewerb am Ende gut ist für die Kunden, und die Kunden sind im Krankenversicherungsbereich eben die Versicherten in Deutschland, und das sind mehr als 70 Millionen. Insofern ist es gerechtfertigt, dass man genau für diese Menschen etwas tut.

    Herter: Herr Rösler, Sie hatten der CSU, Ihrem Koalitionspartner, vor ein paar Wochen vorgeworfen, sie stelle sich jeder Lösung destruktiv in den Weg. Hat sich die CSU gebessert?

    Rösler: Zumindest hat sie sich die Sachargumente angehört, sie abgewogen und hat sich ebenso dafür entschieden, dass wir den Einstieg wagen. Deswegen haben wir gestern gemeinsam in dieser Regierungskoalition dieses gute Konzept verabschiedet und vereinbart.

    Herter: Sie sagen aber, dass die Gesundheitsreform eine Daueraufgabe bleiben wird. Das heißt, man kann diesen Einstieg auch wieder revidieren per Gesetz?

    Rösler: Die Daueraufgabe bezieht sich darauf, dass wir jetzt die Finanzen und die Einnahmeseite auf eine stabile Grundlage gestellt haben. Aber Gesundheitsreform ist ja noch viel, viel mehr. Wir brauchen endlich Transparenz im System, also zum Beispiel Ausweitung der Kostenerstattung, damit die Menschen wissen, wie viel Geld eigentlich im System umgesetzt wird. Wir brauchen ein faires Leistungs-Honorierungssystem. Wir brauchen auch stärkere Prävention. Jetzt geht es darum, nachdem die Einnahmeseite vereinbart wurde, reformiert wird, das System selber und die Ausgabenseite zu verbessern, wie gesagt im Interesse der Menschen, damit das hervorragende System, was wir heute in Deutschland haben, auch morgen noch gewährleistet werden kann.

    Herter: War das gestern der ganz große Wurf?

    Rösler: Ich glaube, man muss vorsichtig sein, von ganz großen Würfen zu reden, weil das schon bei den letzten sieben Gesundheitsreformen in den letzten 20 Jahren passiert ist, also im Schnitt alle drei Jahre eine sogenannte Jahrhundertreform. Deswegen sollte man da vorsichtig sein. Lieber etwas für die Menschen tun. Die Menschen müssen dann spüren, dass es besser wird. Das ist das Entscheidende.

    Herter: Letzte Frage: Wird die deutsche Fußball-Nationalmannschaft heute Abend gewinnen, Herr Rösler?

    Rösler: Davon bin ich fest überzeugt. Ich drücke jedenfalls fest die Daumen.

    Herter: Das war der Bundesgesundheitsminister, Philipp Rösler, über die Erhöhung der Krankenkassenbeiträge. Herr Rösler, vielen Dank für dieses Gespräch.

    Rösler: Tschüß!